Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.4. Stößt ein kleiner Körper an einen größern ruhenden, so geht der kleinere mit seiner ganzen Geschwindigkeit zurück, ohne dem größern einige Bewegung mitzutheilen (§. 49.). 5. Stößt ein größerer Körper M an einen kleinern ruhenden m, so wird der ruhende mit fortgerissen, und beyde gehen zusammen mit einer Geschwindigkeit fort, die im Verhältnisse M+m:M vermindert ist (§. 50.). Es scheint, diese Gesetze sollen für alle feste Körper überhaupt gelten, weil Descartes harte und elastische nirgends unterscheidet, auch durch corpora dura überall alle feste Körper im Gegensatze mit den flüßigen versteht. Aber gleich das erste Gesetz ist nur für elastische Körper wahr, das zweyte und dritte finden weder für harte noch für elastische statt. Vor allen andern ist das vierte auffallend unwahr, und kan durch ein Spielwerk widerlegt werden, wenn man mit einer kleinen Billardkugel auf eine große spielt, oder wenn man eine frey aufgehangene Canonenkugel durch eine daran geworfene Flintenkugel bewegt. Montucla, so sehr sonst Descartes sein Held ist, bewundert doch die Gelehrsamkeit der Schüler, die solche Sätze hätten glauben können. Auch hatte Clerselier, der nachmalige Herausgeber von Descartes Briefen seinen Lehrer Einwendungen gemacht, die dieser (Lettr. To. I. 117.) sehr unverständlich beantwortet. In den Principien (P. II. §. 56. 57.) erklärt er solche Bewegungen größerer Körper durch kleinere, aus dem gestörten Gleichgewichte in den umgebenden Mitteln, und verwahrt sich überhaupt gegen alle Widersprüche aus Versuchen (§. 53.) damit, daß es keine vollkommen festen Körper gebe, und daß die umgebenden flüßigen Materien überall mitwirken. Montucla kan nicht umhin (malgre le respect dau au Philosophe Francois), dieses eine erbärmliche Ausflucht (une defaite pitoyable) zu nennen. Im fünften Gesetze ist für unelastische Körper, freylich nur durch Zufall, die Wahrheit getroffen. Diese Gesetze stehen auch in gar keiner allgemeinen Verbindung unter sich selbst. Ihre V und v sind keine beständigen 4. Stoͤßt ein kleiner Koͤrper an einen groͤßern ruhenden, ſo geht der kleinere mit ſeiner ganzen Geſchwindigkeit zuruͤck, ohne dem groͤßern einige Bewegung mitzutheilen (§. 49.). 5. Stoͤßt ein groͤßerer Koͤrper M an einen kleinern ruhenden m, ſo wird der ruhende mit fortgeriſſen, und beyde gehen zuſammen mit einer Geſchwindigkeit fort, die im Verhaͤltniſſe M+m:M vermindert iſt (§. 50.). Es ſcheint, dieſe Geſetze ſollen fuͤr alle feſte Koͤrper uͤberhaupt gelten, weil Descartes harte und elaſtiſche nirgends unterſcheidet, auch durch corpora dura uͤberall alle feſte Koͤrper im Gegenſatze mit den fluͤßigen verſteht. Aber gleich das erſte Geſetz iſt nur fuͤr elaſtiſche Koͤrper wahr, das zweyte und dritte finden weder fuͤr harte noch fuͤr elaſtiſche ſtatt. Vor allen andern iſt das vierte auffallend unwahr, und kan durch ein Spielwerk widerlegt werden, wenn man mit einer kleinen Billardkugel auf eine große ſpielt, oder wenn man eine frey aufgehangene Canonenkugel durch eine daran geworfene Flintenkugel bewegt. Montucla, ſo ſehr ſonſt Descartes ſein Held iſt, bewundert doch die Gelehrſamkeit der Schuͤler, die ſolche Saͤtze haͤtten glauben koͤnnen. Auch hatte Clerſelier, der nachmalige Herausgeber von Descartes Briefen ſeinen Lehrer Einwendungen gemacht, die dieſer (Lettr. To. I. 117.) ſehr unverſtaͤndlich beantwortet. In den Principien (P. II. §. 56. 57.) erklaͤrt er ſolche Bewegungen groͤßerer Koͤrper durch kleinere, aus dem geſtoͤrten Gleichgewichte in den umgebenden Mitteln, und verwahrt ſich uͤberhaupt gegen alle Widerſpruͤche aus Verſuchen (§. 53.) damit, daß es keine vollkommen feſten Koͤrper gebe, und daß die umgebenden fluͤßigen Materien uͤberall mitwirken. Montucla kan nicht umhin (malgré le reſpect dû au Philoſophe François), dieſes eine erbaͤrmliche Ausflucht (une défaite pitoyable) zu nennen. Im fuͤnften Geſetze iſt fuͤr unelaſtiſche Koͤrper, freylich nur durch Zufall, die Wahrheit getroffen. Dieſe Geſetze ſtehen auch in gar keiner allgemeinen Verbindung unter ſich ſelbſt. Ihre V und v ſind keine beſtaͤndigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <pb facs="#f0241" xml:id="P.4.231" n="231"/><lb/> </p> <p>4. Stoͤßt ein kleiner Koͤrper an einen groͤßern ruhenden, ſo geht der kleinere mit ſeiner ganzen Geſchwindigkeit zuruͤck, ohne dem groͤßern einige Bewegung mitzutheilen (§. 49.).</p> <p>5. Stoͤßt ein groͤßerer Koͤrper <hi rendition="#aq">M</hi> an einen kleinern ruhenden <hi rendition="#aq">m,</hi> ſo wird der ruhende mit fortgeriſſen, und beyde gehen zuſammen mit einer Geſchwindigkeit fort, die im Verhaͤltniſſe <hi rendition="#aq">M+m:M</hi> vermindert iſt (§. 50.).</p> <p>Es ſcheint, dieſe Geſetze ſollen fuͤr alle feſte Koͤrper uͤberhaupt gelten, weil <hi rendition="#b">Descartes</hi> harte und elaſtiſche nirgends unterſcheidet, auch durch <hi rendition="#aq">corpora dura</hi> uͤberall alle feſte Koͤrper im Gegenſatze mit den fluͤßigen verſteht. Aber gleich das erſte Geſetz iſt nur fuͤr elaſtiſche Koͤrper wahr, das zweyte und dritte finden weder fuͤr harte noch fuͤr elaſtiſche ſtatt.</p> <p>Vor allen andern iſt das vierte auffallend unwahr, und kan durch ein Spielwerk widerlegt werden, wenn man mit einer kleinen Billardkugel auf eine große ſpielt, oder wenn man eine frey aufgehangene Canonenkugel durch eine daran geworfene Flintenkugel bewegt. <hi rendition="#b">Montucla,</hi> ſo ſehr ſonſt Descartes ſein Held iſt, bewundert doch die Gelehrſamkeit der Schuͤler, die ſolche Saͤtze haͤtten glauben koͤnnen. Auch hatte <hi rendition="#b">Clerſelier,</hi> der nachmalige Herausgeber von Descartes Briefen ſeinen Lehrer Einwendungen gemacht, die dieſer (<hi rendition="#aq">Lettr. To. I. 117.</hi>) ſehr unverſtaͤndlich beantwortet. In den Principien (<hi rendition="#aq">P. II. §. 56. 57.</hi>) erklaͤrt er ſolche Bewegungen groͤßerer Koͤrper durch kleinere, aus dem geſtoͤrten Gleichgewichte in den umgebenden Mitteln, und verwahrt ſich uͤberhaupt gegen alle Widerſpruͤche aus Verſuchen (§. 53.) damit, daß es keine vollkommen feſten Koͤrper gebe, und daß die umgebenden fluͤßigen Materien uͤberall mitwirken. <hi rendition="#b">Montucla</hi> kan nicht umhin (<hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">malgré le reſpect dû au Philoſophe François</hi></hi>), dieſes eine erbaͤrmliche Ausflucht (<hi rendition="#aq">une défaite pitoyable</hi>) zu nennen. Im fuͤnften Geſetze iſt fuͤr unelaſtiſche Koͤrper, freylich nur durch Zufall, die Wahrheit getroffen.</p> <p>Dieſe Geſetze ſtehen auch in gar keiner allgemeinen Verbindung unter ſich ſelbſt. Ihre <hi rendition="#aq">V</hi> und <hi rendition="#aq">v</hi> ſind keine beſtaͤndigen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [231/0241]
4. Stoͤßt ein kleiner Koͤrper an einen groͤßern ruhenden, ſo geht der kleinere mit ſeiner ganzen Geſchwindigkeit zuruͤck, ohne dem groͤßern einige Bewegung mitzutheilen (§. 49.).
5. Stoͤßt ein groͤßerer Koͤrper M an einen kleinern ruhenden m, ſo wird der ruhende mit fortgeriſſen, und beyde gehen zuſammen mit einer Geſchwindigkeit fort, die im Verhaͤltniſſe M+m:M vermindert iſt (§. 50.).
Es ſcheint, dieſe Geſetze ſollen fuͤr alle feſte Koͤrper uͤberhaupt gelten, weil Descartes harte und elaſtiſche nirgends unterſcheidet, auch durch corpora dura uͤberall alle feſte Koͤrper im Gegenſatze mit den fluͤßigen verſteht. Aber gleich das erſte Geſetz iſt nur fuͤr elaſtiſche Koͤrper wahr, das zweyte und dritte finden weder fuͤr harte noch fuͤr elaſtiſche ſtatt.
Vor allen andern iſt das vierte auffallend unwahr, und kan durch ein Spielwerk widerlegt werden, wenn man mit einer kleinen Billardkugel auf eine große ſpielt, oder wenn man eine frey aufgehangene Canonenkugel durch eine daran geworfene Flintenkugel bewegt. Montucla, ſo ſehr ſonſt Descartes ſein Held iſt, bewundert doch die Gelehrſamkeit der Schuͤler, die ſolche Saͤtze haͤtten glauben koͤnnen. Auch hatte Clerſelier, der nachmalige Herausgeber von Descartes Briefen ſeinen Lehrer Einwendungen gemacht, die dieſer (Lettr. To. I. 117.) ſehr unverſtaͤndlich beantwortet. In den Principien (P. II. §. 56. 57.) erklaͤrt er ſolche Bewegungen groͤßerer Koͤrper durch kleinere, aus dem geſtoͤrten Gleichgewichte in den umgebenden Mitteln, und verwahrt ſich uͤberhaupt gegen alle Widerſpruͤche aus Verſuchen (§. 53.) damit, daß es keine vollkommen feſten Koͤrper gebe, und daß die umgebenden fluͤßigen Materien uͤberall mitwirken. Montucla kan nicht umhin (malgré le reſpect dû au Philoſophe François), dieſes eine erbaͤrmliche Ausflucht (une défaite pitoyable) zu nennen. Im fuͤnften Geſetze iſt fuͤr unelaſtiſche Koͤrper, freylich nur durch Zufall, die Wahrheit getroffen.
Dieſe Geſetze ſtehen auch in gar keiner allgemeinen Verbindung unter ſich ſelbſt. Ihre V und v ſind keine beſtaͤndigen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription.
(2015-09-02T12:13:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-09-02T12:13:09Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |