Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.
Eben so deutliche Beweise dieser Gestalt finden sich in den verschiedenen Stellungen der Himmelskörper gegen den Horizont, wenn sie von verschiedenen Orten der Erdfläche aus betrachtet werden. Wenn ein Reisender seinen Weg beständig nach Norden richtet, so steigen ihm die dorthin stehenden Sterne immer weiter über seinen Horizont empor, indeß die nach Süden stehenden immer tiefer hinabsinken: auch bleiben ihm am nördlichen Horizonte immer mehr Sterne sichtbar, die sich vorher unter diesen Horizont verbargen; am südlichen hingegen verliert er immer mehr Gestirne gänzlich aus den Augen. So erhebt sich z. B. in Alexandrien der Stern Canopus im Ruder des Schiffs Argo täglich um einige Grade über den südlichen Horizont; zu Rhodus streicht eben derselbe Stern nur gerade am Horizonte hin, und verschwindet sogleich wieder; wenn man endlich noch weiter nordwärts bis nach Griechenland kömmt, so verliert man ihn gänzlich aus den Augen. Dies sind Erscheinungen, welche auf einer ebnen Erdfläche gar nicht statt finden könnten, auf welcher ein Gestirn, das sich einmal über ihr befindet, von allen Punkten aus sichtbar bleiben muß. Auf einer gekrümmten Fläche hingegen, wie ZR (Taf. VIII. Fig. 1.), ist es leicht begreiflich, wie der Stern S, der dem in Z befindlichen Auge sichtbar war, dem nach R übergegangenen Auge, dessen Aussicht durch die Fläche HR begrenzt wird, verschwinden, und sich unter den Horizont HR verbergen kan. Es lehrt aber auch die Erfahrung, daß dieses Herabsteigen der südlichen Gestirne gegen den südlichen Horizont und die Erhebung der nördlichen
Eben ſo deutliche Beweiſe dieſer Geſtalt finden ſich in den verſchiedenen Stellungen der Himmelskoͤrper gegen den Horizont, wenn ſie von verſchiedenen Orten der Erdflaͤche aus betrachtet werden. Wenn ein Reiſender ſeinen Weg beſtaͤndig nach Norden richtet, ſo ſteigen ihm die dorthin ſtehenden Sterne immer weiter uͤber ſeinen Horizont empor, indeß die nach Suͤden ſtehenden immer tiefer hinabſinken: auch bleiben ihm am noͤrdlichen Horizonte immer mehr Sterne ſichtbar, die ſich vorher unter dieſen Horizont verbargen; am ſuͤdlichen hingegen verliert er immer mehr Geſtirne gaͤnzlich aus den Augen. So erhebt ſich z. B. in Alexandrien der Stern Canopus im Ruder des Schiffs Argo taͤglich um einige Grade uͤber den ſuͤdlichen Horizont; zu Rhodus ſtreicht eben derſelbe Stern nur gerade am Horizonte hin, und verſchwindet ſogleich wieder; wenn man endlich noch weiter nordwaͤrts bis nach Griechenland koͤmmt, ſo verliert man ihn gaͤnzlich aus den Augen. Dies ſind Erſcheinungen, welche auf einer ebnen Erdflaͤche gar nicht ſtatt finden koͤnnten, auf welcher ein Geſtirn, das ſich einmal uͤber ihr befindet, von allen Punkten aus ſichtbar bleiben muß. Auf einer gekruͤmmten Flaͤche hingegen, wie ZR (Taf. VIII. Fig. 1.), iſt es leicht begreiflich, wie der Stern S, der dem in Z befindlichen Auge ſichtbar war, dem nach R uͤbergegangenen Auge, deſſen Ausſicht durch die Flaͤche HR begrenzt wird, verſchwinden, und ſich unter den Horizont HR verbergen kan. Es lehrt aber auch die Erfahrung, daß dieſes Herabſteigen der ſuͤdlichen Geſtirne gegen den ſuͤdlichen Horizont und die Erhebung der noͤrdlichen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0021" xml:id="P.2.15" n="15"/><lb/> ſich jederzeit als Kreisbogen zeigen, ſo iſt der Schluß ſehr leicht, daß der voͤllige Erdſchatten ein Kreis ſeyn muͤſſe. Nun giebt es aber außer der Kugel keinen Koͤrper, der in allen Lagen einen kreisfoͤrmigen Schatten wirft; es lehrt alſo der Augenſchein ſelbſt die kugelfoͤrmige Rundung der Erde. Wahrſcheinlich ſind auch die griechiſchen Weltweiſen, und vielleicht noch vor ihnen andere Voͤlker, welche richtige Kenntniſſe von der Urſache der Mondfinſterniſſe hatten, hiedurch auf den rechten Begriff von der Geſtalt der Erde geleitet worden.</p> <p>Eben ſo deutliche Beweiſe dieſer Geſtalt finden ſich in den verſchiedenen Stellungen der Himmelskoͤrper gegen den Horizont, wenn ſie von verſchiedenen Orten der Erdflaͤche aus betrachtet werden. Wenn ein Reiſender ſeinen Weg beſtaͤndig nach Norden richtet, ſo ſteigen ihm die dorthin ſtehenden Sterne immer weiter uͤber ſeinen Horizont empor, indeß die nach Suͤden ſtehenden immer tiefer hinabſinken: auch bleiben ihm am noͤrdlichen Horizonte immer mehr Sterne ſichtbar, die ſich vorher unter dieſen Horizont verbargen; am ſuͤdlichen hingegen verliert er immer mehr Geſtirne gaͤnzlich aus den Augen. So erhebt ſich z. B. in Alexandrien der Stern Canopus im Ruder des Schiffs Argo taͤglich um einige Grade uͤber den ſuͤdlichen Horizont; zu Rhodus ſtreicht eben derſelbe Stern nur gerade am Horizonte hin, und verſchwindet ſogleich wieder; wenn man endlich noch weiter nordwaͤrts bis nach Griechenland koͤmmt, ſo verliert man ihn gaͤnzlich aus den Augen. Dies ſind Erſcheinungen, welche auf einer ebnen Erdflaͤche gar nicht ſtatt finden koͤnnten, auf welcher ein Geſtirn, das ſich einmal uͤber ihr befindet, von allen Punkten aus ſichtbar bleiben muß. Auf einer gekruͤmmten Flaͤche hingegen, wie <hi rendition="#aq">ZR</hi> (Taf. <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Fig. 1.), iſt es leicht begreiflich, wie der Stern <hi rendition="#aq">S,</hi> der dem in <hi rendition="#aq">Z</hi> befindlichen Auge ſichtbar war, dem nach <hi rendition="#aq">R</hi> uͤbergegangenen Auge, deſſen Ausſicht durch die Flaͤche <hi rendition="#aq">HR</hi> begrenzt wird, verſchwinden, und ſich unter den Horizont <hi rendition="#aq">HR</hi> verbergen kan. Es lehrt aber auch die Erfahrung, daß dieſes Herabſteigen der ſuͤdlichen Geſtirne gegen den ſuͤdlichen Horizont und die Erhebung der noͤrdlichen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0021]
ſich jederzeit als Kreisbogen zeigen, ſo iſt der Schluß ſehr leicht, daß der voͤllige Erdſchatten ein Kreis ſeyn muͤſſe. Nun giebt es aber außer der Kugel keinen Koͤrper, der in allen Lagen einen kreisfoͤrmigen Schatten wirft; es lehrt alſo der Augenſchein ſelbſt die kugelfoͤrmige Rundung der Erde. Wahrſcheinlich ſind auch die griechiſchen Weltweiſen, und vielleicht noch vor ihnen andere Voͤlker, welche richtige Kenntniſſe von der Urſache der Mondfinſterniſſe hatten, hiedurch auf den rechten Begriff von der Geſtalt der Erde geleitet worden.
Eben ſo deutliche Beweiſe dieſer Geſtalt finden ſich in den verſchiedenen Stellungen der Himmelskoͤrper gegen den Horizont, wenn ſie von verſchiedenen Orten der Erdflaͤche aus betrachtet werden. Wenn ein Reiſender ſeinen Weg beſtaͤndig nach Norden richtet, ſo ſteigen ihm die dorthin ſtehenden Sterne immer weiter uͤber ſeinen Horizont empor, indeß die nach Suͤden ſtehenden immer tiefer hinabſinken: auch bleiben ihm am noͤrdlichen Horizonte immer mehr Sterne ſichtbar, die ſich vorher unter dieſen Horizont verbargen; am ſuͤdlichen hingegen verliert er immer mehr Geſtirne gaͤnzlich aus den Augen. So erhebt ſich z. B. in Alexandrien der Stern Canopus im Ruder des Schiffs Argo taͤglich um einige Grade uͤber den ſuͤdlichen Horizont; zu Rhodus ſtreicht eben derſelbe Stern nur gerade am Horizonte hin, und verſchwindet ſogleich wieder; wenn man endlich noch weiter nordwaͤrts bis nach Griechenland koͤmmt, ſo verliert man ihn gaͤnzlich aus den Augen. Dies ſind Erſcheinungen, welche auf einer ebnen Erdflaͤche gar nicht ſtatt finden koͤnnten, auf welcher ein Geſtirn, das ſich einmal uͤber ihr befindet, von allen Punkten aus ſichtbar bleiben muß. Auf einer gekruͤmmten Flaͤche hingegen, wie ZR (Taf. VIII. Fig. 1.), iſt es leicht begreiflich, wie der Stern S, der dem in Z befindlichen Auge ſichtbar war, dem nach R uͤbergegangenen Auge, deſſen Ausſicht durch die Flaͤche HR begrenzt wird, verſchwinden, und ſich unter den Horizont HR verbergen kan. Es lehrt aber auch die Erfahrung, daß dieſes Herabſteigen der ſuͤdlichen Geſtirne gegen den ſuͤdlichen Horizont und die Erhebung der noͤrdlichen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription.
(2015-09-02T12:13:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-09-02T12:13:09Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |