Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.
Inzwischen erfordert doch der Vortrag der Wissenschaft, besonders auf Akademien, eine Absonderung der Versuche selbst, und der Erklärung dessen, was sich aus denselben durch Rechnungen, Schlüsse, Vergleichungen, Muthmasßungen u. s. w. herleiten läst. Beydes läst sich in den Vorlesungen nicht wohl vereinigen, weil die Einschiebung der Versuche in dem Vortrage theils den Zusammenhang zu ost unterbrechen, theils aber auch die nöthige Zubereitung zu den Versuchen unmöglich oder doch höchst beschwerlich machen würde. Daher ist es bey dem Vortrage der Naturlehre nicht ungewöhnlich, die Experimentalphysik von der sogenannten dogmatischen oder theoretischen Physik (Physica dogmatica, rationali, theoretica) zu unterscheiden, obgleich bey einem zweckmäßigen Studium der Naturwissenschaften, und bey allen Bemühungen eines Naturforschers überhaupt, beyde unzertrennlich verbunden bleiben müssen, da die Erfahrung nicht allein den Grund aller Berechnungen und Schlüsse ausmachen, sondern auch für alle daraus gefundene Resultate wiederum zur Probe dienen muß. Auch würde eine dogmatische Physik ohne Erfahrungen nichts, als leere Träume, und eine Experimentalphysik ohne alle Schlüsse lauter unfruchtbare Spielereyen enthalten. Es sind daher die dogmatische und die Experimentalphysik keine eignen und abgesonderten Theile der Naturlehre; sie unterscheiden sich vielmehr nur in Absicht auf Methode und Vortrag. Bey der dogmatischen setzt man die Resultate der Versuche als bekannt voraus, oder begnügt sich damit, sie historisch anzuführen; bey der Eperimentalphysik hingegen macht man die Kenntniß und Behandlung der Werkzeuge nebst der Anstellung der Versuche selbst zur Hauptabsicht, und bleibt bey den unmittelbaren Folgen und Resultaten derselben stehen. Die besten und vollständigsten Lehrbücher sind freylich diejenigen, die im gehörigen Verhältnisse und in einer bequemen Ordnung beydes verbinden.
Inzwiſchen erfordert doch der Vortrag der Wiſſenſchaft, beſonders auf Akademien, eine Abſonderung der Verſuche ſelbſt, und der Erklaͤrung deſſen, was ſich aus denſelben durch Rechnungen, Schluͤſſe, Vergleichungen, Muthmaſßungen u. ſ. w. herleiten laͤſt. Beydes laͤſt ſich in den Vorleſungen nicht wohl vereinigen, weil die Einſchiebung der Verſuche in dem Vortrage theils den Zuſammenhang zu oſt unterbrechen, theils aber auch die noͤthige Zubereitung zu den Verſuchen unmoͤglich oder doch hoͤchſt beſchwerlich machen wuͤrde. Daher iſt es bey dem Vortrage der Naturlehre nicht ungewoͤhnlich, die Experimentalphyſik von der ſogenannten dogmatiſchen oder theoretiſchen Phyſik (Phyſica dogmatica, rationali, theoretica) zu unterſcheiden, obgleich bey einem zweckmaͤßigen Studium der Naturwiſſenſchaften, und bey allen Bemuͤhungen eines Naturforſchers uͤberhaupt, beyde unzertrennlich verbunden bleiben muͤſſen, da die Erfahrung nicht allein den Grund aller Berechnungen und Schluͤſſe ausmachen, ſondern auch fuͤr alle daraus gefundene Reſultate wiederum zur Probe dienen muß. Auch wuͤrde eine dogmatiſche Phyſik ohne Erfahrungen nichts, als leere Traͤume, und eine Experimentalphyſik ohne alle Schluͤſſe lauter unfruchtbare Spielereyen enthalten. Es ſind daher die dogmatiſche und die Experimentalphyſik keine eignen und abgeſonderten Theile der Naturlehre; ſie unterſcheiden ſich vielmehr nur in Abſicht auf Methode und Vortrag. Bey der dogmatiſchen ſetzt man die Reſultate der Verſuche als bekannt voraus, oder begnuͤgt ſich damit, ſie hiſtoriſch anzufuͤhren; bey der Eperimentalphyſik hingegen macht man die Kenntniß und Behandlung der Werkzeuge nebſt der Anſtellung der Verſuche ſelbſt zur Hauptabſicht, und bleibt bey den unmittelbaren Folgen und Reſultaten derſelben ſtehen. Die beſten und vollſtaͤndigſten Lehrbuͤcher ſind freylich diejenigen, die im gehoͤrigen Verhaͤltniſſe und in einer bequemen Ordnung beydes verbinden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0116" xml:id="P.2.110" n="110"/><lb/> die wahre und richtige Naturlehre ganz in Experimentalphyſik beſtehe.</p> <p>Inzwiſchen erfordert doch der Vortrag der Wiſſenſchaft, beſonders auf Akademien, eine Abſonderung der Verſuche ſelbſt, und der Erklaͤrung deſſen, was ſich aus denſelben durch Rechnungen, Schluͤſſe, Vergleichungen, Muthmaſßungen u. ſ. w. herleiten laͤſt. Beydes laͤſt ſich in den Vorleſungen nicht wohl vereinigen, weil die Einſchiebung der Verſuche in dem Vortrage theils den Zuſammenhang zu oſt unterbrechen, theils aber auch die noͤthige Zubereitung zu den Verſuchen unmoͤglich oder doch hoͤchſt beſchwerlich machen wuͤrde. Daher iſt es bey dem Vortrage der Naturlehre nicht ungewoͤhnlich, die <hi rendition="#b">Experimentalphyſik</hi> von der ſogenannten <hi rendition="#b">dogmatiſchen</hi> oder <hi rendition="#b">theoretiſchen Phyſik</hi> (<hi rendition="#aq">Phyſica dogmatica, rationali, theoretica</hi>) zu unterſcheiden, obgleich bey einem zweckmaͤßigen Studium der Naturwiſſenſchaften, und bey allen Bemuͤhungen eines Naturforſchers uͤberhaupt, beyde unzertrennlich verbunden bleiben muͤſſen, da die Erfahrung nicht allein den Grund aller Berechnungen und Schluͤſſe ausmachen, ſondern auch fuͤr alle daraus gefundene Reſultate wiederum zur Probe dienen muß. Auch wuͤrde eine dogmatiſche Phyſik ohne Erfahrungen nichts, als leere Traͤume, und eine Experimentalphyſik ohne alle Schluͤſſe lauter unfruchtbare Spielereyen enthalten.</p> <p>Es ſind daher die dogmatiſche und die Experimentalphyſik keine eignen und abgeſonderten Theile der Naturlehre; ſie unterſcheiden ſich vielmehr nur in Abſicht auf Methode und Vortrag. Bey der dogmatiſchen ſetzt man die Reſultate der Verſuche als bekannt voraus, oder begnuͤgt ſich damit, ſie hiſtoriſch anzufuͤhren; bey der Eperimentalphyſik hingegen macht man die Kenntniß und Behandlung der Werkzeuge nebſt der Anſtellung der Verſuche ſelbſt zur Hauptabſicht, und bleibt bey den unmittelbaren Folgen und Reſultaten derſelben ſtehen. Die beſten und vollſtaͤndigſten Lehrbuͤcher ſind freylich diejenigen, die im gehoͤrigen Verhaͤltniſſe und in einer bequemen Ordnung beydes verbinden.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0116]
die wahre und richtige Naturlehre ganz in Experimentalphyſik beſtehe.
Inzwiſchen erfordert doch der Vortrag der Wiſſenſchaft, beſonders auf Akademien, eine Abſonderung der Verſuche ſelbſt, und der Erklaͤrung deſſen, was ſich aus denſelben durch Rechnungen, Schluͤſſe, Vergleichungen, Muthmaſßungen u. ſ. w. herleiten laͤſt. Beydes laͤſt ſich in den Vorleſungen nicht wohl vereinigen, weil die Einſchiebung der Verſuche in dem Vortrage theils den Zuſammenhang zu oſt unterbrechen, theils aber auch die noͤthige Zubereitung zu den Verſuchen unmoͤglich oder doch hoͤchſt beſchwerlich machen wuͤrde. Daher iſt es bey dem Vortrage der Naturlehre nicht ungewoͤhnlich, die Experimentalphyſik von der ſogenannten dogmatiſchen oder theoretiſchen Phyſik (Phyſica dogmatica, rationali, theoretica) zu unterſcheiden, obgleich bey einem zweckmaͤßigen Studium der Naturwiſſenſchaften, und bey allen Bemuͤhungen eines Naturforſchers uͤberhaupt, beyde unzertrennlich verbunden bleiben muͤſſen, da die Erfahrung nicht allein den Grund aller Berechnungen und Schluͤſſe ausmachen, ſondern auch fuͤr alle daraus gefundene Reſultate wiederum zur Probe dienen muß. Auch wuͤrde eine dogmatiſche Phyſik ohne Erfahrungen nichts, als leere Traͤume, und eine Experimentalphyſik ohne alle Schluͤſſe lauter unfruchtbare Spielereyen enthalten.
Es ſind daher die dogmatiſche und die Experimentalphyſik keine eignen und abgeſonderten Theile der Naturlehre; ſie unterſcheiden ſich vielmehr nur in Abſicht auf Methode und Vortrag. Bey der dogmatiſchen ſetzt man die Reſultate der Verſuche als bekannt voraus, oder begnuͤgt ſich damit, ſie hiſtoriſch anzufuͤhren; bey der Eperimentalphyſik hingegen macht man die Kenntniß und Behandlung der Werkzeuge nebſt der Anſtellung der Verſuche ſelbſt zur Hauptabſicht, und bleibt bey den unmittelbaren Folgen und Reſultaten derſelben ſtehen. Die beſten und vollſtaͤndigſten Lehrbuͤcher ſind freylich diejenigen, die im gehoͤrigen Verhaͤltniſſe und in einer bequemen Ordnung beydes verbinden.
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