Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Gräfinn von G**
aber vor diesem schrecklichen Gerichte galt sie
nicht. Man verfuhr nach ihrer barbarischen
Gewohnheit, die Wahrheit vor Gerichte her-
auszubringen. Man ließ ihn niederwerfen
und ihm die Bodoggen geben, damit er beken-
nen sollte. Er stund diese Marter vor unsern
Augen standhaft aus und ließ unter den Hän-
den der Barbaren, die ihn mit zwey Stäben
auf den blossen Leib schlugen, nicht die ge-
ringste Klage hören. Als seine Qvaal vorü-
ber war, ohne daß man ihm ein Geständniß
hatte abzwingen können, so kam die Reihe an
den unglückseligen Sidne. Der Pope bekann-
te wider ihn, und Sidne, der mit tausend
Thränen und Bitten dieser Marter vergebens
zu entgehn suchte, ward endlich nieder geris-
sen. Jch wollte das Gesicht wegwenden, um
seiner Qvaal nicht mit zuzusehn; allein die
Wütriche nöthigten mich, der nächste Zeuge
davon zu seyn. Er erduldete sie, ohne sie zu
überleben. Sobald man ihm die gesetzte Zahl
von Streichen gegeben hatte: so lag er ohne
Bewegung da. Man nahm ein Geschirr
Wasser und goß es ihm über das Gesicht, um
ihn wieder zu sich selbst zu bringen; doch es
war kein Leben in ihm; und dieses befremde-
te unsere Richter um desto weniger, weil viele
von den Angeklagten unter dieser Marter das

Le-
B 5

Graͤfinn von G**
aber vor dieſem ſchrecklichen Gerichte galt ſie
nicht. Man verfuhr nach ihrer barbariſchen
Gewohnheit, die Wahrheit vor Gerichte her-
auszubringen. Man ließ ihn niederwerfen
und ihm die Bodoggen geben, damit er beken-
nen ſollte. Er ſtund dieſe Marter vor unſern
Augen ſtandhaft aus und ließ unter den Haͤn-
den der Barbaren, die ihn mit zwey Staͤben
auf den bloſſen Leib ſchlugen, nicht die ge-
ringſte Klage hoͤren. Als ſeine Qvaal voruͤ-
ber war, ohne daß man ihm ein Geſtaͤndniß
hatte abzwingen koͤnnen, ſo kam die Reihe an
den ungluͤckſeligen Sidne. Der Pope bekann-
te wider ihn, und Sidne, der mit tauſend
Thraͤnen und Bitten dieſer Marter vergebens
zu entgehn ſuchte, ward endlich nieder geriſ-
ſen. Jch wollte das Geſicht wegwenden, um
ſeiner Qvaal nicht mit zuzuſehn; allein die
Wuͤtriche noͤthigten mich, der naͤchſte Zeuge
davon zu ſeyn. Er erduldete ſie, ohne ſie zu
uͤberleben. Sobald man ihm die geſetzte Zahl
von Streichen gegeben hatte: ſo lag er ohne
Bewegung da. Man nahm ein Geſchirr
Waſſer und goß es ihm uͤber das Geſicht, um
ihn wieder zu ſich ſelbſt zu bringen; doch es
war kein Leben in ihm; und dieſes befremde-
te unſere Richter um deſto weniger, weil viele
von den Angeklagten unter dieſer Marter das

Le-
B 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <floatingText>
        <body>
          <div type="letter">
            <p><pb facs="#f0025" n="25"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gra&#x0364;finn von G**</hi></fw><lb/>
aber vor die&#x017F;em &#x017F;chrecklichen Gerichte galt &#x017F;ie<lb/>
nicht. Man verfuhr nach ihrer barbari&#x017F;chen<lb/>
Gewohnheit, die Wahrheit vor Gerichte her-<lb/>
auszubringen. Man ließ ihn niederwerfen<lb/>
und ihm die Bodoggen geben, damit er beken-<lb/>
nen &#x017F;ollte. Er &#x017F;tund die&#x017F;e Marter vor un&#x017F;ern<lb/>
Augen &#x017F;tandhaft aus und ließ unter den Ha&#x0364;n-<lb/>
den der Barbaren, die ihn mit zwey Sta&#x0364;ben<lb/>
auf den blo&#x017F;&#x017F;en Leib &#x017F;chlugen, nicht die ge-<lb/>
ring&#x017F;te Klage ho&#x0364;ren. Als &#x017F;eine Qvaal voru&#x0364;-<lb/>
ber war, ohne daß man ihm ein Ge&#x017F;ta&#x0364;ndniß<lb/>
hatte abzwingen ko&#x0364;nnen, &#x017F;o kam die Reihe an<lb/>
den unglu&#x0364;ck&#x017F;eligen Sidne. Der Pope bekann-<lb/>
te wider ihn, und Sidne, der mit tau&#x017F;end<lb/>
Thra&#x0364;nen und Bitten die&#x017F;er Marter vergebens<lb/>
zu entgehn &#x017F;uchte, ward endlich nieder geri&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en. Jch wollte das Ge&#x017F;icht wegwenden, um<lb/>
&#x017F;einer Qvaal nicht mit zuzu&#x017F;ehn; allein die<lb/>
Wu&#x0364;triche no&#x0364;thigten mich, der na&#x0364;ch&#x017F;te Zeuge<lb/>
davon zu &#x017F;eyn. Er erduldete &#x017F;ie, ohne &#x017F;ie zu<lb/>
u&#x0364;berleben. Sobald man ihm die ge&#x017F;etzte Zahl<lb/>
von Streichen gegeben hatte: &#x017F;o lag er ohne<lb/>
Bewegung da. Man nahm ein Ge&#x017F;chirr<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er und goß es ihm u&#x0364;ber das Ge&#x017F;icht, um<lb/>
ihn wieder zu &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu bringen; doch es<lb/>
war kein Leben in ihm; und die&#x017F;es befremde-<lb/>
te un&#x017F;ere Richter um de&#x017F;to weniger, weil viele<lb/>
von den Angeklagten unter die&#x017F;er Marter das<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Le-</fw><lb/></p>
          </div>
        </body>
      </floatingText>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0025] Graͤfinn von G** aber vor dieſem ſchrecklichen Gerichte galt ſie nicht. Man verfuhr nach ihrer barbariſchen Gewohnheit, die Wahrheit vor Gerichte her- auszubringen. Man ließ ihn niederwerfen und ihm die Bodoggen geben, damit er beken- nen ſollte. Er ſtund dieſe Marter vor unſern Augen ſtandhaft aus und ließ unter den Haͤn- den der Barbaren, die ihn mit zwey Staͤben auf den bloſſen Leib ſchlugen, nicht die ge- ringſte Klage hoͤren. Als ſeine Qvaal voruͤ- ber war, ohne daß man ihm ein Geſtaͤndniß hatte abzwingen koͤnnen, ſo kam die Reihe an den ungluͤckſeligen Sidne. Der Pope bekann- te wider ihn, und Sidne, der mit tauſend Thraͤnen und Bitten dieſer Marter vergebens zu entgehn ſuchte, ward endlich nieder geriſ- ſen. Jch wollte das Geſicht wegwenden, um ſeiner Qvaal nicht mit zuzuſehn; allein die Wuͤtriche noͤthigten mich, der naͤchſte Zeuge davon zu ſeyn. Er erduldete ſie, ohne ſie zu uͤberleben. Sobald man ihm die geſetzte Zahl von Streichen gegeben hatte: ſo lag er ohne Bewegung da. Man nahm ein Geſchirr Waſſer und goß es ihm uͤber das Geſicht, um ihn wieder zu ſich ſelbſt zu bringen; doch es war kein Leben in ihm; und dieſes befremde- te unſere Richter um deſto weniger, weil viele von den Angeklagten unter dieſer Marter das Le- B 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/25
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/25>, abgerufen am 21.11.2024.