Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.
Keine Wirkungen der Natur ist so gemein, als Stoß und Mittheilung der Bewegung. Man sollte glauben, diese Gegenstände hätten die Neugier der Naturforscher früher, als alle andere, reizen müssen. Dennoch herrschte bis auf Descartes Zeiten ein tiefes Stillschweigen über die Gesetze des Stoßes; selbst Galilei bringt nur wenige Erfahrungen für besondere Fälle bey, und bemerkt, die Kraft des Stoßes sey unendlich in Vergleichung mit der Kraft des Drucks. Herr von Fontenelle sagt, es sey fast schimpflich für die Philosophie, daß sie sich dieser Untersuchungen erst so spät angenommen habe. Descartes (Princip. philos. P. II. §. 36. sqq.) scheint zuerst gefühlt zu haben, daß es für die Mittheilung der Bewegungen bestimmte Gesetze geben müsse. Aber seine Bemühungen, dieselben zu finden, waren höchst unglücklich. Er vergaß gänzlich die Erfahrung zu befragen, hielt sich an gewisse metaphysische Ideen, die seinem systematischen Erfindungsgeiste eine falsche Richtung gaben, und fand darüber lauter Irrthümer, welche des Anführens nicht werth wären, wenn sie nicht der berühmte Name ihres Urhebers merkwürdig machte. Dieser große Weltweise baut die Gesetze des Stoßes auf zween Grundsätze. Der erste ist der im Vorigen angeführte Satz, daß in der Welt immer einerley Größe von Bewegung erhalten werde (§. 36.), den er daraus herleitet, weil die Gottheit, als ein unveränderliches Wesen, von dem doch alle Bewegung herrühre, zu keiner Zeit deren mehr oder weniger, als zur andern, hervorbringen könne, und blos die einmal hervorgebrachte Bewegung
Keine Wirkungen der Natur iſt ſo gemein, als Stoß und Mittheilung der Bewegung. Man ſollte glauben, dieſe Gegenſtaͤnde haͤtten die Neugier der Naturforſcher fruͤher, als alle andere, reizen muͤſſen. Dennoch herrſchte bis auf Descartes Zeiten ein tiefes Stillſchweigen uͤber die Geſetze des Stoßes; ſelbſt Galilei bringt nur wenige Erfahrungen fuͤr beſondere Faͤlle bey, und bemerkt, die Kraft des Stoßes ſey unendlich in Vergleichung mit der Kraft des Drucks. Herr von Fontenelle ſagt, es ſey faſt ſchimpflich fuͤr die Philoſophie, daß ſie ſich dieſer Unterſuchungen erſt ſo ſpaͤt angenommen habe. Descartes (Princip. philoſ. P. II. §. 36. ſqq.) ſcheint zuerſt gefuͤhlt zu haben, daß es fuͤr die Mittheilung der Bewegungen beſtimmte Geſetze geben muͤſſe. Aber ſeine Bemuͤhungen, dieſelben zu finden, waren hoͤchſt ungluͤcklich. Er vergaß gaͤnzlich die Erfahrung zu befragen, hielt ſich an gewiſſe metaphyſiſche Ideen, die ſeinem ſyſtematiſchen Erfindungsgeiſte eine falſche Richtung gaben, und fand daruͤber lauter Irrthuͤmer, welche des Anfuͤhrens nicht werth waͤren, wenn ſie nicht der beruͤhmte Name ihres Urhebers merkwuͤrdig machte. Dieſer große Weltweiſe baut die Geſetze des Stoßes auf zween Grundſaͤtze. Der erſte iſt der im Vorigen angefuͤhrte Satz, daß in der Welt immer einerley Groͤße von Bewegung erhalten werde (§. 36.), den er daraus herleitet, weil die Gottheit, als ein unveraͤnderliches Weſen, von dem doch alle Bewegung herruͤhre, zu keiner Zeit deren mehr oder weniger, als zur andern, hervorbringen koͤnne, und blos die einmal hervorgebrachte Bewegung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0239" xml:id="P.4.229" n="229"/><lb/><hi rendition="#b">Huygens Buch</hi> (<hi rendition="#aq">De motu corporum ex percuſſione, in Opp. reliquis. To. II.</hi>) enthaͤlt eine ſchaͤtzbare Sammlung derſelben. Zu ihrer Beſtaͤtigung durch Verſuche dient <hi rendition="#b">Mariotte's</hi> von <hi rendition="#b">Nollet</hi> verbeſſerte Maſchine, <hi rendition="#b">ſ. Percuſſionsmaſchine,</hi> wobey jedoch das bey Num. 14. Bemerkte zu bedenken iſt. <hi rendition="#c">Geſchichte dieſer Geſetze.</hi></p> <p>Keine Wirkungen der Natur iſt ſo gemein, als Stoß und Mittheilung der Bewegung. Man ſollte glauben, dieſe Gegenſtaͤnde haͤtten die Neugier der Naturforſcher fruͤher, als alle andere, reizen muͤſſen. Dennoch herrſchte bis auf <hi rendition="#b">Descartes</hi> Zeiten ein tiefes Stillſchweigen uͤber die Geſetze des Stoßes; ſelbſt <hi rendition="#b">Galilei</hi> bringt nur wenige Erfahrungen fuͤr beſondere Faͤlle bey, und bemerkt, die Kraft des Stoßes ſey unendlich in Vergleichung mit der Kraft des Drucks. Herr <hi rendition="#b">von Fontenelle</hi> ſagt, es ſey faſt ſchimpflich fuͤr die Philoſophie, daß ſie ſich dieſer Unterſuchungen erſt ſo ſpaͤt angenommen habe.</p> <p><hi rendition="#b">Descartes</hi> (<hi rendition="#aq">Princip. philoſ. P. II. §. 36. ſqq.</hi>) ſcheint zuerſt gefuͤhlt zu haben, daß es fuͤr die Mittheilung der Bewegungen beſtimmte Geſetze geben muͤſſe. Aber ſeine Bemuͤhungen, dieſelben zu finden, waren hoͤchſt ungluͤcklich. Er vergaß gaͤnzlich die Erfahrung zu befragen, hielt ſich an gewiſſe metaphyſiſche Ideen, die ſeinem ſyſtematiſchen Erfindungsgeiſte eine falſche Richtung gaben, und fand daruͤber lauter Irrthuͤmer, welche des Anfuͤhrens nicht werth waͤren, wenn ſie nicht der beruͤhmte Name ihres Urhebers merkwuͤrdig machte.</p> <p>Dieſer große Weltweiſe baut die Geſetze des Stoßes auf zween Grundſaͤtze. Der erſte iſt der im Vorigen angefuͤhrte Satz, <hi rendition="#b">daß in der Welt immer einerley Groͤße von Bewegung erhalten werde</hi> (§. 36.), den er daraus herleitet, weil die Gottheit, als ein <hi rendition="#b">unveraͤnderliches</hi> Weſen, von dem doch alle Bewegung herruͤhre, zu keiner Zeit deren mehr oder weniger, als zur andern, hervorbringen koͤnne, und blos die einmal hervorgebrachte Bewegung<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [229/0239]
Huygens Buch (De motu corporum ex percuſſione, in Opp. reliquis. To. II.) enthaͤlt eine ſchaͤtzbare Sammlung derſelben. Zu ihrer Beſtaͤtigung durch Verſuche dient Mariotte's von Nollet verbeſſerte Maſchine, ſ. Percuſſionsmaſchine, wobey jedoch das bey Num. 14. Bemerkte zu bedenken iſt. Geſchichte dieſer Geſetze.
Keine Wirkungen der Natur iſt ſo gemein, als Stoß und Mittheilung der Bewegung. Man ſollte glauben, dieſe Gegenſtaͤnde haͤtten die Neugier der Naturforſcher fruͤher, als alle andere, reizen muͤſſen. Dennoch herrſchte bis auf Descartes Zeiten ein tiefes Stillſchweigen uͤber die Geſetze des Stoßes; ſelbſt Galilei bringt nur wenige Erfahrungen fuͤr beſondere Faͤlle bey, und bemerkt, die Kraft des Stoßes ſey unendlich in Vergleichung mit der Kraft des Drucks. Herr von Fontenelle ſagt, es ſey faſt ſchimpflich fuͤr die Philoſophie, daß ſie ſich dieſer Unterſuchungen erſt ſo ſpaͤt angenommen habe.
Descartes (Princip. philoſ. P. II. §. 36. ſqq.) ſcheint zuerſt gefuͤhlt zu haben, daß es fuͤr die Mittheilung der Bewegungen beſtimmte Geſetze geben muͤſſe. Aber ſeine Bemuͤhungen, dieſelben zu finden, waren hoͤchſt ungluͤcklich. Er vergaß gaͤnzlich die Erfahrung zu befragen, hielt ſich an gewiſſe metaphyſiſche Ideen, die ſeinem ſyſtematiſchen Erfindungsgeiſte eine falſche Richtung gaben, und fand daruͤber lauter Irrthuͤmer, welche des Anfuͤhrens nicht werth waͤren, wenn ſie nicht der beruͤhmte Name ihres Urhebers merkwuͤrdig machte.
Dieſer große Weltweiſe baut die Geſetze des Stoßes auf zween Grundſaͤtze. Der erſte iſt der im Vorigen angefuͤhrte Satz, daß in der Welt immer einerley Groͤße von Bewegung erhalten werde (§. 36.), den er daraus herleitet, weil die Gottheit, als ein unveraͤnderliches Weſen, von dem doch alle Bewegung herruͤhre, zu keiner Zeit deren mehr oder weniger, als zur andern, hervorbringen koͤnne, und blos die einmal hervorgebrachte Bewegung
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