Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


haben insonderheit Boerhaave (Instit. rei medicae) und Georg Martine (De animalibus similibus et animalium calore Libri II. Lond. 1740. 8.) ausgeführt. Man berief sich darauf, daß Bewegung stets mehr Wärme erzeuge, und im strengen Froste das einzige Mittel bleibe, dem Tode zu entgehen; daß der schnellere Pulsschlag allezeit mit mehr Wärme begleitet sey; daß die Wärme durch mehrere Festigkeit und Dichte der Gefäße zunehme, z. B. bey Erwachsenen größer, als bey Kindern, sey; daß Alter und Krankheiten, welche den Pulsschlag vermindern, stets auch Kälte erregen; daß in erstarrten Körpern die Wärme sogleich wiederkomme, wenn durch irgend einen Reiz die Bewegung des Herzens und der Kreislauf des Bluts wieder verstärkt werde u. s. w. Man schloß hieraus, die Wärme verhalte sich direct, wie die Geschwindigkeit des Bluts und umgekehrt wie der Durchmesser der Gefäße. Dadurch ward erklärt, warum die Wärme in den verschiedenen Theilen des Körpers fast einerley sey, weil in den größern Gefäßen größere Geschwindigkeit mit weniger Reibung, in den kleinern hingegen geringere Geschwindigkeit mit mehr Reibung verbunden sey: ingleichen, warum kleine Thiere eben so warm sind, als große, weil sich die gleichgroßen Blutkügelchen in den engern Gefäßen der kleinern Thiere stärker reiben müßten, u. s. w.

Es sind aber Geschwindigkeit und Reibung des Bluts offenbar zu schwach, die thierische Wärme hinreichend zu erklären. Wenn auch das Blut in einer Secunde 2 1/2 Schuh zurücklegt, so wissen wir doch, daß Wasser und andere Flüssigkeiten sich gar nicht erwärmen, wenn sie gleich mit weit größerer Geschwindigkeit und stärkerer Reibung durch feste Canäle getrieben werden. Die Wärme folgt auch nicht dem Verhältnisse der Pulsgeschwindigkeit. Wenn in der Fieberhitze die Zahl der Pulsschläge in einer Minute von 70 bis 130 steigt, mithin fast doppelt so groß wird, so steigt die Wärme doch nur von 99 bis 108 Grad, also in einem sehr geringen Verhältnisse. In den hohen Graden der Hitze, welche Banks und Solander ertrugen, stieg die Anzahl der Pulsschläge auf 136 bis 144, ohne sonderliche Verstärkung


haben inſonderheit Boerhaave (Inſtit. rei medicae) und Georg Martine (De animalibus ſimilibus et animalium calore Libri II. Lond. 1740. 8.) ausgefuͤhrt. Man berief ſich darauf, daß Bewegung ſtets mehr Waͤrme erzeuge, und im ſtrengen Froſte das einzige Mittel bleibe, dem Tode zu entgehen; daß der ſchnellere Pulsſchlag allezeit mit mehr Waͤrme begleitet ſey; daß die Waͤrme durch mehrere Feſtigkeit und Dichte der Gefaͤße zunehme, z. B. bey Erwachſenen groͤßer, als bey Kindern, ſey; daß Alter und Krankheiten, welche den Pulsſchlag vermindern, ſtets auch Kaͤlte erregen; daß in erſtarrten Koͤrpern die Waͤrme ſogleich wiederkomme, wenn durch irgend einen Reiz die Bewegung des Herzens und der Kreislauf des Bluts wieder verſtaͤrkt werde u. ſ. w. Man ſchloß hieraus, die Waͤrme verhalte ſich direct, wie die Geſchwindigkeit des Bluts und umgekehrt wie der Durchmeſſer der Gefaͤße. Dadurch ward erklaͤrt, warum die Waͤrme in den verſchiedenen Theilen des Koͤrpers faſt einerley ſey, weil in den groͤßern Gefaͤßen groͤßere Geſchwindigkeit mit weniger Reibung, in den kleinern hingegen geringere Geſchwindigkeit mit mehr Reibung verbunden ſey: ingleichen, warum kleine Thiere eben ſo warm ſind, als große, weil ſich die gleichgroßen Blutkuͤgelchen in den engern Gefaͤßen der kleinern Thiere ſtaͤrker reiben muͤßten, u. ſ. w.

Es ſind aber Geſchwindigkeit und Reibung des Bluts offenbar zu ſchwach, die thieriſche Waͤrme hinreichend zu erklaͤren. Wenn auch das Blut in einer Secunde 2 1/2 Schuh zuruͤcklegt, ſo wiſſen wir doch, daß Waſſer und andere Fluͤſſigkeiten ſich gar nicht erwaͤrmen, wenn ſie gleich mit weit groͤßerer Geſchwindigkeit und ſtaͤrkerer Reibung durch feſte Canaͤle getrieben werden. Die Waͤrme folgt auch nicht dem Verhaͤltniſſe der Pulsgeſchwindigkeit. Wenn in der Fieberhitze die Zahl der Pulsſchlaͤge in einer Minute von 70 bis 130 ſteigt, mithin faſt doppelt ſo groß wird, ſo ſteigt die Waͤrme doch nur von 99 bis 108 Grad, alſo in einem ſehr geringen Verhaͤltniſſe. In den hohen Graden der Hitze, welche Banks und Solander ertrugen, ſtieg die Anzahl der Pulsſchlaͤge auf 136 bis 144, ohne ſonderliche Verſtaͤrkung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0598" xml:id="P.4.588" n="588"/><lb/>
haben in&#x017F;onderheit <hi rendition="#b">Boerhaave</hi> (<hi rendition="#aq">In&#x017F;tit. rei medicae</hi>) und <hi rendition="#b">Georg Martine</hi> (<hi rendition="#aq">De animalibus &#x017F;imilibus et animalium calore Libri II. Lond. 1740. 8.</hi>) ausgefu&#x0364;hrt. Man berief &#x017F;ich darauf, daß Bewegung &#x017F;tets mehr Wa&#x0364;rme erzeuge, und im &#x017F;trengen Fro&#x017F;te das einzige Mittel bleibe, dem Tode zu entgehen; daß der &#x017F;chnellere Puls&#x017F;chlag allezeit mit mehr Wa&#x0364;rme begleitet &#x017F;ey; daß die Wa&#x0364;rme durch mehrere Fe&#x017F;tigkeit und Dichte der Gefa&#x0364;ße zunehme, z. B. bey Erwach&#x017F;enen gro&#x0364;ßer, als bey Kindern, &#x017F;ey; daß Alter und Krankheiten, welche den Puls&#x017F;chlag vermindern, &#x017F;tets auch Ka&#x0364;lte erregen; daß in er&#x017F;tarrten Ko&#x0364;rpern die Wa&#x0364;rme &#x017F;ogleich wiederkomme, wenn durch irgend einen Reiz die Bewegung des Herzens und der Kreislauf des Bluts wieder ver&#x017F;ta&#x0364;rkt werde u. &#x017F;. w. Man &#x017F;chloß hieraus, die Wa&#x0364;rme verhalte &#x017F;ich direct, wie die Ge&#x017F;chwindigkeit des Bluts und umgekehrt wie der Durchme&#x017F;&#x017F;er der Gefa&#x0364;ße. Dadurch ward erkla&#x0364;rt, warum die Wa&#x0364;rme in den ver&#x017F;chiedenen Theilen des Ko&#x0364;rpers fa&#x017F;t einerley &#x017F;ey, weil in den gro&#x0364;ßern Gefa&#x0364;ßen gro&#x0364;ßere Ge&#x017F;chwindigkeit mit weniger Reibung, in den kleinern hingegen geringere Ge&#x017F;chwindigkeit mit mehr Reibung verbunden &#x017F;ey: ingleichen, warum kleine Thiere eben &#x017F;o warm &#x017F;ind, als große, weil &#x017F;ich die gleichgroßen Blutku&#x0364;gelchen in den engern Gefa&#x0364;ßen der kleinern Thiere &#x017F;ta&#x0364;rker reiben mu&#x0364;ßten, u. &#x017F;. w.</p>
            <p>Es &#x017F;ind aber Ge&#x017F;chwindigkeit und Reibung des Bluts offenbar zu &#x017F;chwach, die thieri&#x017F;che Wa&#x0364;rme hinreichend zu erkla&#x0364;ren. Wenn auch das Blut in einer Secunde 2 1/2 Schuh zuru&#x0364;cklegt, &#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;en wir doch, daß Wa&#x017F;&#x017F;er und andere Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeiten &#x017F;ich gar nicht erwa&#x0364;rmen, wenn &#x017F;ie gleich mit weit gro&#x0364;ßerer Ge&#x017F;chwindigkeit und &#x017F;ta&#x0364;rkerer Reibung durch fe&#x017F;te Cana&#x0364;le getrieben werden. Die Wa&#x0364;rme folgt auch nicht dem Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e der Pulsge&#x017F;chwindigkeit. Wenn in der Fieberhitze die Zahl der Puls&#x017F;chla&#x0364;ge in einer Minute von 70 bis 130 &#x017F;teigt, mithin fa&#x017F;t doppelt &#x017F;o groß wird, &#x017F;o &#x017F;teigt die Wa&#x0364;rme doch nur von 99 bis 108 Grad, al&#x017F;o in einem &#x017F;ehr geringen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e. In den hohen Graden der Hitze, welche <hi rendition="#b">Banks</hi> und <hi rendition="#b">Solander</hi> ertrugen, &#x017F;tieg die Anzahl der Puls&#x017F;chla&#x0364;ge auf 136 bis 144, ohne &#x017F;onderliche Ver&#x017F;ta&#x0364;rkung<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[588/0598] haben inſonderheit Boerhaave (Inſtit. rei medicae) und Georg Martine (De animalibus ſimilibus et animalium calore Libri II. Lond. 1740. 8.) ausgefuͤhrt. Man berief ſich darauf, daß Bewegung ſtets mehr Waͤrme erzeuge, und im ſtrengen Froſte das einzige Mittel bleibe, dem Tode zu entgehen; daß der ſchnellere Pulsſchlag allezeit mit mehr Waͤrme begleitet ſey; daß die Waͤrme durch mehrere Feſtigkeit und Dichte der Gefaͤße zunehme, z. B. bey Erwachſenen groͤßer, als bey Kindern, ſey; daß Alter und Krankheiten, welche den Pulsſchlag vermindern, ſtets auch Kaͤlte erregen; daß in erſtarrten Koͤrpern die Waͤrme ſogleich wiederkomme, wenn durch irgend einen Reiz die Bewegung des Herzens und der Kreislauf des Bluts wieder verſtaͤrkt werde u. ſ. w. Man ſchloß hieraus, die Waͤrme verhalte ſich direct, wie die Geſchwindigkeit des Bluts und umgekehrt wie der Durchmeſſer der Gefaͤße. Dadurch ward erklaͤrt, warum die Waͤrme in den verſchiedenen Theilen des Koͤrpers faſt einerley ſey, weil in den groͤßern Gefaͤßen groͤßere Geſchwindigkeit mit weniger Reibung, in den kleinern hingegen geringere Geſchwindigkeit mit mehr Reibung verbunden ſey: ingleichen, warum kleine Thiere eben ſo warm ſind, als große, weil ſich die gleichgroßen Blutkuͤgelchen in den engern Gefaͤßen der kleinern Thiere ſtaͤrker reiben muͤßten, u. ſ. w. Es ſind aber Geſchwindigkeit und Reibung des Bluts offenbar zu ſchwach, die thieriſche Waͤrme hinreichend zu erklaͤren. Wenn auch das Blut in einer Secunde 2 1/2 Schuh zuruͤcklegt, ſo wiſſen wir doch, daß Waſſer und andere Fluͤſſigkeiten ſich gar nicht erwaͤrmen, wenn ſie gleich mit weit groͤßerer Geſchwindigkeit und ſtaͤrkerer Reibung durch feſte Canaͤle getrieben werden. Die Waͤrme folgt auch nicht dem Verhaͤltniſſe der Pulsgeſchwindigkeit. Wenn in der Fieberhitze die Zahl der Pulsſchlaͤge in einer Minute von 70 bis 130 ſteigt, mithin faſt doppelt ſo groß wird, ſo ſteigt die Waͤrme doch nur von 99 bis 108 Grad, alſo in einem ſehr geringen Verhaͤltniſſe. In den hohen Graden der Hitze, welche Banks und Solander ertrugen, ſtieg die Anzahl der Pulsſchlaͤge auf 136 bis 144, ohne ſonderliche Verſtaͤrkung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/598
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/598>, abgerufen am 28.07.2024.