Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.Man muß bey den teleologischen Sätzen zuvor die Thatsachen und Gesetze erweisen, und dann erst aus ihnen die Zwecke folgern oder muthmaßen: nicht aber in umgekehrter Ordnung Zwecke voraussetzen, und aus diesen Naturgesetze und Thatsachen demonstriren oder erklären wollen. In der Physik müssen die Demonstrationen blos auf Erfahrungen beruhen, und die Causalerklärungen aus den wirkenden, nicht aus den Endursachen abgeleitet seyn. In diesen Fehler würde man verfallen, wenn man mit Aristoteles und den Scholastikern gewisse Begebenheiten aus den Absichten der Natur, nichts vergeblich zu thun, das Beste zu wählen, die Leere zu vermeiden u. s. w., oder die Gesetze des Stoßes aus der Absicht, immer gleich viel Bewegung zu erhalten, die Mechanik aus der Absicht der Erhaltung lebendiger Kräfte u. dergl. herleiten wollte; oder wenn man durch Fermats, Leibnitzens, von Maupertuis u. a. Sätze, daß der Schöpfer die kürzeste Zeit, den leichtesten Weg, die kleinste Wirkung gewählt habe, Demonstrationen der Naturgesetze zu erhalten glaubte. Die gehörige Ordnung der Schlüsse ist gerade die umgekehrte. Maupertuis selbst (Essai de Cosmologie, am Schlusse des I. Th.) hat dies sehr deutlich gefühlt. "Ich hätte", sagt er, "von den Gesetzen, wie sie "die Mathematiker angeben, und wie sie die Erfahrung "bestätiget, ausgehen, und erst nachher in ihnen die Spu"ren der göttlichen Macht und Weisheit aufsuchen können. "Aber da die Erfinder dieser Gesetze Voraussetzungen zu "Hülfe nehmen, die nicht rein geometrisch sind, mithin die "Gewißheit der Sache nicht auf ganz strenge Demonstra"tionen gegründet ist; so hielt ich es für sicherer und vor"theilhafter, sie aus den Eigenschaften eines allmächtigen "und allweisen Wesens herzuleiten. Wenn ich auf diesem "Wege eben die Gesetze finde, die in der wirklichen Welt "statt haben, ist das nicht der stärkste Beweis, daß "ein solches Wesen vorhanden, und der Urheber die"ser Gesetze sey?" Bey dieser Wendung mag die Sache hingehen; aber immer bleibt die gewählte Schlußart nicht die sicherste: der Gegner der Vorsehung wird dabey Man muß bey den teleologiſchen Saͤtzen zuvor die Thatſachen und Geſetze erweiſen, und dann erſt aus ihnen die Zwecke folgern oder muthmaßen: nicht aber in umgekehrter Ordnung Zwecke vorausſetzen, und aus dieſen Naturgeſetze und Thatſachen demonſtriren oder erklaͤren wollen. In der Phyſik muͤſſen die Demonſtrationen blos auf Erfahrungen beruhen, und die Cauſalerklaͤrungen aus den wirkenden, nicht aus den Endurſachen abgeleitet ſeyn. In dieſen Fehler wuͤrde man verfallen, wenn man mit Ariſtoteles und den Scholaſtikern gewiſſe Begebenheiten aus den Abſichten der Natur, nichts vergeblich zu thun, das Beſte zu waͤhlen, die Leere zu vermeiden u. ſ. w., oder die Geſetze des Stoßes aus der Abſicht, immer gleich viel Bewegung zu erhalten, die Mechanik aus der Abſicht der Erhaltung lebendiger Kraͤfte u. dergl. herleiten wollte; oder wenn man durch Fermats, Leibnitzens, von Maupertuis u. a. Saͤtze, daß der Schoͤpfer die kuͤrzeſte Zeit, den leichteſten Weg, die kleinſte Wirkung gewaͤhlt habe, Demonſtrationen der Naturgeſetze zu erhalten glaubte. Die gehoͤrige Ordnung der Schluͤſſe iſt gerade die umgekehrte. Maupertuis ſelbſt (Eſſai de Coſmologie, am Schluſſe des I. Th.) hat dies ſehr deutlich gefuͤhlt. ”Ich haͤtte“, ſagt er, ”von den Geſetzen, wie ſie ”die Mathematiker angeben, und wie ſie die Erfahrung ”beſtaͤtiget, ausgehen, und erſt nachher in ihnen die Spu”ren der goͤttlichen Macht und Weisheit aufſuchen koͤnnen. ”Aber da die Erfinder dieſer Geſetze Vorausſetzungen zu ”Huͤlfe nehmen, die nicht rein geometriſch ſind, mithin die ”Gewißheit der Sache nicht auf ganz ſtrenge Demonſtra”tionen gegruͤndet iſt; ſo hielt ich es fuͤr ſicherer und vor”theilhafter, ſie aus den Eigenſchaften eines allmaͤchtigen ”und allweiſen Weſens herzuleiten. Wenn ich auf dieſem ”Wege eben die Geſetze finde, die in der wirklichen Welt ”ſtatt haben, iſt das nicht der ſtaͤrkſte Beweis, daß ”ein ſolches Weſen vorhanden, und der Urheber die”ſer Geſetze ſey?“ Bey dieſer Wendung mag die Sache hingehen; aber immer bleibt die gewaͤhlte Schlußart nicht die ſicherſte: der Gegner der Vorſehung wird dabey <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <pb facs="#f0297" xml:id="P.4.287" n="287"/><lb/> </p> <p>Man muß bey den teleologiſchen Saͤtzen zuvor die Thatſachen und Geſetze erweiſen, und dann erſt aus ihnen die Zwecke folgern oder muthmaßen: nicht aber in umgekehrter Ordnung Zwecke vorausſetzen, und aus dieſen Naturgeſetze und Thatſachen <hi rendition="#b">demonſtriren</hi> oder <hi rendition="#b">erklaͤren</hi> wollen. In der Phyſik muͤſſen die Demonſtrationen blos auf Erfahrungen beruhen, und die Cauſalerklaͤrungen aus den <hi rendition="#b">wirkenden,</hi> nicht aus den <hi rendition="#b">Endurſachen</hi> abgeleitet ſeyn. 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Man muß bey den teleologiſchen Saͤtzen zuvor die Thatſachen und Geſetze erweiſen, und dann erſt aus ihnen die Zwecke folgern oder muthmaßen: nicht aber in umgekehrter Ordnung Zwecke vorausſetzen, und aus dieſen Naturgeſetze und Thatſachen demonſtriren oder erklaͤren wollen. In der Phyſik muͤſſen die Demonſtrationen blos auf Erfahrungen beruhen, und die Cauſalerklaͤrungen aus den wirkenden, nicht aus den Endurſachen abgeleitet ſeyn. In dieſen Fehler wuͤrde man verfallen, wenn man mit Ariſtoteles und den Scholaſtikern gewiſſe Begebenheiten aus den Abſichten der Natur, nichts vergeblich zu thun, das Beſte zu waͤhlen, die Leere zu vermeiden u. ſ. w., oder die Geſetze des Stoßes aus der Abſicht, immer gleich viel Bewegung zu erhalten, die Mechanik aus der Abſicht der Erhaltung lebendiger Kraͤfte u. dergl. herleiten wollte; oder wenn man durch Fermats, Leibnitzens, von Maupertuis u. a. Saͤtze, daß der Schoͤpfer die kuͤrzeſte Zeit, den leichteſten Weg, die kleinſte Wirkung gewaͤhlt habe, Demonſtrationen der Naturgeſetze zu erhalten glaubte. Die gehoͤrige Ordnung der Schluͤſſe iſt gerade die umgekehrte. Maupertuis ſelbſt (Eſſai de Coſmologie, am Schluſſe des I. Th.) hat dies ſehr deutlich gefuͤhlt. ”Ich haͤtte“, ſagt er, ”von den Geſetzen, wie ſie ”die Mathematiker angeben, und wie ſie die Erfahrung ”beſtaͤtiget, ausgehen, und erſt nachher in ihnen die Spu”ren der goͤttlichen Macht und Weisheit aufſuchen koͤnnen. ”Aber da die Erfinder dieſer Geſetze Vorausſetzungen zu ”Huͤlfe nehmen, die nicht rein geometriſch ſind, mithin die ”Gewißheit der Sache nicht auf ganz ſtrenge Demonſtra”tionen gegruͤndet iſt; ſo hielt ich es fuͤr ſicherer und vor”theilhafter, ſie aus den Eigenſchaften eines allmaͤchtigen ”und allweiſen Weſens herzuleiten. Wenn ich auf dieſem ”Wege eben die Geſetze finde, die in der wirklichen Welt ”ſtatt haben, iſt das nicht der ſtaͤrkſte Beweis, daß ”ein ſolches Weſen vorhanden, und der Urheber die”ſer Geſetze ſey?“ Bey dieſer Wendung mag die Sache hingehen; aber immer bleibt die gewaͤhlte Schlußart nicht die ſicherſte: der Gegner der Vorſehung wird dabey
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