Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.
Ueber den Nutzen, der sich von der Erfindung der Aerostaten erwarten läßt, etwas Entscheidendes zu sagen, ist bey einem so geringen Alter und unvollkommenen Zustande derselben kaum möglich. Sie ist, wie Franklin gesagt haben soll, ein neugebohrnes Kind, das der Erziehung und Ausbildung bedarf, über dessen künftige Verdienste zu entscheiden, Thorheit wäre. Unter den Händen einsichtsvoller Naturforscher könnte sie vielleicht ansehnliche Verbesserungen erhalten, und zur Erweiterung der Wissenschaften sowohl als zum Vortheile der menschlichen Gesellschaft auf manche Weise nützlich werden; wofern nicht ein unglückliches Schicksal sie ganz den Händen eitler oder gewinnsüchtiger Waghälse überliefert, die sie zur Schau herumzutragen, und den Enthusiasmus, mit dem man sie zuerst aufnahm, in kalte Gleichgültigkeit zu verwandeln anfangen. Die bisher angestellten Luftfahrten sind freylich größtentheils bloße Schauspiele gewesen, und haben uns noch wenig eigentlichen Nutzen oder Belehrung über den Zustand der Atmosphäre verschaft, ob sie gleich die Luftfahrer immer sehr reichlich mit meteorologischen Werkzeugen ausgerüftet hatten. Die auffallende Unterlassung des Gebrauchs dieser Werkzeuge ist theils der Unwissenheit mancher Luftschiffer, theils ihrer sehr zu entschuldigenden Zerstreuung durch andere Gegenstände zuzuschreiben. Man ist inzwischen den kühnen Unternehmern der ersten Luftreisen den wärmsten Dank schuldig; sie haben mit Gefahr ihres Lebens die Möglichkeit einer Unternehmung bewiesen, die dem menschlichen Verstande zur Ehre gereicht, und seiner Wirksamkeit ein neues Gebiet eröfnet. Dem ersten Luftfahrer, Pilatre de Rozier, nebst seinem Gefährten, hat sie zwar das Leben gekostet; allein wie wahrscheinlich
Ueber den Nutzen, der ſich von der Erfindung der Aeroſtaten erwarten laͤßt, etwas Entſcheidendes zu ſagen, iſt bey einem ſo geringen Alter und unvollkommenen Zuſtande derſelben kaum moͤglich. Sie iſt, wie Franklin geſagt haben ſoll, ein neugebohrnes Kind, das der Erziehung und Ausbildung bedarf, uͤber deſſen kuͤnftige Verdienſte zu entſcheiden, Thorheit waͤre. Unter den Haͤnden einſichtsvoller Naturforſcher koͤnnte ſie vielleicht anſehnliche Verbeſſerungen erhalten, und zur Erweiterung der Wiſſenſchaften ſowohl als zum Vortheile der menſchlichen Geſellſchaft auf manche Weiſe nuͤtzlich werden; wofern nicht ein ungluͤckliches Schickſal ſie ganz den Haͤnden eitler oder gewinnſuͤchtiger Waghaͤlſe uͤberliefert, die ſie zur Schau herumzutragen, und den Enthuſiasmus, mit dem man ſie zuerſt aufnahm, in kalte Gleichguͤltigkeit zu verwandeln anfangen. Die bisher angeſtellten Luftfahrten ſind freylich groͤßtentheils bloße Schauſpiele geweſen, und haben uns noch wenig eigentlichen Nutzen oder Belehrung uͤber den Zuſtand der Atmoſphaͤre verſchaft, ob ſie gleich die Luftfahrer immer ſehr reichlich mit meteorologiſchen Werkzeugen ausgeruͤftet hatten. Die auffallende Unterlaſſung des Gebrauchs dieſer Werkzeuge iſt theils der Unwiſſenheit mancher Luftſchiffer, theils ihrer ſehr zu entſchuldigenden Zerſtreuung durch andere Gegenſtaͤnde zuzuſchreiben. Man iſt inzwiſchen den kuͤhnen Unternehmern der erſten Luftreiſen den waͤrmſten Dank ſchuldig; ſie haben mit Gefahr ihres Lebens die Moͤglichkeit einer Unternehmung bewieſen, die dem menſchlichen Verſtande zur Ehre gereicht, und ſeiner Wirkſamkeit ein neues Gebiet eroͤfnet. Dem erſten Luftfahrer, Pilatre de Rozier, nebſt ſeinem Gefaͤhrten, hat ſie zwar das Leben gekoſtet; allein wie wahrſcheinlich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0094" xml:id="P.1.80" n="80"/><lb/> Luftzuͤge herrſchen, die oft in der Hoͤhe dem untern Winde ganz entgegengeſetzt ſind, ſo ſey es genug, durch abwechſelndes Steigen und Fallen diejenige Region aufzuſuchen, in welcher der erwuͤnſchte Wind herrſche. Die Ausfuͤhrung dieſes Vorſchlags ſetzt aber eine genauere Kenntniß der Winde in verſchiedenen Hoͤhen voraus, als wir noch bisher erlangt haben.</p> <p>Ueber den <hi rendition="#b">Nutzen,</hi> der ſich von der Erfindung der Aeroſtaten erwarten laͤßt, etwas Entſcheidendes zu ſagen, iſt bey einem ſo geringen Alter und unvollkommenen Zuſtande derſelben kaum moͤglich. Sie iſt, wie <hi rendition="#b">Franklin</hi> geſagt haben ſoll, ein neugebohrnes Kind, das der Erziehung und Ausbildung bedarf, uͤber deſſen kuͤnftige Verdienſte zu entſcheiden, Thorheit waͤre. Unter den Haͤnden einſichtsvoller Naturforſcher koͤnnte ſie vielleicht anſehnliche Verbeſſerungen erhalten, und zur Erweiterung der Wiſſenſchaften ſowohl als zum Vortheile der menſchlichen Geſellſchaft auf manche Weiſe nuͤtzlich werden; wofern nicht ein ungluͤckliches Schickſal ſie ganz den Haͤnden eitler oder gewinnſuͤchtiger Waghaͤlſe uͤberliefert, die ſie zur Schau herumzutragen, und den Enthuſiasmus, mit dem man ſie zuerſt aufnahm, in kalte Gleichguͤltigkeit zu verwandeln anfangen. Die bisher angeſtellten Luftfahrten ſind freylich groͤßtentheils bloße Schauſpiele geweſen, und haben uns noch wenig eigentlichen Nutzen oder Belehrung uͤber den Zuſtand der Atmoſphaͤre verſchaft, ob ſie gleich die Luftfahrer immer ſehr reichlich mit meteorologiſchen Werkzeugen ausgeruͤftet hatten. Die auffallende Unterlaſſung des Gebrauchs dieſer Werkzeuge iſt theils der Unwiſſenheit mancher Luftſchiffer, theils ihrer ſehr zu entſchuldigenden Zerſtreuung durch andere Gegenſtaͤnde zuzuſchreiben. Man iſt inzwiſchen den kuͤhnen Unternehmern der erſten Luftreiſen den waͤrmſten Dank ſchuldig; ſie haben mit Gefahr ihres Lebens die Moͤglichkeit einer Unternehmung bewieſen, die dem menſchlichen Verſtande zur Ehre gereicht, und ſeiner Wirkſamkeit ein neues Gebiet eroͤfnet. Dem erſten Luftfahrer, Pilatre de Rozier, nebſt ſeinem Gefaͤhrten, hat ſie zwar das Leben gekoſtet; allein wie wahrſcheinlich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0094]
Luftzuͤge herrſchen, die oft in der Hoͤhe dem untern Winde ganz entgegengeſetzt ſind, ſo ſey es genug, durch abwechſelndes Steigen und Fallen diejenige Region aufzuſuchen, in welcher der erwuͤnſchte Wind herrſche. Die Ausfuͤhrung dieſes Vorſchlags ſetzt aber eine genauere Kenntniß der Winde in verſchiedenen Hoͤhen voraus, als wir noch bisher erlangt haben.
Ueber den Nutzen, der ſich von der Erfindung der Aeroſtaten erwarten laͤßt, etwas Entſcheidendes zu ſagen, iſt bey einem ſo geringen Alter und unvollkommenen Zuſtande derſelben kaum moͤglich. Sie iſt, wie Franklin geſagt haben ſoll, ein neugebohrnes Kind, das der Erziehung und Ausbildung bedarf, uͤber deſſen kuͤnftige Verdienſte zu entſcheiden, Thorheit waͤre. Unter den Haͤnden einſichtsvoller Naturforſcher koͤnnte ſie vielleicht anſehnliche Verbeſſerungen erhalten, und zur Erweiterung der Wiſſenſchaften ſowohl als zum Vortheile der menſchlichen Geſellſchaft auf manche Weiſe nuͤtzlich werden; wofern nicht ein ungluͤckliches Schickſal ſie ganz den Haͤnden eitler oder gewinnſuͤchtiger Waghaͤlſe uͤberliefert, die ſie zur Schau herumzutragen, und den Enthuſiasmus, mit dem man ſie zuerſt aufnahm, in kalte Gleichguͤltigkeit zu verwandeln anfangen. Die bisher angeſtellten Luftfahrten ſind freylich groͤßtentheils bloße Schauſpiele geweſen, und haben uns noch wenig eigentlichen Nutzen oder Belehrung uͤber den Zuſtand der Atmoſphaͤre verſchaft, ob ſie gleich die Luftfahrer immer ſehr reichlich mit meteorologiſchen Werkzeugen ausgeruͤftet hatten. Die auffallende Unterlaſſung des Gebrauchs dieſer Werkzeuge iſt theils der Unwiſſenheit mancher Luftſchiffer, theils ihrer ſehr zu entſchuldigenden Zerſtreuung durch andere Gegenſtaͤnde zuzuſchreiben. Man iſt inzwiſchen den kuͤhnen Unternehmern der erſten Luftreiſen den waͤrmſten Dank ſchuldig; ſie haben mit Gefahr ihres Lebens die Moͤglichkeit einer Unternehmung bewieſen, die dem menſchlichen Verſtande zur Ehre gereicht, und ſeiner Wirkſamkeit ein neues Gebiet eroͤfnet. Dem erſten Luftfahrer, Pilatre de Rozier, nebſt ſeinem Gefaͤhrten, hat ſie zwar das Leben gekoſtet; allein wie wahrſcheinlich
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