Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben der Schwedischen
oder Caroline, dazu. Meine kleine Tochter, die
in das sechste Jahr gieng, war so verwegen,
Stecleyn zu einem Tanze aufzufodern, und sie
hätte uns bald alle zu dieser Lust verführt. Wir
führten endlich unsre beiden Vermählten in ihr
Schlafzimmer und überliessen sie den Wünschen
der Liebe.

Als ich mich den Morgen darauf noch mit dem
Grafen berathschlagte, was wir unserm Paare
heute für ein Vergnügen machen wollten, trat
der Bediente herein und sagte, daß ein Engel-
länder meinen Gemahl sprechen wollte. Sobald
er die Thüre öffnete, so sagte uns sein Gesicht,
daß es Steeleys Vater wäre. Er hatte ein eis-
graues Haupt; aber seine muntern Augen, sein
rothes Gesicht, und sein trotziger Gang widerlegten
seine Haare. Jch suche, fieng er auf französisch
an, meinen Sohn bey ihnen, oder da ich in meinem
Leben wohl nicht so glücklich seyn werde, ihn wie-
der zu sehen: so will ich wenigstens hören, ob sie
nicht wissen, wo er ist. Meine Nachricht aus
Moskau geht nicht weiter, als daß ich gewiß weis,
daß er aus seinem Elende in Siberien hat sollen
befreyt werden. Und aus Verlangen einen so
theuern Freund von meinem Sohne zu sprechen,
bin ich in meinem neun uud siebenzigsten Jahre
noch einmal zur See gegangen. Jhre Reise,
fieng mein Gemahl an, soll sie nicht gereuen.
Jch habe Briefe von ihrem Sohne aus Moskau
und kann ihnen die erfreuliche Nachricht von seiner
baldigen Ankunft zum Voraus melden. Wie
lange können sie sich hier aufhalten? Das ganze

Jahr

Leben der Schwediſchen
oder Caroline, dazu. Meine kleine Tochter, die
in das ſechſte Jahr gieng, war ſo verwegen,
Stecleyn zu einem Tanze aufzufodern, und ſie
haͤtte uns bald alle zu dieſer Luſt verfuͤhrt. Wir
fuͤhrten endlich unſre beiden Vermaͤhlten in ihr
Schlafzimmer und uͤberlieſſen ſie den Wuͤnſchen
der Liebe.

Als ich mich den Morgen darauf noch mit dem
Grafen berathſchlagte, was wir unſerm Paare
heute fuͤr ein Vergnuͤgen machen wollten, trat
der Bediente herein und ſagte, daß ein Engel-
laͤnder meinen Gemahl ſprechen wollte. Sobald
er die Thuͤre oͤffnete, ſo ſagte uns ſein Geſicht,
daß es Steeleys Vater waͤre. Er hatte ein eis-
graues Haupt; aber ſeine muntern Augen, ſein
rothes Geſicht, und ſein trotziger Gang widerlegten
ſeine Haare. Jch ſuche, fieng er auf franzoͤſiſch
an, meinen Sohn bey ihnen, oder da ich in meinem
Leben wohl nicht ſo gluͤcklich ſeyn werde, ihn wie-
der zu ſehen: ſo will ich wenigſtens hoͤren, ob ſie
nicht wiſſen, wo er iſt. Meine Nachricht aus
Moskau geht nicht weiter, als daß ich gewiß weis,
daß er aus ſeinem Elende in Siberien hat ſollen
befreyt werden. Und aus Verlangen einen ſo
theuern Freund von meinem Sohne zu ſprechen,
bin ich in meinem neun uud ſiebenzigſten Jahre
noch einmal zur See gegangen. Jhre Reiſe,
fieng mein Gemahl an, ſoll ſie nicht gereuen.
Jch habe Briefe von ihrem Sohne aus Moskau
und kann ihnen die erfreuliche Nachricht von ſeiner
baldigen Ankunft zum Voraus melden. Wie
lange koͤnnen ſie ſich hier aufhalten? Das ganze

Jahr
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0118" n="118"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Leben der Schwedi&#x017F;chen</hi></fw><lb/>
oder Caroline, dazu. Meine kleine Tochter, die<lb/>
in das &#x017F;ech&#x017F;te Jahr gieng, war &#x017F;o verwegen,<lb/>
Stecleyn zu einem Tanze aufzufodern, und &#x017F;ie<lb/>
ha&#x0364;tte uns bald alle zu die&#x017F;er Lu&#x017F;t verfu&#x0364;hrt. Wir<lb/>
fu&#x0364;hrten endlich un&#x017F;re beiden Verma&#x0364;hlten in ihr<lb/>
Schlafzimmer und u&#x0364;berlie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie den Wu&#x0364;n&#x017F;chen<lb/>
der Liebe.</p><lb/>
      <p>Als ich mich den Morgen darauf noch mit dem<lb/>
Grafen berath&#x017F;chlagte, was wir un&#x017F;erm Paare<lb/>
heute fu&#x0364;r ein Vergnu&#x0364;gen machen wollten, trat<lb/>
der Bediente herein und &#x017F;agte, daß ein Engel-<lb/>
la&#x0364;nder meinen Gemahl &#x017F;prechen wollte. Sobald<lb/>
er die Thu&#x0364;re o&#x0364;ffnete, &#x017F;o &#x017F;agte uns &#x017F;ein Ge&#x017F;icht,<lb/>
daß es Steeleys Vater wa&#x0364;re. Er hatte ein eis-<lb/>
graues Haupt; aber &#x017F;eine muntern Augen, &#x017F;ein<lb/>
rothes Ge&#x017F;icht, und &#x017F;ein trotziger Gang widerlegten<lb/>
&#x017F;eine Haare. Jch &#x017F;uche, fieng er auf franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch<lb/>
an, meinen Sohn bey ihnen, oder da ich in meinem<lb/>
Leben wohl nicht &#x017F;o glu&#x0364;cklich &#x017F;eyn werde, ihn wie-<lb/>
der zu &#x017F;ehen: &#x017F;o will ich wenig&#x017F;tens ho&#x0364;ren, ob &#x017F;ie<lb/>
nicht wi&#x017F;&#x017F;en, wo er i&#x017F;t. Meine Nachricht aus<lb/>
Moskau geht nicht weiter, als daß ich gewiß weis,<lb/>
daß er aus &#x017F;einem Elende in Siberien hat &#x017F;ollen<lb/>
befreyt werden. Und aus Verlangen einen &#x017F;o<lb/>
theuern Freund von meinem Sohne zu &#x017F;prechen,<lb/>
bin ich in meinem neun uud &#x017F;iebenzig&#x017F;ten Jahre<lb/>
noch einmal zur See gegangen. Jhre Rei&#x017F;e,<lb/>
fieng mein Gemahl an, &#x017F;oll &#x017F;ie nicht gereuen.<lb/>
Jch habe Briefe von ihrem Sohne aus Moskau<lb/>
und kann ihnen die erfreuliche Nachricht von &#x017F;einer<lb/>
baldigen Ankunft zum Voraus melden. Wie<lb/>
lange ko&#x0364;nnen &#x017F;ie &#x017F;ich hier aufhalten? Das ganze<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jahr</fw><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0118] Leben der Schwediſchen oder Caroline, dazu. Meine kleine Tochter, die in das ſechſte Jahr gieng, war ſo verwegen, Stecleyn zu einem Tanze aufzufodern, und ſie haͤtte uns bald alle zu dieſer Luſt verfuͤhrt. Wir fuͤhrten endlich unſre beiden Vermaͤhlten in ihr Schlafzimmer und uͤberlieſſen ſie den Wuͤnſchen der Liebe. Als ich mich den Morgen darauf noch mit dem Grafen berathſchlagte, was wir unſerm Paare heute fuͤr ein Vergnuͤgen machen wollten, trat der Bediente herein und ſagte, daß ein Engel- laͤnder meinen Gemahl ſprechen wollte. Sobald er die Thuͤre oͤffnete, ſo ſagte uns ſein Geſicht, daß es Steeleys Vater waͤre. Er hatte ein eis- graues Haupt; aber ſeine muntern Augen, ſein rothes Geſicht, und ſein trotziger Gang widerlegten ſeine Haare. Jch ſuche, fieng er auf franzoͤſiſch an, meinen Sohn bey ihnen, oder da ich in meinem Leben wohl nicht ſo gluͤcklich ſeyn werde, ihn wie- der zu ſehen: ſo will ich wenigſtens hoͤren, ob ſie nicht wiſſen, wo er iſt. Meine Nachricht aus Moskau geht nicht weiter, als daß ich gewiß weis, daß er aus ſeinem Elende in Siberien hat ſollen befreyt werden. Und aus Verlangen einen ſo theuern Freund von meinem Sohne zu ſprechen, bin ich in meinem neun uud ſiebenzigſten Jahre noch einmal zur See gegangen. Jhre Reiſe, fieng mein Gemahl an, ſoll ſie nicht gereuen. Jch habe Briefe von ihrem Sohne aus Moskau und kann ihnen die erfreuliche Nachricht von ſeiner baldigen Ankunft zum Voraus melden. Wie lange koͤnnen ſie ſich hier aufhalten? Das ganze Jahr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/118
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/118>, abgerufen am 21.11.2024.