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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

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Dazu kömmt noch, daß vielleicht das Auge selbst bewegt wird, indem es zu ruhen glaubt, und also nur relative Bewegung sieht, die man sehr irrig für absolute hält. Geht es z. B. durch Oo, indem der Körper durch ST geht, so wird es, wenn es sich ruhend glaubt, die gleiche und parallele Linie os für OS nehmen, und den Körper und den Winkel sov oder durch sv bewegt sehen, indem er durch ST bewegt wird.

Man muß daher scheinbare Bewegung, Raum, Geschwindigkeit nicht sogleich für wahre nehmen. Selbst auf der Erde täuschen wir uns oft hiedurch, obgleich hier unsere Fertigkeit, von den wahren Entfernungen und Größen der Linien zu urtheilen, ziemlich groß ist, und die Data zu solchen Urtheilen selten fehlen. So können uns Dinge bewegt scheinen, welche stillstehen, zurückzugehen scheinen, wenn sie vorwärts gehen u. s. f., wovon in allen Einleitungen in die Optik häufige Beyspiele vorkommen. Dies geschieht allezeit, wenn wir die wahren Entfernungen der Gegenstände von einander nicht richtig schätzen, oder unsere eigne Bewegung nicht mit in das Urtheil über die Erscheinungen bringen. Am Himmel aber, an dem wir gar keinen Maßstab zu Beurtheilung der wahren Entfernungen haben, und gegen den sich unser Auge immer bewegt, ohne es zu bemerken, sind scheinbare und wahre Bewegung so weit unterschieden, daß man überhaupt die von der Erde aus gesehene Bewegung unter dem Namen der scheinbaren begreift, und ihr die aus dem Mittelpunkte der Sonne gesehene wahre entgegensetzt.

Veränderte oder ungleichförmige Bewegung, Motus variatus s. inaequabilis, Mouvement varie. Bewegung eines Körpers, dessen Geschwindigkeit nicht immer gleich ist. Sie wird der gleichförmigen entgegengesetzt, und in beschleunigte und verminderte abgetheilt, s. Beschleunigte Bewegung, verminderte Bewegung.

Verminderte Bewegung, Motus retardatus, Mouvement retarde. Bewegung eines Körpers, dessen Geschwindigkeit von Zeit zu Zeit geringer wird. Solche


Dazu koͤmmt noch, daß vielleicht das Auge ſelbſt bewegt wird, indem es zu ruhen glaubt, und alſo nur relative Bewegung ſieht, die man ſehr irrig fuͤr abſolute haͤlt. Geht es z. B. durch Oo, indem der Koͤrper durch ST geht, ſo wird es, wenn es ſich ruhend glaubt, die gleiche und parallele Linie os fuͤr OS nehmen, und den Koͤrper und den Winkel sov oder durch sv bewegt ſehen, indem er durch ST bewegt wird.

Man muß daher ſcheinbare Bewegung, Raum, Geſchwindigkeit nicht ſogleich fuͤr wahre nehmen. Selbſt auf der Erde taͤuſchen wir uns oft hiedurch, obgleich hier unſere Fertigkeit, von den wahren Entfernungen und Groͤßen der Linien zu urtheilen, ziemlich groß iſt, und die Data zu ſolchen Urtheilen ſelten fehlen. So koͤnnen uns Dinge bewegt ſcheinen, welche ſtillſtehen, zuruͤckzugehen ſcheinen, wenn ſie vorwaͤrts gehen u. ſ. f., wovon in allen Einleitungen in die Optik haͤufige Beyſpiele vorkommen. Dies geſchieht allezeit, wenn wir die wahren Entfernungen der Gegenſtaͤnde von einander nicht richtig ſchaͤtzen, oder unſere eigne Bewegung nicht mit in das Urtheil uͤber die Erſcheinungen bringen. Am Himmel aber, an dem wir gar keinen Maßſtab zu Beurtheilung der wahren Entfernungen haben, und gegen den ſich unſer Auge immer bewegt, ohne es zu bemerken, ſind ſcheinbare und wahre Bewegung ſo weit unterſchieden, daß man uͤberhaupt die von der Erde aus geſehene Bewegung unter dem Namen der ſcheinbaren begreift, und ihr die aus dem Mittelpunkte der Sonne geſehene wahre entgegenſetzt.

Veraͤnderte oder ungleichfoͤrmige Bewegung, Motus variatus ſ. inaequabilis, Mouvement varié. Bewegung eines Koͤrpers, deſſen Geſchwindigkeit nicht immer gleich iſt. Sie wird der gleichfoͤrmigen entgegengeſetzt, und in beſchleunigte und verminderte abgetheilt, ſ. Beſchleunigte Bewegung, verminderte Bewegung.

Verminderte Bewegung, Motus retardatus, Mouvement retardé. Bewegung eines Koͤrpers, deſſen Geſchwindigkeit von Zeit zu Zeit geringer wird. Solche

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[343/0357] Dazu koͤmmt noch, daß vielleicht das Auge ſelbſt bewegt wird, indem es zu ruhen glaubt, und alſo nur relative Bewegung ſieht, die man ſehr irrig fuͤr abſolute haͤlt. Geht es z. B. durch Oo, indem der Koͤrper durch ST geht, ſo wird es, wenn es ſich ruhend glaubt, die gleiche und parallele Linie os fuͤr OS nehmen, und den Koͤrper und den Winkel sov oder durch sv bewegt ſehen, indem er durch ST bewegt wird. Man muß daher ſcheinbare Bewegung, Raum, Geſchwindigkeit nicht ſogleich fuͤr wahre nehmen. Selbſt auf der Erde taͤuſchen wir uns oft hiedurch, obgleich hier unſere Fertigkeit, von den wahren Entfernungen und Groͤßen der Linien zu urtheilen, ziemlich groß iſt, und die Data zu ſolchen Urtheilen ſelten fehlen. So koͤnnen uns Dinge bewegt ſcheinen, welche ſtillſtehen, zuruͤckzugehen ſcheinen, wenn ſie vorwaͤrts gehen u. ſ. f., wovon in allen Einleitungen in die Optik haͤufige Beyſpiele vorkommen. Dies geſchieht allezeit, wenn wir die wahren Entfernungen der Gegenſtaͤnde von einander nicht richtig ſchaͤtzen, oder unſere eigne Bewegung nicht mit in das Urtheil uͤber die Erſcheinungen bringen. Am Himmel aber, an dem wir gar keinen Maßſtab zu Beurtheilung der wahren Entfernungen haben, und gegen den ſich unſer Auge immer bewegt, ohne es zu bemerken, ſind ſcheinbare und wahre Bewegung ſo weit unterſchieden, daß man uͤberhaupt die von der Erde aus geſehene Bewegung unter dem Namen der ſcheinbaren begreift, und ihr die aus dem Mittelpunkte der Sonne geſehene wahre entgegenſetzt. Veraͤnderte oder ungleichfoͤrmige Bewegung, Motus variatus ſ. inaequabilis, Mouvement varié. Bewegung eines Koͤrpers, deſſen Geſchwindigkeit nicht immer gleich iſt. Sie wird der gleichfoͤrmigen entgegengeſetzt, und in beſchleunigte und verminderte abgetheilt, ſ. Beſchleunigte Bewegung, verminderte Bewegung. Verminderte Bewegung, Motus retardatus, Mouvement retardé. Bewegung eines Koͤrpers, deſſen Geſchwindigkeit von Zeit zu Zeit geringer wird. Solche

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/357>, abgerufen am 06.09.2024.