Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite


überschickten Quecksilberkalke unter Hrn. Hermbstädts Veranstaltung vor dreyzehn Augenzeugen angestellt waren, und es zum Vortheil des antiphlogistischen Systems außer allen Zweifel setzten, daß durch die Reduction des für sich bereiteten Quecksilberkalks wirklich Lebensluft erhalten werde.

Ein anderes Factum, das man den Antiphlogistikern abläugnete, war die gänzliche Verschwindung der Lebensluft beym Verbrennen des Phosphorus. Nach dem alten System kann diese nicht statt finden, weil das entweichende Phlogiston des verbrennenden Körpers sich mit einem Theile der Luft verbinden, damit Stickluft bilden, und in dieser Form unter der Glocke zurückbleiben muß. Die französischen Chemisten hingegen behaupteten es als Thatsache, daß die reine Luft ganz verschwinde, wenn Phosphor genug verbrannt sey, und bewiesen daraus, daß die Stickluft, wenn dergleichen zurückbleibe, schon vorher mit der reinen vermischt gewesen sey, und nicht erst beym Versuche durch ein vermeintes Phlogiston könne gebildet werden. Nachdem man die Richtigkeit des Factums lange geläugnet hatte, gelang es endlich Herrn Göttling in Jena, diesen schönen Versuch zu Stande zu bringen, der wenigstens in diesem Punkte für die neue Chemie unwidersprechlich entscheidet, die Präexistenz des Stickgas außer Zweifel setzt, und die Idee von Phlogistisirung der Luft durchs Verbrennen gänzlich vernichtet. Die Herren Tromsdorf und Gren wiederholten den Versuch, und da auch noch andere von Hrn. von Mons in Brüssel angestellte hinzukamen, wodurch mehrere Stützen des bisherigen phlogistischen Systems erschüttert wurden, so trat endlich auch Hr. Gren selbst zurück, und bekannte (Journal der Physik, B. VIII. S. 14.), daß er nunmehr von der Wahrheit mehrerer antiphlogistischer Lehrsätze aufs evidenteste überzeugt sey, und das bisherige System verlasse, ob er gleich noch immer einen sogenannten Brennstoff annimmt, um mittelst desselben, nach dem Beyspiele der Herren Leonhardi und Richter, die Lücken der neuen Theorie auszufüllen.

Herr Hofrath Lichtenberg nennt in der lesenswürdigen Vorrede, womit er die sechste Auflage von Erxlebens Naturlehre (Göttingen, 1794.) begleitet hat, diesen Sieg der


uͤberſchickten Queckſilberkalke unter Hrn. Hermbſtaͤdts Veranſtaltung vor dreyzehn Augenzeugen angeſtellt waren, und es zum Vortheil des antiphlogiſtiſchen Syſtems außer allen Zweifel ſetzten, daß durch die Reduction des fuͤr ſich bereiteten Queckſilberkalks wirklich Lebensluft erhalten werde.

Ein anderes Factum, das man den Antiphlogiſtikern ablaͤugnete, war die gaͤnzliche Verſchwindung der Lebensluft beym Verbrennen des Phosphorus. Nach dem alten Syſtem kann dieſe nicht ſtatt finden, weil das entweichende Phlogiſton des verbrennenden Koͤrpers ſich mit einem Theile der Luft verbinden, damit Stickluft bilden, und in dieſer Form unter der Glocke zuruͤckbleiben muß. Die franzoͤſiſchen Chemiſten hingegen behaupteten es als Thatſache, daß die reine Luft ganz verſchwinde, wenn Phosphor genug verbrannt ſey, und bewieſen daraus, daß die Stickluft, wenn dergleichen zuruͤckbleibe, ſchon vorher mit der reinen vermiſcht geweſen ſey, und nicht erſt beym Verſuche durch ein vermeintes Phlogiſton koͤnne gebildet werden. Nachdem man die Richtigkeit des Factums lange gelaͤugnet hatte, gelang es endlich Herrn Goͤttling in Jena, dieſen ſchoͤnen Verſuch zu Stande zu bringen, der wenigſtens in dieſem Punkte fuͤr die neue Chemie unwiderſprechlich entſcheidet, die Praͤexiſtenz des Stickgas außer Zweifel ſetzt, und die Idee von Phlogiſtiſirung der Luft durchs Verbrennen gaͤnzlich vernichtet. Die Herren Tromsdorf und Gren wiederholten den Verſuch, und da auch noch andere von Hrn. von Mons in Bruͤſſel angeſtellte hinzukamen, wodurch mehrere Stuͤtzen des bisherigen phlogiſtiſchen Syſtems erſchuͤttert wurden, ſo trat endlich auch Hr. Gren ſelbſt zuruͤck, und bekannte (Journal der Phyſik, B. VIII. S. 14.), daß er nunmehr von der Wahrheit mehrerer antiphlogiſtiſcher Lehrſaͤtze aufs evidenteſte uͤberzeugt ſey, und das bisherige Syſtem verlaſſe, ob er gleich noch immer einen ſogenannten Brennſtoff annimmt, um mittelſt deſſelben, nach dem Beyſpiele der Herren Leonhardi und Richter, die Luͤcken der neuen Theorie auszufuͤllen.

Herr Hofrath Lichtenberg nennt in der leſenswuͤrdigen Vorrede, womit er die ſechſte Auflage von Erxlebens Naturlehre (Goͤttingen, 1794.) begleitet hat, dieſen Sieg der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="2">
              <p><pb facs="#f0057" xml:id="P.5.45" n="45"/><lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;chickten Queck&#x017F;ilberkalke unter Hrn. <hi rendition="#b">Hermb&#x017F;ta&#x0364;dts</hi> Veran&#x017F;taltung vor dreyzehn Augenzeugen ange&#x017F;tellt waren, und es zum Vortheil des antiphlogi&#x017F;ti&#x017F;chen Sy&#x017F;tems außer allen Zweifel &#x017F;etzten, daß durch die Reduction des fu&#x0364;r &#x017F;ich bereiteten Queck&#x017F;ilberkalks wirklich Lebensluft erhalten werde.</p>
              <p>Ein anderes Factum, das man den Antiphlogi&#x017F;tikern abla&#x0364;ugnete, war die ga&#x0364;nzliche Ver&#x017F;chwindung der Lebensluft beym Verbrennen des Phosphorus. Nach dem alten Sy&#x017F;tem kann die&#x017F;e nicht &#x017F;tatt finden, weil das entweichende Phlogi&#x017F;ton des verbrennenden Ko&#x0364;rpers &#x017F;ich mit einem Theile der Luft verbinden, damit Stickluft bilden, und in die&#x017F;er Form unter der Glocke zuru&#x0364;ckbleiben muß. Die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Chemi&#x017F;ten hingegen behaupteten es als That&#x017F;ache, daß die reine Luft ganz ver&#x017F;chwinde, wenn Phosphor genug verbrannt &#x017F;ey, und bewie&#x017F;en daraus, daß die Stickluft, wenn dergleichen zuru&#x0364;ckbleibe, &#x017F;chon vorher mit der reinen vermi&#x017F;cht gewe&#x017F;en &#x017F;ey, und nicht er&#x017F;t beym Ver&#x017F;uche durch ein vermeintes Phlogi&#x017F;ton ko&#x0364;nne gebildet werden. Nachdem man die Richtigkeit des Factums lange gela&#x0364;ugnet hatte, gelang es endlich Herrn <hi rendition="#b">Go&#x0364;ttling</hi> in Jena, die&#x017F;en &#x017F;cho&#x0364;nen Ver&#x017F;uch zu Stande zu bringen, der wenig&#x017F;tens in die&#x017F;em Punkte fu&#x0364;r die neue Chemie unwider&#x017F;prechlich ent&#x017F;cheidet, die Pra&#x0364;exi&#x017F;tenz des Stickgas außer Zweifel &#x017F;etzt, und die Idee von Phlogi&#x017F;ti&#x017F;irung der Luft durchs Verbrennen ga&#x0364;nzlich vernichtet. Die Herren <hi rendition="#b">Tromsdorf</hi> und <hi rendition="#b">Gren</hi> wiederholten den Ver&#x017F;uch, und da auch noch andere von Hrn. <hi rendition="#b">von Mons</hi> in Bru&#x0364;&#x017F;&#x017F;el ange&#x017F;tellte hinzukamen, wodurch mehrere Stu&#x0364;tzen des bisherigen phlogi&#x017F;ti&#x017F;chen Sy&#x017F;tems er&#x017F;chu&#x0364;ttert wurden, &#x017F;o trat endlich auch Hr. <hi rendition="#b">Gren</hi> &#x017F;elb&#x017F;t zuru&#x0364;ck, und bekannte (Journal der Phy&#x017F;ik, B. <hi rendition="#aq">VIII.</hi> S. 14.), daß er nunmehr von der Wahrheit mehrerer antiphlogi&#x017F;ti&#x017F;cher Lehr&#x017F;a&#x0364;tze aufs evidente&#x017F;te u&#x0364;berzeugt &#x017F;ey, und das bisherige Sy&#x017F;tem verla&#x017F;&#x017F;e, ob er gleich noch immer einen &#x017F;ogenannten Brenn&#x017F;toff annimmt, um mittel&#x017F;t de&#x017F;&#x017F;elben, nach dem Bey&#x017F;piele der Herren <hi rendition="#b">Leonhardi</hi> und <hi rendition="#b">Richter,</hi> die Lu&#x0364;cken der neuen Theorie auszufu&#x0364;llen.</p>
              <p>Herr Hofrath <hi rendition="#b">Lichtenberg</hi> nennt in der le&#x017F;enswu&#x0364;rdigen Vorrede, womit er die &#x017F;ech&#x017F;te Auflage von Erxlebens Naturlehre (Go&#x0364;ttingen, 1794.) begleitet hat, die&#x017F;en Sieg der<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0057] uͤberſchickten Queckſilberkalke unter Hrn. Hermbſtaͤdts Veranſtaltung vor dreyzehn Augenzeugen angeſtellt waren, und es zum Vortheil des antiphlogiſtiſchen Syſtems außer allen Zweifel ſetzten, daß durch die Reduction des fuͤr ſich bereiteten Queckſilberkalks wirklich Lebensluft erhalten werde. Ein anderes Factum, das man den Antiphlogiſtikern ablaͤugnete, war die gaͤnzliche Verſchwindung der Lebensluft beym Verbrennen des Phosphorus. Nach dem alten Syſtem kann dieſe nicht ſtatt finden, weil das entweichende Phlogiſton des verbrennenden Koͤrpers ſich mit einem Theile der Luft verbinden, damit Stickluft bilden, und in dieſer Form unter der Glocke zuruͤckbleiben muß. Die franzoͤſiſchen Chemiſten hingegen behaupteten es als Thatſache, daß die reine Luft ganz verſchwinde, wenn Phosphor genug verbrannt ſey, und bewieſen daraus, daß die Stickluft, wenn dergleichen zuruͤckbleibe, ſchon vorher mit der reinen vermiſcht geweſen ſey, und nicht erſt beym Verſuche durch ein vermeintes Phlogiſton koͤnne gebildet werden. Nachdem man die Richtigkeit des Factums lange gelaͤugnet hatte, gelang es endlich Herrn Goͤttling in Jena, dieſen ſchoͤnen Verſuch zu Stande zu bringen, der wenigſtens in dieſem Punkte fuͤr die neue Chemie unwiderſprechlich entſcheidet, die Praͤexiſtenz des Stickgas außer Zweifel ſetzt, und die Idee von Phlogiſtiſirung der Luft durchs Verbrennen gaͤnzlich vernichtet. Die Herren Tromsdorf und Gren wiederholten den Verſuch, und da auch noch andere von Hrn. von Mons in Bruͤſſel angeſtellte hinzukamen, wodurch mehrere Stuͤtzen des bisherigen phlogiſtiſchen Syſtems erſchuͤttert wurden, ſo trat endlich auch Hr. Gren ſelbſt zuruͤck, und bekannte (Journal der Phyſik, B. VIII. S. 14.), daß er nunmehr von der Wahrheit mehrerer antiphlogiſtiſcher Lehrſaͤtze aufs evidenteſte uͤberzeugt ſey, und das bisherige Syſtem verlaſſe, ob er gleich noch immer einen ſogenannten Brennſtoff annimmt, um mittelſt deſſelben, nach dem Beyſpiele der Herren Leonhardi und Richter, die Luͤcken der neuen Theorie auszufuͤllen. Herr Hofrath Lichtenberg nennt in der leſenswuͤrdigen Vorrede, womit er die ſechſte Auflage von Erxlebens Naturlehre (Goͤttingen, 1794.) begleitet hat, dieſen Sieg der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/57
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/57>, abgerufen am 21.11.2024.