Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.
Diese Theorie des Galilei fand, wie man leicht denken kan, anfänglich viele Widersprüche, ob sie gleich auch von dem berühmten Torricelli (De motu gravium naturaliter descendentium et projectorum, libri duo. Florent. 1641. 4.) mit der möglichsten geometrischen Eleganz vorgetragen ward. Unbegreiflich aber ist es, wie Baliani, einer der besten Geometer und Physiker der damaligen Zeit (De motu naturali gravium fluidorum ac solidorum, Genuae 1646. 4.), der selbst des Galilei Theorie vorträgt und schön beweiset, dennoch sagen konnte, es sey möglich, daß sich die Geschwindigkeiten des Falles, wie die zurückgelegten Räume, verhielten. Diese Aeußerung eines so guten Mathematikers war den Peripatetikern sehr willkommen; sie legten sogar diesem sehr alten Satze den Namen der Hypothese des Baliani bey. Diese Hypothese hat allerdings etwas scheinbares, und Galilei gestehet selbst, daß er sich eine Zeit lang nicht von ihr habe losreißen können. Endlich drang doch sein Scharfsinn hindurch, und er widerlegt sie schon in seinen Gesprächen auf eine sinnreiche Art, indem er zeigt, daß sie bey der Anwendung auf den Fall der Körper mit sich selbst streite, weil aus ihr folgen würde, daß der Körper durch vier Fuß in eben der Zeit falle, in welcher er durch einen Fuß fällt. Blondel (Anciens mem. de l'Acad. des Sc. a Paris, To. VIII.) hat zwar in diesen Schlüssen des Galilei einen Paralogismus finden wollen; allein sie sind sehr richtig, und von Gassendi durch eine strenge geometrische Prüfung vertheidiget worden. Um das Widersprechende der Balianischen Hypothese in der möglichsten Kürze zu übersehen, darf man
Dieſe Theorie des Galilei fand, wie man leicht denken kan, anfaͤnglich viele Widerſpruͤche, ob ſie gleich auch von dem beruͤhmten Torricelli (De motu gravium naturaliter deſcendentium et projectorum, libri duo. Florent. 1641. 4.) mit der moͤglichſten geometriſchen Eleganz vorgetragen ward. Unbegreiflich aber iſt es, wie Baliani, einer der beſten Geometer und Phyſiker der damaligen Zeit (De motu naturali gravium fluidorum ac ſolidorum, Genuae 1646. 4.), der ſelbſt des Galilei Theorie vortraͤgt und ſchoͤn beweiſet, dennoch ſagen konnte, es ſey moͤglich, daß ſich die Geſchwindigkeiten des Falles, wie die zuruͤckgelegten Raͤume, verhielten. Dieſe Aeußerung eines ſo guten Mathematikers war den Peripatetikern ſehr willkommen; ſie legten ſogar dieſem ſehr alten Satze den Namen der Hypotheſe des Baliani bey. Dieſe Hypotheſe hat allerdings etwas ſcheinbares, und Galilei geſtehet ſelbſt, daß er ſich eine Zeit lang nicht von ihr habe losreißen koͤnnen. Endlich drang doch ſein Scharfſinn hindurch, und er widerlegt ſie ſchon in ſeinen Geſpraͤchen auf eine ſinnreiche Art, indem er zeigt, daß ſie bey der Anwendung auf den Fall der Koͤrper mit ſich ſelbſt ſtreite, weil aus ihr folgen wuͤrde, daß der Koͤrper durch vier Fuß in eben der Zeit falle, in welcher er durch einen Fuß faͤllt. Blondel (Anciens mém. de l'Acad. des Sc. à Paris, To. VIII.) hat zwar in dieſen Schluͤſſen des Galilei einen Paralogismus finden wollen; allein ſie ſind ſehr richtig, und von Gaſſendi durch eine ſtrenge geometriſche Pruͤfung vertheidiget worden. Um das Widerſprechende der Balianiſchen Hypotheſe in der moͤglichſten Kuͤrze zu uͤberſehen, darf man <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0127" xml:id="P.2.121" n="121"/><lb/> 479.) Er bedient ſich bey der geometriſchen Unterſuchung der Geſetze, die aus ſeiner Vorausſetzung folgen, der Methode des Untheilbaren, faſt eben ſo, wie bey dem Worte; <hi rendition="#b">Bewegung, gleichfoͤrmige, gleichfoͤrmig-beſchleunigte,</hi> aus Muſſchenbroek angefuͤhrt worden iſt, leitet daraus die Geſetze fuͤr den Fall auf ſchiefen Flaͤchen her, und erzaͤhlt alsdann zur Beſtaͤtigung derſelben ſeine auf einer ſchiefen Flaͤche angeſtellten Verſuche, aus welchen er noch eine Menge nuͤtzlicher und merkwuͤrdiger Saͤtze herleitet.</p> <p>Dieſe Theorie des <hi rendition="#b">Galilei</hi> fand, wie man leicht denken kan, anfaͤnglich viele Widerſpruͤche, ob ſie gleich auch von dem beruͤhmten <hi rendition="#b">Torricelli</hi> (<hi rendition="#aq">De motu gravium naturaliter deſcendentium et projectorum, libri duo. Florent. 1641. 4.</hi>) mit der moͤglichſten geometriſchen Eleganz vorgetragen ward. Unbegreiflich aber iſt es, wie <hi rendition="#b">Baliani,</hi> einer der beſten Geometer und Phyſiker der damaligen Zeit (<hi rendition="#aq">De motu naturali gravium fluidorum ac ſolidorum, Genuae 1646. 4.</hi>), der ſelbſt des Galilei Theorie vortraͤgt und ſchoͤn beweiſet, dennoch ſagen konnte, es ſey moͤglich, daß ſich die Geſchwindigkeiten des Falles, wie die zuruͤckgelegten <hi rendition="#b">Raͤume,</hi> verhielten. Dieſe Aeußerung eines ſo guten Mathematikers war den Peripatetikern ſehr willkommen; ſie legten ſogar dieſem ſehr alten Satze den Namen der <hi rendition="#b">Hypotheſe des Baliani</hi> bey.</p> <p>Dieſe Hypotheſe hat allerdings etwas ſcheinbares, und Galilei geſtehet ſelbſt, daß er ſich eine Zeit lang nicht von ihr habe losreißen koͤnnen. Endlich drang doch ſein Scharfſinn hindurch, und er widerlegt ſie ſchon in ſeinen Geſpraͤchen auf eine ſinnreiche Art, indem er zeigt, daß ſie bey der Anwendung auf den Fall der Koͤrper mit ſich ſelbſt ſtreite, weil aus ihr folgen wuͤrde, daß der Koͤrper durch vier Fuß in eben der Zeit falle, in welcher er durch einen Fuß faͤllt. <hi rendition="#b">Blondel</hi> (<hi rendition="#aq">Anciens mém. de l'Acad. des Sc. à Paris, To. VIII.</hi>) hat zwar in dieſen Schluͤſſen des Galilei einen Paralogismus finden wollen; allein ſie ſind ſehr richtig, und von <hi rendition="#b">Gaſſendi</hi> durch eine ſtrenge geometriſche Pruͤfung vertheidiget worden. Um das Widerſprechende der Balianiſchen Hypotheſe in der moͤglichſten Kuͤrze zu uͤberſehen, darf man<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [121/0127]
479.) Er bedient ſich bey der geometriſchen Unterſuchung der Geſetze, die aus ſeiner Vorausſetzung folgen, der Methode des Untheilbaren, faſt eben ſo, wie bey dem Worte; Bewegung, gleichfoͤrmige, gleichfoͤrmig-beſchleunigte, aus Muſſchenbroek angefuͤhrt worden iſt, leitet daraus die Geſetze fuͤr den Fall auf ſchiefen Flaͤchen her, und erzaͤhlt alsdann zur Beſtaͤtigung derſelben ſeine auf einer ſchiefen Flaͤche angeſtellten Verſuche, aus welchen er noch eine Menge nuͤtzlicher und merkwuͤrdiger Saͤtze herleitet.
Dieſe Theorie des Galilei fand, wie man leicht denken kan, anfaͤnglich viele Widerſpruͤche, ob ſie gleich auch von dem beruͤhmten Torricelli (De motu gravium naturaliter deſcendentium et projectorum, libri duo. Florent. 1641. 4.) mit der moͤglichſten geometriſchen Eleganz vorgetragen ward. Unbegreiflich aber iſt es, wie Baliani, einer der beſten Geometer und Phyſiker der damaligen Zeit (De motu naturali gravium fluidorum ac ſolidorum, Genuae 1646. 4.), der ſelbſt des Galilei Theorie vortraͤgt und ſchoͤn beweiſet, dennoch ſagen konnte, es ſey moͤglich, daß ſich die Geſchwindigkeiten des Falles, wie die zuruͤckgelegten Raͤume, verhielten. Dieſe Aeußerung eines ſo guten Mathematikers war den Peripatetikern ſehr willkommen; ſie legten ſogar dieſem ſehr alten Satze den Namen der Hypotheſe des Baliani bey.
Dieſe Hypotheſe hat allerdings etwas ſcheinbares, und Galilei geſtehet ſelbſt, daß er ſich eine Zeit lang nicht von ihr habe losreißen koͤnnen. Endlich drang doch ſein Scharfſinn hindurch, und er widerlegt ſie ſchon in ſeinen Geſpraͤchen auf eine ſinnreiche Art, indem er zeigt, daß ſie bey der Anwendung auf den Fall der Koͤrper mit ſich ſelbſt ſtreite, weil aus ihr folgen wuͤrde, daß der Koͤrper durch vier Fuß in eben der Zeit falle, in welcher er durch einen Fuß faͤllt. Blondel (Anciens mém. de l'Acad. des Sc. à Paris, To. VIII.) hat zwar in dieſen Schluͤſſen des Galilei einen Paralogismus finden wollen; allein ſie ſind ſehr richtig, und von Gaſſendi durch eine ſtrenge geometriſche Pruͤfung vertheidiget worden. Um das Widerſprechende der Balianiſchen Hypotheſe in der moͤglichſten Kuͤrze zu uͤberſehen, darf man
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