[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.Gräfinn von G** uns in iedem Alter, in iedem Stande, imGlücke und Unglücke, im Tode, und nach diesem Leben bringt. Er hatte die Ge- schicklichkeit, mir alle diese Wahrheiten nicht so wohl in das Gedächtniß, als in den Verstand zu prägen. Und diesen Be- griffen, die er mir beybrachte, habe ichs bey reifern Jahren zu verdanken gehabt, daß ich die Tugend, nie als eine beschwer- liche Bürde, sondern als die angenehm- ste Gefährtinn betrachtet habe, die uns die Reise durch die Welt erleichtern hilft. Jch glaube gewiß, daß die Religion, wenn sie uns vernünftig und gründlich beyge- bracht wird, unsern Verstand eben so vor- trefflich aufklären kann, als sie unser Herz verbessert. Und viele Leute würden mehr Verstand zu den ordentlichen Geschäften des Berufs und zu einer guten Lebensart haben, wenn er durch den Unterricht der Religion wäre geschärft worden. Jch durfte meinem Vetter nichts auf sein Wort glauben, ja er befahl mir in Dingen, die noch A 4
Gräfinn von G** uns in iedem Alter, in iedem Stande, imGlücke und Unglücke, im Tode, und nach dieſem Leben bringt. Er hatte die Ge- ſchicklichkeit, mir alle dieſe Wahrheiten nicht ſo wohl in das Gedächtniß, als in den Verſtand zu prägen. Und dieſen Be- griffen, die er mir beybrachte, habe ichs bey reifern Jahren zu verdanken gehabt, daß ich die Tugend, nie als eine beſchwer- liche Bürde, ſondern als die angenehm- ſte Gefährtinn betrachtet habe, die uns die Reiſe durch die Welt erleichtern hilft. Jch glaube gewiß, daß die Religion, wenn ſie uns vernünftig und gründlich beyge- bracht wird, unſern Verſtand eben ſo vor- trefflich aufklären kann, als ſie unſer Herz verbeſſert. Und viele Leute würden mehr Verſtand zu den ordentlichen Geſchäften des Berufs und zu einer guten Lebensart haben, wenn er durch den Unterricht der Religion wäre geſchärft worden. Jch durfte meinem Vetter nichts auf ſein Wort glauben, ja er befahl mir in Dingen, die noch A 4
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Gräfinn von G**
uns in iedem Alter, in iedem Stande, im
Glücke und Unglücke, im Tode, und nach
dieſem Leben bringt. Er hatte die Ge-
ſchicklichkeit, mir alle dieſe Wahrheiten
nicht ſo wohl in das Gedächtniß, als in
den Verſtand zu prägen. Und dieſen Be-
griffen, die er mir beybrachte, habe ichs
bey reifern Jahren zu verdanken gehabt,
daß ich die Tugend, nie als eine beſchwer-
liche Bürde, ſondern als die angenehm-
ſte Gefährtinn betrachtet habe, die uns
die Reiſe durch die Welt erleichtern hilft.
Jch glaube gewiß, daß die Religion, wenn
ſie uns vernünftig und gründlich beyge-
bracht wird, unſern Verſtand eben ſo vor-
trefflich aufklären kann, als ſie unſer Herz
verbeſſert. Und viele Leute würden mehr
Verſtand zu den ordentlichen Geſchäften
des Berufs und zu einer guten Lebensart
haben, wenn er durch den Unterricht der
Religion wäre geſchärft worden. Jch
durfte meinem Vetter nichts auf ſein Wort
glauben, ja er befahl mir in Dingen, die
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