Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Man fülle eine nicht allzuweite Röhre AB, Taf. XIV. Fig. 2. mit Wasser, und verschließe ihre obere Oefnung A mit dem Finger, so fließt das Wasser nicht heraus, wenn gleich die Röhre bey B offen ist. Oefnet man aber auch bey A, so fließt augenblicklich alles Wasser aus. Es ist die Frage, was das Wasser trage oder zurückhalte, so lang A verschlossen ist? Im Finger kan die Ursache nicht liegen, auch nicht in dem Anhängen des Wassers an der Glasröhre, welches ja auch noch da ist, wenn man A geöfnet hat. Die Scholastiker sagten, die Natur lasse kein Wasser heraus, oder die Materie des Wassers ziehe sich zusammen (invisibili funiculo contrahitur), um den leeren Raum zu vermeiden, der bey A entstehen würde, wenn bey verschloßner Oefnung das Wasser ausliefe.

Es wird aber alles weit begreiflicher, wenn man annimmt, die Lust bey A und B sey durch irgend etwas zusammen gedrückt, und strebe sich auszubreiten. Ist dies, so wird sie nach der Richtung BA gegen das Wasser in B drücken, und dessen Gewicht tragen oder aufheben, wofern nur die Oefnung B eng genug ist, um keine Zertrennung des Wassers zu gestarten. Wird aber A geöfnet, so drückt nunmehr die Luft bey A nach der Richtung AB eben so stark entgegen, die Wirkungen der Luft bey A und B heben einander auf, und das Wasser fließt durch seine Schwere aus der Röhre.

Diese Vermuthung wird zur Gewißheit, wenn man statt des Wassers Quecksilber nimmt. Ist alsdann die Röhre AB über 28 Zoll lang so wird wirklich ein Theil des Quecksilbers auslaufen, bis die noch über B stehende Säule eine Höhe von 28 Zollen hat. Diese Säule bleibt alsdann stehen, so lang A verschlossen ist, läuft aber auch aus, wenn men A öfnet. Dies zeigt deutlich, daß bey B ein Gegendruck von bestimmter Größe gefchehe, der gerade dem Drucke einer 28 Zoll hohen Quecksilbersäule gleich ist. Diesen Gegendruck muß man doch der Luft bey B zuschreiben, weil kein anderer Körper da ist, dem man ihn beylegen könnte.

Ist die untere Oefnung weit, wie BC, Fig. 3., so steht


Man fuͤlle eine nicht allzuweite Roͤhre AB, Taf. XIV. Fig. 2. mit Waſſer, und verſchließe ihre obere Oefnung A mit dem Finger, ſo fließt das Waſſer nicht heraus, wenn gleich die Roͤhre bey B offen iſt. Oefnet man aber auch bey A, ſo fließt augenblicklich alles Waſſer aus. Es iſt die Frage, was das Waſſer trage oder zuruͤckhalte, ſo lang A verſchloſſen iſt? Im Finger kan die Urſache nicht liegen, auch nicht in dem Anhaͤngen des Waſſers an der Glasroͤhre, welches ja auch noch da iſt, wenn man A geoͤfnet hat. Die Scholaſtiker ſagten, die Natur laſſe kein Waſſer heraus, oder die Materie des Waſſers ziehe ſich zuſammen (inviſibili funiculo contrahitur), um den leeren Raum zu vermeiden, der bey A entſtehen wuͤrde, wenn bey verſchloßner Oefnung das Waſſer ausliefe.

Es wird aber alles weit begreiflicher, wenn man annimmt, die Luſt bey A und B ſey durch irgend etwas zuſammen gedruͤckt, und ſtrebe ſich auszubreiten. Iſt dies, ſo wird ſie nach der Richtung BA gegen das Waſſer in B druͤcken, und deſſen Gewicht tragen oder aufheben, wofern nur die Oefnung B eng genug iſt, um keine Zertrennung des Waſſers zu geſtarten. Wird aber A geoͤfnet, ſo druͤckt nunmehr die Luft bey A nach der Richtung AB eben ſo ſtark entgegen, die Wirkungen der Luft bey A und B heben einander auf, und das Waſſer fließt durch ſeine Schwere aus der Roͤhre.

Dieſe Vermuthung wird zur Gewißheit, wenn man ſtatt des Waſſers Queckſilber nimmt. Iſt alsdann die Roͤhre AB uͤber 28 Zoll lang ſo wird wirklich ein Theil des Queckſilbers auslaufen, bis die noch uͤber B ſtehende Saͤule eine Hoͤhe von 28 Zollen hat. Dieſe Saͤule bleibt alsdann ſtehen, ſo lang A verſchloſſen iſt, laͤuft aber auch aus, wenn men A oͤfnet. Dies zeigt deutlich, daß bey B ein Gegendruck von beſtimmter Groͤße gefchehe, der gerade dem Drucke einer 28 Zoll hohen Queckſilberſaͤule gleich iſt. Dieſen Gegendruck muß man doch der Luft bey B zuſchreiben, weil kein anderer Koͤrper da iſt, dem man ihn beylegen koͤnnte.

Iſt die untere Oefnung weit, wie BC, Fig. 3., ſo ſteht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0013" xml:id="P.3.7" n="7"/><lb/>
            </p>
            <p>Man fu&#x0364;lle eine nicht allzuweite Ro&#x0364;hre <hi rendition="#aq">AB,</hi> Taf. <hi rendition="#aq">XIV.</hi> Fig. 2. mit Wa&#x017F;&#x017F;er, und ver&#x017F;chließe ihre obere Oefnung <hi rendition="#aq">A</hi> mit dem Finger, &#x017F;o fließt das Wa&#x017F;&#x017F;er nicht heraus, wenn gleich die Ro&#x0364;hre bey <hi rendition="#aq">B</hi> offen i&#x017F;t. Oefnet man aber auch bey <hi rendition="#aq">A,</hi> &#x017F;o fließt augenblicklich alles Wa&#x017F;&#x017F;er aus. Es i&#x017F;t die Frage, was das Wa&#x017F;&#x017F;er trage oder zuru&#x0364;ckhalte, &#x017F;o lang <hi rendition="#aq">A</hi> ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t? Im Finger kan die Ur&#x017F;ache nicht liegen, auch nicht in dem Anha&#x0364;ngen des Wa&#x017F;&#x017F;ers an der Glasro&#x0364;hre, welches ja auch noch da i&#x017F;t, wenn man <hi rendition="#aq">A</hi> geo&#x0364;fnet hat. Die Schola&#x017F;tiker &#x017F;agten, die Natur la&#x017F;&#x017F;e kein Wa&#x017F;&#x017F;er heraus, oder die Materie des Wa&#x017F;&#x017F;ers ziehe &#x017F;ich zu&#x017F;ammen <hi rendition="#aq">(invi&#x017F;ibili funiculo contrahitur),</hi> um den leeren Raum zu vermeiden, der bey <hi rendition="#aq">A</hi> ent&#x017F;tehen wu&#x0364;rde, wenn bey ver&#x017F;chloßner Oefnung das Wa&#x017F;&#x017F;er ausliefe.</p>
            <p>Es wird aber alles weit begreiflicher, wenn man annimmt, die Lu&#x017F;t bey <hi rendition="#aq">A</hi> und <hi rendition="#aq">B</hi> &#x017F;ey durch irgend etwas zu&#x017F;ammen gedru&#x0364;ckt, und &#x017F;trebe &#x017F;ich auszubreiten. I&#x017F;t dies, &#x017F;o wird &#x017F;ie nach der Richtung <hi rendition="#aq">BA</hi> gegen das Wa&#x017F;&#x017F;er in <hi rendition="#aq">B</hi> dru&#x0364;cken, und de&#x017F;&#x017F;en Gewicht tragen oder aufheben, wofern nur die Oefnung <hi rendition="#aq">B</hi> eng genug i&#x017F;t, um keine Zertrennung des Wa&#x017F;&#x017F;ers zu ge&#x017F;tarten. Wird aber <hi rendition="#aq">A</hi> geo&#x0364;fnet, &#x017F;o dru&#x0364;ckt nunmehr die Luft bey <hi rendition="#aq">A</hi> nach der Richtung <hi rendition="#aq">AB</hi> eben &#x017F;o &#x017F;tark entgegen, die Wirkungen der Luft bey <hi rendition="#aq">A</hi> und <hi rendition="#aq">B</hi> heben einander auf, und das Wa&#x017F;&#x017F;er fließt durch &#x017F;eine Schwere aus der Ro&#x0364;hre.</p>
            <p>Die&#x017F;e Vermuthung wird zur Gewißheit, wenn man &#x017F;tatt des Wa&#x017F;&#x017F;ers Queck&#x017F;ilber nimmt. I&#x017F;t alsdann die Ro&#x0364;hre <hi rendition="#aq">AB</hi> u&#x0364;ber 28 Zoll lang &#x017F;o wird wirklich ein Theil des Queck&#x017F;ilbers auslaufen, bis die noch u&#x0364;ber <hi rendition="#aq">B</hi> &#x017F;tehende Sa&#x0364;ule eine Ho&#x0364;he von 28 Zollen hat. Die&#x017F;e Sa&#x0364;ule bleibt alsdann &#x017F;tehen, &#x017F;o lang <hi rendition="#aq">A</hi> ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, la&#x0364;uft aber auch aus, wenn men <hi rendition="#aq">A</hi> o&#x0364;fnet. Dies zeigt deutlich, daß bey <hi rendition="#aq">B</hi> ein Gegendruck <hi rendition="#b">von be&#x017F;timmter Gro&#x0364;ße gefchehe,</hi> der gerade dem Drucke einer 28 Zoll hohen Queck&#x017F;ilber&#x017F;a&#x0364;ule gleich i&#x017F;t. Die&#x017F;en Gegendruck muß man doch der Luft bey <hi rendition="#aq">B</hi> zu&#x017F;chreiben, weil kein anderer Ko&#x0364;rper da i&#x017F;t, dem man ihn beylegen ko&#x0364;nnte.</p>
            <p>I&#x017F;t die untere Oefnung weit, wie <hi rendition="#aq">BC,</hi> Fig. 3., &#x017F;o &#x017F;teht<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0013] Man fuͤlle eine nicht allzuweite Roͤhre AB, Taf. XIV. Fig. 2. mit Waſſer, und verſchließe ihre obere Oefnung A mit dem Finger, ſo fließt das Waſſer nicht heraus, wenn gleich die Roͤhre bey B offen iſt. Oefnet man aber auch bey A, ſo fließt augenblicklich alles Waſſer aus. Es iſt die Frage, was das Waſſer trage oder zuruͤckhalte, ſo lang A verſchloſſen iſt? Im Finger kan die Urſache nicht liegen, auch nicht in dem Anhaͤngen des Waſſers an der Glasroͤhre, welches ja auch noch da iſt, wenn man A geoͤfnet hat. Die Scholaſtiker ſagten, die Natur laſſe kein Waſſer heraus, oder die Materie des Waſſers ziehe ſich zuſammen (inviſibili funiculo contrahitur), um den leeren Raum zu vermeiden, der bey A entſtehen wuͤrde, wenn bey verſchloßner Oefnung das Waſſer ausliefe. Es wird aber alles weit begreiflicher, wenn man annimmt, die Luſt bey A und B ſey durch irgend etwas zuſammen gedruͤckt, und ſtrebe ſich auszubreiten. Iſt dies, ſo wird ſie nach der Richtung BA gegen das Waſſer in B druͤcken, und deſſen Gewicht tragen oder aufheben, wofern nur die Oefnung B eng genug iſt, um keine Zertrennung des Waſſers zu geſtarten. Wird aber A geoͤfnet, ſo druͤckt nunmehr die Luft bey A nach der Richtung AB eben ſo ſtark entgegen, die Wirkungen der Luft bey A und B heben einander auf, und das Waſſer fließt durch ſeine Schwere aus der Roͤhre. Dieſe Vermuthung wird zur Gewißheit, wenn man ſtatt des Waſſers Queckſilber nimmt. Iſt alsdann die Roͤhre AB uͤber 28 Zoll lang ſo wird wirklich ein Theil des Queckſilbers auslaufen, bis die noch uͤber B ſtehende Saͤule eine Hoͤhe von 28 Zollen hat. Dieſe Saͤule bleibt alsdann ſtehen, ſo lang A verſchloſſen iſt, laͤuft aber auch aus, wenn men A oͤfnet. Dies zeigt deutlich, daß bey B ein Gegendruck von beſtimmter Groͤße gefchehe, der gerade dem Drucke einer 28 Zoll hohen Queckſilberſaͤule gleich iſt. Dieſen Gegendruck muß man doch der Luft bey B zuſchreiben, weil kein anderer Koͤrper da iſt, dem man ihn beylegen koͤnnte. Iſt die untere Oefnung weit, wie BC, Fig. 3., ſo ſteht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/13
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/13>, abgerufen am 03.12.2024.