Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.
Scheinbare Größe in dieser Bedeutung ist die Vorstellung einer wahren Größe, die in uns vermöge des Augenmaaßes, nach gewissen gewohnten Regeln, aus mancherley zusammengenommenen Umständen entsteht (Man s. Th. I. S. 841.). Dieser Umstände sind hier vornehmlich zween: 1) die durch andere Erfahrungen erlangte Kenntniß der wahren Größe, 2) die scheinbare Entfernung des Gegenstands von unserm Auge, von welcher im ersten Theile dieses Wörterbuchs von S. 840 bis 849. die Rede ist. Der erste Umstand leitet uns gewöhnlich bey Beurtheilung der Größen naher und irdischer Dinge, der zweyte bey entfernten und himmlischen Gegenständen. Wenn wir die wahre Größe einer Sache schon vorher aus Erfahrungen kennen, so machen wir uns, zumal, wenn wir sie nahe sehen, von ihr eine mit dieser Größe übereinstimmende Vorstellung, und irren in dergleichen gewöhnlichen Fällen selten oder niemals. So scheint uns ein erwachsener Mann in der Entfernung von 12 Schuhen immer größer, als ein Kind in der Entfernung von 1 Schuh, ob wir gleich das letztere unter einem weit größern optischen Winkel sehen, weil wir aus den Verhältnissen der Theile des Körpers, dem ganzen äußern Ansehen oder aus vorhergegangener Bekanntschaft schon die wahre Größe von beyden kennen. Wir sind auch überdies schon gewohnt, in so geringen Entfernungen die Abstände und Größen der Dinge richtig zu beurtheilen. Bey ungewöhnlichen Fällen aber und in größern Abständen
Scheinbare Groͤße in dieſer Bedeutung iſt die Vorſtellung einer wahren Groͤße, die in uns vermoͤge des Augenmaaßes, nach gewiſſen gewohnten Regeln, aus mancherley zuſammengenommenen Umſtaͤnden entſteht (Man ſ. Th. I. S. 841.). Dieſer Umſtaͤnde ſind hier vornehmlich zween: 1) die durch andere Erfahrungen erlangte Kenntniß der wahren Groͤße, 2) die ſcheinbare Entfernung des Gegenſtands von unſerm Auge, von welcher im erſten Theile dieſes Woͤrterbuchs von S. 840 bis 849. die Rede iſt. Der erſte Umſtand leitet uns gewoͤhnlich bey Beurtheilung der Groͤßen naher und irdiſcher Dinge, der zweyte bey entfernten und himmliſchen Gegenſtaͤnden. Wenn wir die wahre Groͤße einer Sache ſchon vorher aus Erfahrungen kennen, ſo machen wir uns, zumal, wenn wir ſie nahe ſehen, von ihr eine mit dieſer Groͤße uͤbereinſtimmende Vorſtellung, und irren in dergleichen gewoͤhnlichen Faͤllen ſelten oder niemals. So ſcheint uns ein erwachſener Mann in der Entfernung von 12 Schuhen immer groͤßer, als ein Kind in der Entfernung von 1 Schuh, ob wir gleich das letztere unter einem weit groͤßern optiſchen Winkel ſehen, weil wir aus den Verhaͤltniſſen der Theile des Koͤrpers, dem ganzen aͤußern Anſehen oder aus vorhergegangener Bekanntſchaft ſchon die wahre Groͤße von beyden kennen. Wir ſind auch uͤberdies ſchon gewohnt, in ſo geringen Entfernungen die Abſtaͤnde und Groͤßen der Dinge richtig zu beurtheilen. Bey ungewoͤhnlichen Faͤllen aber und in groͤßern Abſtaͤnden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0545" xml:id="P.2.539" n="539"/><lb/> ſehen, ohne ſie mit einem ſchnellen Urtheile uͤber ſeine wahre Groͤße zu begleiten. Dieſe dem Dinge von uns zugeſchriebene wahre Groͤße heißt nun ebenfalls <hi rendition="#b">ſcheinbare</hi> Groͤße, aber in einer ganz andern Bedeutung des Worts, bey der es außer dem optiſchen Winkel zugleich auf die Umſtaͤnde ankoͤmmt, welche die Seele bey Beurtheilung des Geſehenen zu Huͤlfe nimmt. Ich habe ſchon erinnert (Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 840.), daß die Worte: Entfernung und Groͤße in der erſten Bedeutung etwas beſtimmtes, in dieſer zweyten aber etwas unbeſtimmtes ausdruͤcken, das von Urtheilen abhaͤngt, die bald ſo, bald anders, ausfallen.</p> <p><hi rendition="#b">Scheinbare Groͤße</hi> in dieſer Bedeutung iſt die Vorſtellung einer wahren Groͤße, die in uns vermoͤge des Augenmaaßes, nach gewiſſen gewohnten Regeln, aus mancherley zuſammengenommenen Umſtaͤnden entſteht (Man ſ. Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 841.).</p> <p>Dieſer Umſtaͤnde ſind hier vornehmlich zween: 1) die durch andere Erfahrungen erlangte <hi rendition="#b">Kenntniß der wahren Groͤße,</hi> 2) die <hi rendition="#b">ſcheinbare Entfernung</hi> des Gegenſtands von unſerm Auge, von welcher im erſten Theile dieſes Woͤrterbuchs von S. 840 bis 849. die Rede iſt. Der erſte Umſtand leitet uns gewoͤhnlich bey Beurtheilung der Groͤßen naher und irdiſcher Dinge, der zweyte bey entfernten und himmliſchen Gegenſtaͤnden.</p> <p>Wenn wir die wahre Groͤße einer Sache ſchon vorher aus Erfahrungen kennen, ſo machen wir uns, zumal, wenn wir ſie nahe ſehen, von ihr eine mit dieſer Groͤße uͤbereinſtimmende Vorſtellung, und irren in dergleichen gewoͤhnlichen Faͤllen ſelten oder niemals. So ſcheint uns ein erwachſener Mann in der Entfernung von 12 Schuhen immer groͤßer, als ein Kind in der Entfernung von 1 Schuh, ob wir gleich das letztere unter einem weit groͤßern optiſchen Winkel ſehen, weil wir aus den Verhaͤltniſſen der Theile des Koͤrpers, dem ganzen aͤußern Anſehen oder aus vorhergegangener Bekanntſchaft ſchon die wahre Groͤße von beyden kennen. Wir ſind auch uͤberdies ſchon gewohnt, in ſo geringen Entfernungen die Abſtaͤnde und Groͤßen der Dinge richtig zu beurtheilen.</p> <p>Bey ungewoͤhnlichen Faͤllen aber und in groͤßern Abſtaͤnden<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [539/0545]
ſehen, ohne ſie mit einem ſchnellen Urtheile uͤber ſeine wahre Groͤße zu begleiten. Dieſe dem Dinge von uns zugeſchriebene wahre Groͤße heißt nun ebenfalls ſcheinbare Groͤße, aber in einer ganz andern Bedeutung des Worts, bey der es außer dem optiſchen Winkel zugleich auf die Umſtaͤnde ankoͤmmt, welche die Seele bey Beurtheilung des Geſehenen zu Huͤlfe nimmt. Ich habe ſchon erinnert (Th. I. S. 840.), daß die Worte: Entfernung und Groͤße in der erſten Bedeutung etwas beſtimmtes, in dieſer zweyten aber etwas unbeſtimmtes ausdruͤcken, das von Urtheilen abhaͤngt, die bald ſo, bald anders, ausfallen.
Scheinbare Groͤße in dieſer Bedeutung iſt die Vorſtellung einer wahren Groͤße, die in uns vermoͤge des Augenmaaßes, nach gewiſſen gewohnten Regeln, aus mancherley zuſammengenommenen Umſtaͤnden entſteht (Man ſ. Th. I. S. 841.).
Dieſer Umſtaͤnde ſind hier vornehmlich zween: 1) die durch andere Erfahrungen erlangte Kenntniß der wahren Groͤße, 2) die ſcheinbare Entfernung des Gegenſtands von unſerm Auge, von welcher im erſten Theile dieſes Woͤrterbuchs von S. 840 bis 849. die Rede iſt. Der erſte Umſtand leitet uns gewoͤhnlich bey Beurtheilung der Groͤßen naher und irdiſcher Dinge, der zweyte bey entfernten und himmliſchen Gegenſtaͤnden.
Wenn wir die wahre Groͤße einer Sache ſchon vorher aus Erfahrungen kennen, ſo machen wir uns, zumal, wenn wir ſie nahe ſehen, von ihr eine mit dieſer Groͤße uͤbereinſtimmende Vorſtellung, und irren in dergleichen gewoͤhnlichen Faͤllen ſelten oder niemals. So ſcheint uns ein erwachſener Mann in der Entfernung von 12 Schuhen immer groͤßer, als ein Kind in der Entfernung von 1 Schuh, ob wir gleich das letztere unter einem weit groͤßern optiſchen Winkel ſehen, weil wir aus den Verhaͤltniſſen der Theile des Koͤrpers, dem ganzen aͤußern Anſehen oder aus vorhergegangener Bekanntſchaft ſchon die wahre Groͤße von beyden kennen. Wir ſind auch uͤberdies ſchon gewohnt, in ſo geringen Entfernungen die Abſtaͤnde und Groͤßen der Dinge richtig zu beurtheilen.
Bey ungewoͤhnlichen Faͤllen aber und in groͤßern Abſtaͤnden
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