Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite


ausgemacht, s. Dämpfe (Th. I. S. 556.), Wärme (Th. IV. S. 541. 562.). Auch das ist unbezweifelt, daß diese Verdampfung desto schneller, stärker und bey desto geringerer Wärme geschieht, je weniger ihr die Luft durch ihren Druck hinderlich fällt. In der torricellischen Leere verdampft bey mäßiger Wärme sogar das Quecksilber. Im luftvollen Raume erfolgt die Verdampfung schwächer, oder erfordert mehr Wärme; sie fällt doch aber nicht ganz hinweg, und ihre schwächern Stufen zeigen etwas der Ausdünstung so ähnliches, daß man gar nicht nöthig hat, diese letztere als eine Wirkung von anderer Art zu betrachten, und eine neue Ursache dafür aufzusuchen.

So empfiehlt sich das de Lucsche System schon durch seine Simplicität, indem es für die Verdünstung keine neue Ursache annimmt, sondern sie einer andern schon bekannten Erscheinung (der Verdampfung), als eine mindere Stufe, unterordnet. Dagegen erklärt das Auflösungssystem zwo ganz analoge Erscheinungen aus zwo ganz verschiedenen Ursachen, noch mehr, es läßt die eine davon (die Verdünstung) aus einer Ursache (aus der Berührung der Luft) entspringen, welche der andern (dev Verdampfung) hinderlich ist. Es fehlt also zugleich wider Simplicität und Analogie.

Le Roi gründete zwar den ersten Vortrag des Auflösungssystems (s. Th. I. S. 210.) auf Analogie, nemlich auf die mit den Auflösungen der Salze im Wasser, oder mit der allgemeinen Theorie der chymischen Auflösungen, mit welcher auch einige Phänomene der Dünste ganz gut übereinstimmen. Aber diese Theorie ist aus Erfahrungen an tropfbaren Auflösungsmitteln gezogen, und läßt sich nicht so schlechthin auf das anwenden, was bey Verbindung mit permanent elastischen Flüßigkeiten, wie die Luft ist, statt findet. "Trotz "dem Geschrey von Auflösung des Wassers in Luft," sagt Herr Hofr. Lichtenberg, "ist es noch nicht einmal erwie"sen, ob es überhaupt möglich sey, irgend einen Stoff in so"genannten Luftarten wirklich aufzulösen, ohne gänzliche "Veränderung ihrer Natur, und ohne Uebergang in andere "Luftarten." Die Analogie ist überdieses äußerst unvollkommen, und man stößt bey der Ausdünstung auf Phänomene,


ausgemacht, ſ. Daͤmpfe (Th. I. S. 556.), Waͤrme (Th. IV. S. 541. 562.). Auch das iſt unbezweifelt, daß dieſe Verdampfung deſto ſchneller, ſtaͤrker und bey deſto geringerer Waͤrme geſchieht, je weniger ihr die Luft durch ihren Druck hinderlich faͤllt. In der torricelliſchen Leere verdampft bey maͤßiger Waͤrme ſogar das Queckſilber. Im luftvollen Raume erfolgt die Verdampfung ſchwaͤcher, oder erfordert mehr Waͤrme; ſie faͤllt doch aber nicht ganz hinweg, und ihre ſchwaͤchern Stufen zeigen etwas der Ausduͤnſtung ſo aͤhnliches, daß man gar nicht noͤthig hat, dieſe letztere als eine Wirkung von anderer Art zu betrachten, und eine neue Urſache dafuͤr aufzuſuchen.

So empfiehlt ſich das de Lucſche Syſtem ſchon durch ſeine Simplicitaͤt, indem es fuͤr die Verduͤnſtung keine neue Urſache annimmt, ſondern ſie einer andern ſchon bekannten Erſcheinung (der Verdampfung), als eine mindere Stufe, unterordnet. Dagegen erklaͤrt das Aufloͤſungsſyſtem zwo ganz analoge Erſcheinungen aus zwo ganz verſchiedenen Urſachen, noch mehr, es laͤßt die eine davon (die Verduͤnſtung) aus einer Urſache (aus der Beruͤhrung der Luft) entſpringen, welche der andern (dev Verdampfung) hinderlich iſt. Es fehlt alſo zugleich wider Simplicitaͤt und Analogie.

Le Roi gruͤndete zwar den erſten Vortrag des Aufloͤſungsſyſtems (ſ. Th. I. S. 210.) auf Analogie, nemlich auf die mit den Aufloͤſungen der Salze im Waſſer, oder mit der allgemeinen Theorie der chymiſchen Aufloͤſungen, mit welcher auch einige Phaͤnomene der Duͤnſte ganz gut uͤbereinſtimmen. Aber dieſe Theorie iſt aus Erfahrungen an tropfbaren Aufloͤſungsmitteln gezogen, und laͤßt ſich nicht ſo ſchlechthin auf das anwenden, was bey Verbindung mit permanent elaſtiſchen Fluͤßigkeiten, wie die Luft iſt, ſtatt findet. “Trotz “dem Geſchrey von Aufloͤſung des Waſſers in Luft,” ſagt Herr Hofr. Lichtenberg, “iſt es noch nicht einmal erwie“ſen, ob es uͤberhaupt moͤglich ſey, irgend einen Stoff in ſo“genannten Luftarten wirklich aufzuloͤſen, ohne gaͤnzliche “Veraͤnderung ihrer Natur, und ohne Uebergang in andere “Luftarten.” Die Analogie iſt uͤberdieſes aͤußerſt unvollkommen, und man ſtoͤßt bey der Ausduͤnſtung auf Phaͤnomene,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="2">
              <p><pb facs="#f0121" xml:id="P.5.109" n="109"/><lb/>
ausgemacht, &#x017F;. <hi rendition="#b">Da&#x0364;mpfe</hi> (Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 556.), <hi rendition="#b">Wa&#x0364;rme</hi> (Th. <hi rendition="#aq">IV.</hi> S. 541. 562.). Auch das i&#x017F;t unbezweifelt, daß die&#x017F;e Verdampfung de&#x017F;to &#x017F;chneller, &#x017F;ta&#x0364;rker und bey de&#x017F;to geringerer Wa&#x0364;rme ge&#x017F;chieht, je weniger ihr die Luft durch ihren Druck hinderlich fa&#x0364;llt. In der torricelli&#x017F;chen Leere verdampft bey ma&#x0364;ßiger Wa&#x0364;rme &#x017F;ogar das Queck&#x017F;ilber. Im luftvollen Raume erfolgt die Verdampfung &#x017F;chwa&#x0364;cher, oder erfordert mehr Wa&#x0364;rme; &#x017F;ie fa&#x0364;llt doch aber nicht ganz hinweg, und ihre &#x017F;chwa&#x0364;chern Stufen zeigen etwas der Ausdu&#x0364;n&#x017F;tung &#x017F;o a&#x0364;hnliches, daß man gar nicht no&#x0364;thig hat, die&#x017F;e letztere als eine Wirkung von anderer Art zu betrachten, und eine neue Ur&#x017F;ache dafu&#x0364;r aufzu&#x017F;uchen.</p>
              <p>So empfiehlt &#x017F;ich das de Luc&#x017F;che Sy&#x017F;tem &#x017F;chon durch &#x017F;eine Simplicita&#x0364;t, indem es fu&#x0364;r die Verdu&#x0364;n&#x017F;tung keine neue Ur&#x017F;ache annimmt, &#x017F;ondern &#x017F;ie einer andern &#x017F;chon bekannten Er&#x017F;cheinung (der Verdampfung), als eine mindere Stufe, unterordnet. Dagegen erkla&#x0364;rt das Auflo&#x0364;&#x017F;ungs&#x017F;y&#x017F;tem zwo ganz analoge Er&#x017F;cheinungen aus zwo ganz ver&#x017F;chiedenen Ur&#x017F;achen, noch mehr, es la&#x0364;ßt die eine davon (die Verdu&#x0364;n&#x017F;tung) aus einer Ur&#x017F;ache (aus der Beru&#x0364;hrung der Luft) ent&#x017F;pringen, welche der andern (dev Verdampfung) hinderlich i&#x017F;t. Es fehlt al&#x017F;o zugleich wider Simplicita&#x0364;t und Analogie.</p>
              <p><hi rendition="#b">Le Roi</hi> gru&#x0364;ndete zwar den er&#x017F;ten Vortrag des Auflo&#x0364;&#x017F;ungs&#x017F;y&#x017F;tems (&#x017F;. Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 210.) auf Analogie, nemlich auf die mit den Auflo&#x0364;&#x017F;ungen der Salze im Wa&#x017F;&#x017F;er, oder mit der allgemeinen Theorie der chymi&#x017F;chen Auflo&#x0364;&#x017F;ungen, mit welcher auch einige Pha&#x0364;nomene der Du&#x0364;n&#x017F;te ganz gut u&#x0364;berein&#x017F;timmen. Aber die&#x017F;e Theorie i&#x017F;t aus Erfahrungen an tropfbaren Auflo&#x0364;&#x017F;ungsmitteln gezogen, und la&#x0364;ßt &#x017F;ich nicht &#x017F;o &#x017F;chlechthin auf das anwenden, was bey Verbindung mit permanent ela&#x017F;ti&#x017F;chen Flu&#x0364;ßigkeiten, wie die Luft i&#x017F;t, &#x017F;tatt findet. &#x201C;Trotz &#x201C;dem Ge&#x017F;chrey von Auflo&#x0364;&#x017F;ung des Wa&#x017F;&#x017F;ers in Luft,&#x201D; &#x017F;agt Herr Hofr. <hi rendition="#b">Lichtenberg,</hi> &#x201C;i&#x017F;t es noch nicht einmal erwie&#x201C;&#x017F;en, ob es u&#x0364;berhaupt mo&#x0364;glich &#x017F;ey, irgend einen Stoff in &#x017F;o&#x201C;genannten Luftarten wirklich <hi rendition="#b">aufzulo&#x0364;&#x017F;en,</hi> ohne ga&#x0364;nzliche &#x201C;Vera&#x0364;nderung ihrer Natur, und ohne Uebergang in andere &#x201C;Luftarten.&#x201D; Die Analogie i&#x017F;t u&#x0364;berdie&#x017F;es a&#x0364;ußer&#x017F;t unvollkommen, und man &#x017F;to&#x0364;ßt bey der Ausdu&#x0364;n&#x017F;tung auf Pha&#x0364;nomene,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0121] ausgemacht, ſ. Daͤmpfe (Th. I. S. 556.), Waͤrme (Th. IV. S. 541. 562.). Auch das iſt unbezweifelt, daß dieſe Verdampfung deſto ſchneller, ſtaͤrker und bey deſto geringerer Waͤrme geſchieht, je weniger ihr die Luft durch ihren Druck hinderlich faͤllt. In der torricelliſchen Leere verdampft bey maͤßiger Waͤrme ſogar das Queckſilber. Im luftvollen Raume erfolgt die Verdampfung ſchwaͤcher, oder erfordert mehr Waͤrme; ſie faͤllt doch aber nicht ganz hinweg, und ihre ſchwaͤchern Stufen zeigen etwas der Ausduͤnſtung ſo aͤhnliches, daß man gar nicht noͤthig hat, dieſe letztere als eine Wirkung von anderer Art zu betrachten, und eine neue Urſache dafuͤr aufzuſuchen. So empfiehlt ſich das de Lucſche Syſtem ſchon durch ſeine Simplicitaͤt, indem es fuͤr die Verduͤnſtung keine neue Urſache annimmt, ſondern ſie einer andern ſchon bekannten Erſcheinung (der Verdampfung), als eine mindere Stufe, unterordnet. Dagegen erklaͤrt das Aufloͤſungsſyſtem zwo ganz analoge Erſcheinungen aus zwo ganz verſchiedenen Urſachen, noch mehr, es laͤßt die eine davon (die Verduͤnſtung) aus einer Urſache (aus der Beruͤhrung der Luft) entſpringen, welche der andern (dev Verdampfung) hinderlich iſt. Es fehlt alſo zugleich wider Simplicitaͤt und Analogie. Le Roi gruͤndete zwar den erſten Vortrag des Aufloͤſungsſyſtems (ſ. Th. I. S. 210.) auf Analogie, nemlich auf die mit den Aufloͤſungen der Salze im Waſſer, oder mit der allgemeinen Theorie der chymiſchen Aufloͤſungen, mit welcher auch einige Phaͤnomene der Duͤnſte ganz gut uͤbereinſtimmen. Aber dieſe Theorie iſt aus Erfahrungen an tropfbaren Aufloͤſungsmitteln gezogen, und laͤßt ſich nicht ſo ſchlechthin auf das anwenden, was bey Verbindung mit permanent elaſtiſchen Fluͤßigkeiten, wie die Luft iſt, ſtatt findet. “Trotz “dem Geſchrey von Aufloͤſung des Waſſers in Luft,” ſagt Herr Hofr. Lichtenberg, “iſt es noch nicht einmal erwie“ſen, ob es uͤberhaupt moͤglich ſey, irgend einen Stoff in ſo“genannten Luftarten wirklich aufzuloͤſen, ohne gaͤnzliche “Veraͤnderung ihrer Natur, und ohne Uebergang in andere “Luftarten.” Die Analogie iſt uͤberdieſes aͤußerſt unvollkommen, und man ſtoͤßt bey der Ausduͤnſtung auf Phaͤnomene,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/121
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/121>, abgerufen am 17.05.2024.