Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.Diese lehrt nun über die Fortpflanzung des Drucks durch flüßige Materien folgendes. Es sey abcd. Taf V. Fig. 95., ein mit Wasser gefüllter Cylinder, in welchen der genau passende Kolben e durch den Druck der Hand bey P hineingetrieben wird. Sind nun bey g, h. i. k, l Oefnungen, so wird das Wasser überall durch dieselben ausweichen und herausspritzen, bey h seitwärts, bey i, k und bey l, wo die Oefnung durch den Deckel selbst geht, aufwärts, obgleich der Druck bey P blos niederwärts gerichtet ist. Man sieht hieraus, daß jedes Wassertheilchen, wenn das Wasser gedrückt wird, ein Bestreben (conatum cedendi) nach allen möglichen Richtungen erhalte, weil jedes Theilchen, sobald ihm Freyheit dazu verstattet wird, wirklich ausweicht, es sey an welchent Orte und nach welcher Richtung man immer wolle. Auf diesem Unterschiede zwischen festen und flüßigen Körpern, da jene den Druck, der auf sie geschieht, nur nach einer einzigen Richtung fortpflanzen, diese aber ihn nach allen möglichen Richtungen verbreiten, beruhet die große Abweichung der hydrostatischen Sätze von den Regeln der Statik fester Körper, welche manchen Unerfahrnen in Verwunderung setzt, und einen der ersten guten Schriftsteller über die Hydrostatik bewog, die Sätze vom Drucke flüßiger Körper unter dem Namen der hydrostatischen Paradoxen (Rob. Boyle Paradoxa hydrostatica, in ej. Opp. var. Genev. 1680. 4.) vorzutragen. Ich habe die obige Vergleichung flüßiger Materien mit Anhäufungen harter Kugeln blos in der Absicht angestellet, weil sie über die eigentliche Ursache dieser so auffallenden Verschiedenheit doch in der That einigen Aufschluß giebt, ob sie gleich am Ende auf eine unfruchtbare Speculation hinausläuft, und immer wieder zur Erfahrung zurückzukehren nöthiget. Sie giebt aber eben dadurch ein Beyspiel, wie wenig Bestimmtes uns in physikalischen Untersuchungen bloße Speculation ohne Erfahrung lehre, und zeigt zugleich die Ursache an, warum alle Versuche, die Grundgesetze der Hydrostatik a priori aus der Statik fester Körper herzuleiten, mißlungen sind. Dieſe lehrt nun uͤber die Fortpflanzung des Drucks durch fluͤßige Materien folgendes. Es ſey abcd. Taf V. Fig. 95., ein mit Waſſer gefuͤllter Cylinder, in welchen der genau paſſende Kolben e durch den Druck der Hand bey P hineingetrieben wird. Sind nun bey g, h. i. k, l Oefnungen, ſo wird das Waſſer uͤberall durch dieſelben ausweichen und herausſpritzen, bey h ſeitwaͤrts, bey i, k und bey l, wo die Oefnung durch den Deckel ſelbſt geht, aufwaͤrts, obgleich der Druck bey P blos niederwaͤrts gerichtet iſt. Man ſieht hieraus, daß jedes Waſſertheilchen, wenn das Waſſer gedruͤckt wird, ein Beſtreben (conatum cedendi) nach allen moͤglichen Richtungen erhalte, weil jedes Theilchen, ſobald ihm Freyheit dazu verſtattet wird, wirklich ausweicht, es ſey an welchent Orte und nach welcher Richtung man immer wolle. Auf dieſem Unterſchiede zwiſchen feſten und fluͤßigen Koͤrpern, da jene den Druck, der auf ſie geſchieht, nur nach einer einzigen Richtung fortpflanzen, dieſe aber ihn nach allen moͤglichen Richtungen verbreiten, beruhet die große Abweichung der hydroſtatiſchen Saͤtze von den Regeln der Statik feſter Koͤrper, welche manchen Unerfahrnen in Verwunderung ſetzt, und einen der erſten guten Schriftſteller uͤber die Hydroſtatik bewog, die Saͤtze vom Drucke fluͤßiger Koͤrper unter dem Namen der hydroſtatiſchen Paradoxen (Rob. Boyle Paradoxa hydroſtatica, in ej. Opp. var. Genev. 1680. 4.) vorzutragen. Ich habe die obige Vergleichung fluͤßiger Materien mit Anhaͤufungen harter Kugeln blos in der Abſicht angeſtellet, weil ſie uͤber die eigentliche Urſache dieſer ſo auffallenden Verſchiedenheit doch in der That einigen Aufſchluß giebt, ob ſie gleich am Ende auf eine unfruchtbare Speculation hinauslaͤuft, und immer wieder zur Erfahrung zuruͤckzukehren noͤthiget. Sie giebt aber eben dadurch ein Beyſpiel, wie wenig Beſtimmtes uns in phyſikaliſchen Unterſuchungen bloße Speculation ohne Erfahrung lehre, und zeigt zugleich die Urſache an, warum alle Verſuche, die Grundgeſetze der Hydroſtatik a priori aus der Statik feſter Koͤrper herzuleiten, mißlungen ſind. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p> <pb facs="#f0624" xml:id="P.1.610" n="610"/><lb/> </p> <p>Dieſe lehrt nun uͤber die Fortpflanzung des Drucks durch fluͤßige Materien folgendes. 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Auf dieſem Unterſchiede zwiſchen feſten und fluͤßigen Koͤrpern, da jene den Druck, der auf ſie geſchieht, nur nach einer einzigen Richtung fortpflanzen, dieſe aber ihn nach allen moͤglichen Richtungen verbreiten, beruhet die große Abweichung der hydroſtatiſchen Saͤtze von den Regeln der Statik feſter Koͤrper, welche manchen Unerfahrnen in Verwunderung ſetzt, und einen der erſten guten Schriftſteller uͤber die Hydroſtatik bewog, die Saͤtze vom Drucke fluͤßiger Koͤrper unter dem Namen der hydroſtatiſchen Paradoxen (Rob. Boyle Paradoxa hydroſtatica, in ej. Opp. var. Genev. 1680. 4.) vorzutragen. Ich habe die obige Vergleichung fluͤßiger Materien mit Anhaͤufungen harter Kugeln blos in der Abſicht angeſtellet, weil ſie uͤber die eigentliche Urſache dieſer ſo auffallenden Verſchiedenheit doch in der That einigen Aufſchluß giebt, ob ſie gleich am Ende auf eine unfruchtbare Speculation hinauslaͤuft, und immer wieder zur Erfahrung zuruͤckzukehren noͤthiget. Sie giebt aber eben dadurch ein Beyſpiel, wie wenig Beſtimmtes uns in phyſikaliſchen Unterſuchungen bloße Speculation ohne Erfahrung lehre, und zeigt zugleich die Urſache an, warum alle Verſuche, die Grundgeſetze der Hydroſtatik a priori aus der Statik feſter Koͤrper herzuleiten, mißlungen ſind.
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