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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

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Die Phänomene sind also das Resultat unserer Erfahrung, der Beobachtungen und Versuche. Sie zu sammeln, zu ordnen und zu erzählen, ist eigentlich, wenn man streng eintheilen will, das Geschäft der Naturgeschichte, im weitläuftigsten Sinne dieses Worts, s. Naturgeschichte. Da man aber diese Wissenschaft insgemein nur auf die Betrachtung der besondern natürlichen Körper der drey Reiche einschränkt, so bleibt eine sehr große Menge von Phänomenen ganz allein der Naturlehre überlassen, welche sich aber nicht blos mit Sammlung, Erzählung und Ordnung der Erfahrungen, sondern vornehmlich auch mit Erklätung der Phänomene beschäftiget.

Eine Erscheinung erklären, heißt, ihre Verhältnisse zu den Dingen, die auf sie wirken, finden. Ein Phänomen, das gar keine bekannten Verhältnisse zu andern Dingen hätte, würde unerklärlich seyn. Eine vollständige Erklärung müßte alle Verhältnisse angeben, in welchen die Erscheinung mit den Ursachen ihres Daseyns, ihrer Erhaltung und ihrer Veränderungen stehet.

Diese vollständigen Erklärungen der Phänomene aus den Ursachen sind nun zwar das große Ziel, nach welchem der Physiker, als Ausleger der Natur, strebet; aber es ist ihm nicht immer möglich, dasselbe zu erreichen. Die Ursachen der Dinge bilden ununterbrochne Reihen von Gliedern, welche stufenweis von den nächsten Ursachen der Erscheinungen zu entfernten fortführen, endlich aber alle in eine erste allgemeine Ursache, in die Wirkung der Gottheit, zusammen laufen. Diese erste Ursache liegt außer den Grenzen der Körperwelt, und der Mensch wird nie begreifen und übersehen, wie die Gottheit, als ein unendlicher Geist, auf die Körper wirke.

Schon diese Betrachtung zeigt, daß es in der Reihe der Ursachen Glieder gebe, bey welchen der Erklärer still stehen muß, ohne darum zu wissen, wie weit er noch vom ersten, an sich unerreichbaren Gliede, entfernt sey. Die scholastischen Physiker sprangen in solchen Fällen auf einmal zum ersten Gliede über, indem sie Erscheinungen, die sie nicht weiter zu erklären wußten, geradehin dem Willen der


Die Phaͤnomene ſind alſo das Reſultat unſerer Erfahrung, der Beobachtungen und Verſuche. Sie zu ſammeln, zu ordnen und zu erzaͤhlen, iſt eigentlich, wenn man ſtreng eintheilen will, das Geſchaͤft der Naturgeſchichte, im weitlaͤuftigſten Sinne dieſes Worts, ſ. Naturgeſchichte. Da man aber dieſe Wiſſenſchaft insgemein nur auf die Betrachtung der beſondern natuͤrlichen Koͤrper der drey Reiche einſchraͤnkt, ſo bleibt eine ſehr große Menge von Phaͤnomenen ganz allein der Naturlehre uͤberlaſſen, welche ſich aber nicht blos mit Sammlung, Erzaͤhlung und Ordnung der Erfahrungen, ſondern vornehmlich auch mit Erklaͤtung der Phaͤnomene beſchaͤftiget.

Eine Erſcheinung erklaͤren, heißt, ihre Verhaͤltniſſe zu den Dingen, die auf ſie wirken, finden. Ein Phaͤnomen, das gar keine bekannten Verhaͤltniſſe zu andern Dingen haͤtte, wuͤrde unerklaͤrlich ſeyn. Eine vollſtaͤndige Erklaͤrung muͤßte alle Verhaͤltniſſe angeben, in welchen die Erſcheinung mit den Urſachen ihres Daſeyns, ihrer Erhaltung und ihrer Veraͤnderungen ſtehet.

Dieſe vollſtaͤndigen Erklaͤrungen der Phaͤnomene aus den Urſachen ſind nun zwar das große Ziel, nach welchem der Phyſiker, als Ausleger der Natur, ſtrebet; aber es iſt ihm nicht immer moͤglich, daſſelbe zu erreichen. Die Urſachen der Dinge bilden ununterbrochne Reihen von Gliedern, welche ſtufenweis von den naͤchſten Urſachen der Erſcheinungen zu entfernten fortfuͤhren, endlich aber alle in eine erſte allgemeine Urſache, in die Wirkung der Gottheit, zuſammen laufen. Dieſe erſte Urſache liegt außer den Grenzen der Koͤrperwelt, und der Menſch wird nie begreifen und uͤberſehen, wie die Gottheit, als ein unendlicher Geiſt, auf die Koͤrper wirke.

Schon dieſe Betrachtung zeigt, daß es in der Reihe der Urſachen Glieder gebe, bey welchen der Erklaͤrer ſtill ſtehen muß, ohne darum zu wiſſen, wie weit er noch vom erſten, an ſich unerreichbaren Gliede, entfernt ſey. Die ſcholaſtiſchen Phyſiker ſprangen in ſolchen Faͤllen auf einmal zum erſten Gliede uͤber, indem ſie Erſcheinungen, die ſie nicht weiter zu erklaͤren wußten, geradehin dem Willen der

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[455/0461] Die Phaͤnomene ſind alſo das Reſultat unſerer Erfahrung, der Beobachtungen und Verſuche. Sie zu ſammeln, zu ordnen und zu erzaͤhlen, iſt eigentlich, wenn man ſtreng eintheilen will, das Geſchaͤft der Naturgeſchichte, im weitlaͤuftigſten Sinne dieſes Worts, ſ. Naturgeſchichte. Da man aber dieſe Wiſſenſchaft insgemein nur auf die Betrachtung der beſondern natuͤrlichen Koͤrper der drey Reiche einſchraͤnkt, ſo bleibt eine ſehr große Menge von Phaͤnomenen ganz allein der Naturlehre uͤberlaſſen, welche ſich aber nicht blos mit Sammlung, Erzaͤhlung und Ordnung der Erfahrungen, ſondern vornehmlich auch mit Erklaͤtung der Phaͤnomene beſchaͤftiget. Eine Erſcheinung erklaͤren, heißt, ihre Verhaͤltniſſe zu den Dingen, die auf ſie wirken, finden. Ein Phaͤnomen, das gar keine bekannten Verhaͤltniſſe zu andern Dingen haͤtte, wuͤrde unerklaͤrlich ſeyn. Eine vollſtaͤndige Erklaͤrung muͤßte alle Verhaͤltniſſe angeben, in welchen die Erſcheinung mit den Urſachen ihres Daſeyns, ihrer Erhaltung und ihrer Veraͤnderungen ſtehet. Dieſe vollſtaͤndigen Erklaͤrungen der Phaͤnomene aus den Urſachen ſind nun zwar das große Ziel, nach welchem der Phyſiker, als Ausleger der Natur, ſtrebet; aber es iſt ihm nicht immer moͤglich, daſſelbe zu erreichen. Die Urſachen der Dinge bilden ununterbrochne Reihen von Gliedern, welche ſtufenweis von den naͤchſten Urſachen der Erſcheinungen zu entfernten fortfuͤhren, endlich aber alle in eine erſte allgemeine Urſache, in die Wirkung der Gottheit, zuſammen laufen. Dieſe erſte Urſache liegt außer den Grenzen der Koͤrperwelt, und der Menſch wird nie begreifen und uͤberſehen, wie die Gottheit, als ein unendlicher Geiſt, auf die Koͤrper wirke. Schon dieſe Betrachtung zeigt, daß es in der Reihe der Urſachen Glieder gebe, bey welchen der Erklaͤrer ſtill ſtehen muß, ohne darum zu wiſſen, wie weit er noch vom erſten, an ſich unerreichbaren Gliede, entfernt ſey. Die ſcholaſtiſchen Phyſiker ſprangen in ſolchen Faͤllen auf einmal zum erſten Gliede uͤber, indem ſie Erſcheinungen, die ſie nicht weiter zu erklaͤren wußten, geradehin dem Willen der

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/461>, abgerufen am 24.11.2024.