Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.
Die Chymiker haben lange Zeit die kaltmachende Materie unter den Salzen und besonders im Salpeter gesucht, welcher ihrer Meinung nach sehr häufig im Luftkreise enthalten seyn sollte. Man nahm die Theile dieses Salzes für kleine spitzige Nadeln an, die sich an die Wasserkügelchen ansetzten, und sie endlich auf allen Seiten gleichsam mit Stacheln umringten und in einander verwickelten. Die Empfindung der Kälte selbst sollte von der Einwirkung dieser spitzigen Theilchen auf unsern Körper herkommen. Die künstlichen Gefrierungen, die man durch Mischungen des Eises oder Schnees mit Salpeter hervorbringen kan, schienen diese Erklärungen zu begünstigen. Man glaubte, die Salpetertheilchen drängen dabey durch die Zwischenräume der Gefäße in das darinn befindliche Wasser ein, s. Kälte, künstliche. Man kan aber diesem Argumente seine ganze Beweiskraft durch die Frage benehmen, warum denn diese kaltmachende Mischungen nicht selbst gefrieren. Es ist auch anjetzt gewiß genug entschieden, daß man, um die Phänomene der Kälte zu erklären, keine besondere Materie nöthig hat, s. Kälte. Winkler (De causis frigoris et glaciei. Lips 1737. 4.) nimmt an, die sonst runden Wassertheilchen würden beym Gefrieren zertheilt und in kleinere Kügelchen oder eckigte Körper zertrennt, woraus er vornehmlich die Vergrößerung des Volumens beym Eise erklären will. Aber welche Kraft sollte eine solche Zertrennung bewirken? In einer neuern Schrift (Unde vim elasticam adipiscatur aqua rarescens, Lips. 1753. 4.) sieht er zwar die Festigkeit des Eises richtig als den natürlichen Zustand des vom Feuer verlassenen Wassers an, leitet aber die Vergrößerung des Volumens davon her, daß sich die Wassertheile bey der Berührung in hohle elastische Kügelchen vereinigen.
Die Chymiker haben lange Zeit die kaltmachende Materie unter den Salzen und beſonders im Salpeter geſucht, welcher ihrer Meinung nach ſehr haͤufig im Luftkreiſe enthalten ſeyn ſollte. Man nahm die Theile dieſes Salzes fuͤr kleine ſpitzige Nadeln an, die ſich an die Waſſerkuͤgelchen anſetzten, und ſie endlich auf allen Seiten gleichſam mit Stacheln umringten und in einander verwickelten. Die Empfindung der Kaͤlte ſelbſt ſollte von der Einwirkung dieſer ſpitzigen Theilchen auf unſern Koͤrper herkommen. Die kuͤnſtlichen Gefrierungen, die man durch Miſchungen des Eiſes oder Schnees mit Salpeter hervorbringen kan, ſchienen dieſe Erklaͤrungen zu beguͤnſtigen. Man glaubte, die Salpetertheilchen draͤngen dabey durch die Zwiſchenraͤume der Gefaͤße in das darinn befindliche Waſſer ein, ſ. Kaͤlte, kuͤnſtliche. Man kan aber dieſem Argumente ſeine ganze Beweiskraft durch die Frage benehmen, warum denn dieſe kaltmachende Miſchungen nicht ſelbſt gefrieren. Es iſt auch anjetzt gewiß genug entſchieden, daß man, um die Phaͤnomene der Kaͤlte zu erklaͤren, keine beſondere Materie noͤthig hat, ſ. Kaͤlte. Winkler (De cauſis frigoris et glaciei. Lipſ 1737. 4.) nimmt an, die ſonſt runden Waſſertheilchen wuͤrden beym Gefrieren zertheilt und in kleinere Kuͤgelchen oder eckigte Koͤrper zertrennt, woraus er vornehmlich die Vergroͤßerung des Volumens beym Eiſe erklaͤren will. Aber welche Kraft ſollte eine ſolche Zertrennung bewirken? In einer neuern Schrift (Unde vim elaſticam adipiſcatur aqua rareſcens, Lipſ. 1753. 4.) ſieht er zwar die Feſtigkeit des Eiſes richtig als den natuͤrlichen Zuſtand des vom Feuer verlaſſenen Waſſers an, leitet aber die Vergroͤßerung des Volumens davon her, daß ſich die Waſſertheile bey der Beruͤhrung in hohle elaſtiſche Kuͤgelchen vereinigen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0442" xml:id="P.2.436" n="436"/><lb/> Umſtaͤnde laſſen ſich auch aus Entziehung der Waͤrme erklaͤren. Ueberdies findet man eine Maſſe Eis nicht ſchwerer als das Waſſer, woraus ſie entſtand, und der Augenſchein lehrt zu deutlich, daß es nicht einer fremden Materie halber, ſondern nur darum friert, weil es kalt iſt.</p> <p>Die Chymiker haben lange Zeit die kaltmachende Materie unter den Salzen und beſonders im <hi rendition="#b">Salpeter</hi> geſucht, welcher ihrer Meinung nach ſehr haͤufig im Luftkreiſe enthalten ſeyn ſollte. Man nahm die Theile dieſes Salzes fuͤr kleine ſpitzige Nadeln an, die ſich an die Waſſerkuͤgelchen anſetzten, und ſie endlich auf allen Seiten gleichſam mit Stacheln umringten und in einander verwickelten. Die Empfindung der Kaͤlte ſelbſt ſollte von der Einwirkung dieſer ſpitzigen Theilchen auf unſern Koͤrper herkommen. Die kuͤnſtlichen Gefrierungen, die man durch Miſchungen des Eiſes oder Schnees mit Salpeter hervorbringen kan, ſchienen dieſe Erklaͤrungen zu beguͤnſtigen. Man glaubte, die Salpetertheilchen draͤngen dabey durch die Zwiſchenraͤume der Gefaͤße in das darinn befindliche Waſſer ein, <hi rendition="#b">ſ. Kaͤlte, kuͤnſtliche.</hi> Man kan aber dieſem Argumente ſeine ganze Beweiskraft durch die Frage benehmen, warum denn dieſe kaltmachende Miſchungen nicht ſelbſt gefrieren. Es iſt auch anjetzt gewiß genug entſchieden, daß man, um die Phaͤnomene der Kaͤlte zu erklaͤren, keine beſondere Materie noͤthig hat, <hi rendition="#b">ſ. Kaͤlte.</hi></p> <p><hi rendition="#b">Winkler</hi><hi rendition="#aq">(De cauſis frigoris et glaciei. Lipſ 1737. 4.)</hi> nimmt an, die ſonſt runden Waſſertheilchen wuͤrden beym Gefrieren zertheilt und in kleinere Kuͤgelchen oder eckigte Koͤrper zertrennt, woraus er vornehmlich die Vergroͤßerung des Volumens beym Eiſe erklaͤren will. Aber welche Kraft ſollte eine ſolche Zertrennung bewirken? In einer neuern Schrift <hi rendition="#aq">(Unde vim elaſticam adipiſcatur aqua rareſcens, Lipſ. 1753. 4.)</hi> ſieht er zwar die Feſtigkeit des Eiſes richtig als den natuͤrlichen Zuſtand des vom Feuer verlaſſenen Waſſers an, leitet aber die Vergroͤßerung des Volumens davon her, daß ſich die Waſſertheile bey der Beruͤhrung in hohle elaſtiſche Kuͤgelchen vereinigen.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [436/0442]
Umſtaͤnde laſſen ſich auch aus Entziehung der Waͤrme erklaͤren. Ueberdies findet man eine Maſſe Eis nicht ſchwerer als das Waſſer, woraus ſie entſtand, und der Augenſchein lehrt zu deutlich, daß es nicht einer fremden Materie halber, ſondern nur darum friert, weil es kalt iſt.
Die Chymiker haben lange Zeit die kaltmachende Materie unter den Salzen und beſonders im Salpeter geſucht, welcher ihrer Meinung nach ſehr haͤufig im Luftkreiſe enthalten ſeyn ſollte. Man nahm die Theile dieſes Salzes fuͤr kleine ſpitzige Nadeln an, die ſich an die Waſſerkuͤgelchen anſetzten, und ſie endlich auf allen Seiten gleichſam mit Stacheln umringten und in einander verwickelten. Die Empfindung der Kaͤlte ſelbſt ſollte von der Einwirkung dieſer ſpitzigen Theilchen auf unſern Koͤrper herkommen. Die kuͤnſtlichen Gefrierungen, die man durch Miſchungen des Eiſes oder Schnees mit Salpeter hervorbringen kan, ſchienen dieſe Erklaͤrungen zu beguͤnſtigen. Man glaubte, die Salpetertheilchen draͤngen dabey durch die Zwiſchenraͤume der Gefaͤße in das darinn befindliche Waſſer ein, ſ. Kaͤlte, kuͤnſtliche. Man kan aber dieſem Argumente ſeine ganze Beweiskraft durch die Frage benehmen, warum denn dieſe kaltmachende Miſchungen nicht ſelbſt gefrieren. Es iſt auch anjetzt gewiß genug entſchieden, daß man, um die Phaͤnomene der Kaͤlte zu erklaͤren, keine beſondere Materie noͤthig hat, ſ. Kaͤlte.
Winkler (De cauſis frigoris et glaciei. Lipſ 1737. 4.) nimmt an, die ſonſt runden Waſſertheilchen wuͤrden beym Gefrieren zertheilt und in kleinere Kuͤgelchen oder eckigte Koͤrper zertrennt, woraus er vornehmlich die Vergroͤßerung des Volumens beym Eiſe erklaͤren will. Aber welche Kraft ſollte eine ſolche Zertrennung bewirken? In einer neuern Schrift (Unde vim elaſticam adipiſcatur aqua rareſcens, Lipſ. 1753. 4.) ſieht er zwar die Feſtigkeit des Eiſes richtig als den natuͤrlichen Zuſtand des vom Feuer verlaſſenen Waſſers an, leitet aber die Vergroͤßerung des Volumens davon her, daß ſich die Waſſertheile bey der Beruͤhrung in hohle elaſtiſche Kuͤgelchen vereinigen.
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