Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.
Dies wird genug seyn, um die Lage des Streits zu übersehen. Beyde Theile suchen die Größe einer angenommenen Ursache, die sie Kraft nennen, aus der Größe der Wirkung zu bestimmen. Aber der eine Theil bestimmt sie aus derjenigen Wirkung, welche binnen einer gewissen Zeit erfolgt, der andere aus der Totalsumme der ganzen erfolgenden Wirkung ohne Rücksicht auf die darauf verwendete Zeit. Wenn, um die Kräfte zweener Menschen zu vergleichen, der eine darauf sieht, welcher von beyden in einer Stunde am meisten arbeitet, der andere aber beyde mit frischen Kräften anfangen läßt und untersucht, welcher bis zur gänzlichen Ermüdung das Meiste vollbringe, so wird wohl jeder Unbefangene urtheilen, daß man durch die erste Art der Probe wirklich etwas ganz anders erfahre, als durch die zweyte. Eben so wird durch die cartesianische Berechnung etwas ganz anders, als durch die leibnitzische, ausgemessen. Wenn aber doch beyde Theile das Ausgemessene Kraft nannten, so nahmen sie dieses Wort in verschiedener Bedeutung; und dieser Streit, an dem so viele scharfsinnige und gelehrte Naturforscher Theil genommen haben, war im Grunde nichts mehr, als ein bloßer Wortstreit. Nach Karsten (Lehrbegrif der gesammt. Math. Th. IV. Mechanik, Abschn. XVII. §. 269.) ist hiebey sogar uber ein bloßes Hirngespinst gestritten worden. Man könne, sagt dieser, dem bewegten Körper gar keine Kraft beylegen, mit der er fortgehe, sich hebe, andere stoße u. dgl. Alles, was er von dieser Art thue, geschehe vermöge seiner
Dies wird genug ſeyn, um die Lage des Streits zu uͤberſehen. Beyde Theile ſuchen die Groͤße einer angenommenen Urſache, die ſie Kraft nennen, aus der Groͤße der Wirkung zu beſtimmen. Aber der eine Theil beſtimmt ſie aus derjenigen Wirkung, welche binnen einer gewiſſen Zeit erfolgt, der andere aus der Totalſumme der ganzen erfolgenden Wirkung ohne Ruͤckſicht auf die darauf verwendete Zeit. Wenn, um die Kraͤfte zweener Menſchen zu vergleichen, der eine darauf ſieht, welcher von beyden in einer Stunde am meiſten arbeitet, der andere aber beyde mit friſchen Kraͤften anfangen laͤßt und unterſucht, welcher bis zur gaͤnzlichen Ermuͤdung das Meiſte vollbringe, ſo wird wohl jeder Unbefangene urtheilen, daß man durch die erſte Art der Probe wirklich etwas ganz anders erfahre, als durch die zweyte. Eben ſo wird durch die carteſianiſche Berechnung etwas ganz anders, als durch die leibnitziſche, ausgemeſſen. Wenn aber doch beyde Theile das Ausgemeſſene Kraft nannten, ſo nahmen ſie dieſes Wort in verſchiedener Bedeutung; und dieſer Streit, an dem ſo viele ſcharfſinnige und gelehrte Naturforſcher Theil genommen haben, war im Grunde nichts mehr, als ein bloßer Wortſtreit. Nach Karſten (Lehrbegrif der geſammt. Math. Th. IV. Mechanik, Abſchn. XVII. §. 269.) iſt hiebey ſogar úber ein bloßes Hirngeſpinſt geſtritten worden. Man koͤnne, ſagt dieſer, dem bewegten Koͤrper gar keine Kraft beylegen, mit der er fortgehe, ſich hebe, andere ſtoße u. dgl. Alles, was er von dieſer Art thue, geſchehe vermoͤge ſeiner <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0812" xml:id="P.2.806" n="806"/><lb/> wie das Quadrat der letzten Geſchwindigkeit, verhaͤlt. Sie haben hiebey die Tiefe der Loͤcher als die Groͤße der Wirkung angeſehen, die man den Kraͤften der Kugeln zuſchreiben muͤſſe, und daraus geſchloſſen, daß ſich dieſe Kraͤfte ſelbſt bey gleichen Maſſen, wie die Quadrate der Geſchwindigkeiten, verhalten. Die Gegner antworten hierauf, man muͤſſe nicht auf die Tiefen der Gruben allein, ſondern zugleich auf die Zeiten ſehen, binnen welchen dieſe Gruben eingedruͤckt wuͤrden: Leibnitzens Anhaͤnger hingegen ſchließen die Betrachtung der Zeiten gaͤnzlich aus.</p> <p>Dies wird genug ſeyn, um die Lage des Streits zu uͤberſehen. Beyde Theile ſuchen die Groͤße einer angenommenen Urſache, die ſie <hi rendition="#b">Kraft</hi> nennen, aus der Groͤße der Wirkung zu beſtimmen. Aber der eine Theil beſtimmt ſie aus derjenigen Wirkung, welche binnen einer gewiſſen Zeit erfolgt, der andere aus der Totalſumme der ganzen erfolgenden Wirkung ohne Ruͤckſicht auf die darauf verwendete Zeit. Wenn, um die Kraͤfte zweener Menſchen zu vergleichen, der eine darauf ſieht, welcher von beyden in einer Stunde am meiſten arbeitet, der andere aber beyde mit friſchen Kraͤften anfangen laͤßt und unterſucht, welcher bis zur gaͤnzlichen Ermuͤdung das Meiſte vollbringe, ſo wird wohl jeder Unbefangene urtheilen, daß man durch die erſte Art der Probe wirklich etwas ganz anders erfahre, als durch die zweyte. Eben ſo wird durch die carteſianiſche Berechnung etwas ganz anders, als durch die leibnitziſche, ausgemeſſen. Wenn aber doch beyde Theile das Ausgemeſſene <hi rendition="#b">Kraft</hi> nannten, ſo nahmen ſie dieſes Wort in verſchiedener Bedeutung; und dieſer Streit, an dem ſo viele ſcharfſinnige und gelehrte Naturforſcher Theil genommen haben, war im Grunde nichts mehr, als ein bloßer Wortſtreit.</p> <p>Nach <hi rendition="#b">Karſten</hi> (Lehrbegrif der geſammt. Math. Th. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Mechanik, Abſchn. <hi rendition="#aq">XVII. §. 269.)</hi> iſt hiebey ſogar úber ein bloßes Hirngeſpinſt geſtritten worden. Man koͤnne, ſagt dieſer, dem bewegten Koͤrper gar keine Kraft beylegen, mit der er fortgehe, ſich hebe, andere ſtoße u. dgl. Alles, was er von dieſer Art thue, geſchehe vermoͤge ſeiner<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [806/0812]
wie das Quadrat der letzten Geſchwindigkeit, verhaͤlt. Sie haben hiebey die Tiefe der Loͤcher als die Groͤße der Wirkung angeſehen, die man den Kraͤften der Kugeln zuſchreiben muͤſſe, und daraus geſchloſſen, daß ſich dieſe Kraͤfte ſelbſt bey gleichen Maſſen, wie die Quadrate der Geſchwindigkeiten, verhalten. Die Gegner antworten hierauf, man muͤſſe nicht auf die Tiefen der Gruben allein, ſondern zugleich auf die Zeiten ſehen, binnen welchen dieſe Gruben eingedruͤckt wuͤrden: Leibnitzens Anhaͤnger hingegen ſchließen die Betrachtung der Zeiten gaͤnzlich aus.
Dies wird genug ſeyn, um die Lage des Streits zu uͤberſehen. Beyde Theile ſuchen die Groͤße einer angenommenen Urſache, die ſie Kraft nennen, aus der Groͤße der Wirkung zu beſtimmen. Aber der eine Theil beſtimmt ſie aus derjenigen Wirkung, welche binnen einer gewiſſen Zeit erfolgt, der andere aus der Totalſumme der ganzen erfolgenden Wirkung ohne Ruͤckſicht auf die darauf verwendete Zeit. Wenn, um die Kraͤfte zweener Menſchen zu vergleichen, der eine darauf ſieht, welcher von beyden in einer Stunde am meiſten arbeitet, der andere aber beyde mit friſchen Kraͤften anfangen laͤßt und unterſucht, welcher bis zur gaͤnzlichen Ermuͤdung das Meiſte vollbringe, ſo wird wohl jeder Unbefangene urtheilen, daß man durch die erſte Art der Probe wirklich etwas ganz anders erfahre, als durch die zweyte. Eben ſo wird durch die carteſianiſche Berechnung etwas ganz anders, als durch die leibnitziſche, ausgemeſſen. Wenn aber doch beyde Theile das Ausgemeſſene Kraft nannten, ſo nahmen ſie dieſes Wort in verſchiedener Bedeutung; und dieſer Streit, an dem ſo viele ſcharfſinnige und gelehrte Naturforſcher Theil genommen haben, war im Grunde nichts mehr, als ein bloßer Wortſtreit.
Nach Karſten (Lehrbegrif der geſammt. Math. Th. IV. Mechanik, Abſchn. XVII. §. 269.) iſt hiebey ſogar úber ein bloßes Hirngeſpinſt geſtritten worden. Man koͤnne, ſagt dieſer, dem bewegten Koͤrper gar keine Kraft beylegen, mit der er fortgehe, ſich hebe, andere ſtoße u. dgl. Alles, was er von dieſer Art thue, geſchehe vermoͤge ſeiner
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