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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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Zweiter Abschnitt.
Ritterschaft und Städte, sahen sich einer Landeshoheit
gegenüber, welche von einer das ganze Volk und Land
gleichmässig beherrschenden Staatsgewalt noch weit ent-
fernt war; 4 sie betrachteten die erstrebte Entwickelung
der landesherrlichen Patrimonialrechte zur Staatsherr-
schaft als Angriff auf ihre individuelle Rechtsstellung
und fanden ihr ständisches Recht in der Verbriefung
ihrer Freiheit von staatlicher Unterwerfung; sie wollten
dem Landesherrn gegenüber als einzelberechtigte, bloss
"zugewandte" Individuen gelten, daher ihre persönlich
oder durch Bevollmächtigte geführten Verhandlungen
den Character privatrechtlicher Vergleiche hatten. 5 Als

Das Richtige ist vielmehr, dass die heutigen Stände in allen Haupt-
punkten einen directen Gegensatz zu den alten Ständen bilden.
Die Aehnlichkeiten beider Institute sind ganz äusserlicher Art.
Als einen durchgehenden historischen Satz kann man nur den
negativen hinstellen, dass das deutsche Recht kein absolutes
Monarchenrecht gestatten will.
4 Eine sehr eigenthümliche Stellung nahm unter den älteren
ständischen Verfassungen die Württembergische ein. In Württem-
berg fehlte das Grundelement der Stände in den übrigen deutschen
Staaten, nämlich die Ritterschaft, da sich die schwäbischen Ritter
seit dem 16. Jahrhunderte von der Landeshoheit völlig befreit und
als reichsunmittelbar constituirt hatten. Hierdurch erhielt die
ständische Verfassung mit ihren Bürgermeistern und protestanti-
schen Prälaten einen rein bürgerlichen und damit auch allerdings
mehr staatsbürgerlichen Character. Dennoch aber wäre es ganz
unrichtig, wenn man deshalb in der Württembergischen Verfas-
sung schon eine der modernen Repräsentativverfassung gleich-
artige Erscheinung erblicken wollte.
5 Damit hängen folgende weitere Eigenthümlichkeiten zusam-
men. Die Stände erschienen persönlich; sie konnten aber auch
Vertreter schicken, welche dann an Instructionen gebunden
waren. Die ständischen Ausschüsse waren regelmässige Manda-
tare der Stände. So weit und umfassend die Rechte der Stände
waren, welche sich auf die ständischen Privilegien bezogen, so

Zweiter Abschnitt.
Ritterschaft und Städte, sahen sich einer Landeshoheit
gegenüber, welche von einer das ganze Volk und Land
gleichmässig beherrschenden Staatsgewalt noch weit ent-
fernt war; 4 sie betrachteten die erstrebte Entwickelung
der landesherrlichen Patrimonialrechte zur Staatsherr-
schaft als Angriff auf ihre individuelle Rechtsstellung
und fanden ihr ständisches Recht in der Verbriefung
ihrer Freiheit von staatlicher Unterwerfung; sie wollten
dem Landesherrn gegenüber als einzelberechtigte, bloss
„zugewandte“ Individuen gelten, daher ihre persönlich
oder durch Bevollmächtigte geführten Verhandlungen
den Character privatrechtlicher Vergleiche hatten. 5 Als

Das Richtige ist vielmehr, dass die heutigen Stände in allen Haupt-
punkten einen directen Gegensatz zu den alten Ständen bilden.
Die Aehnlichkeiten beider Institute sind ganz äusserlicher Art.
Als einen durchgehenden historischen Satz kann man nur den
negativen hinstellen, dass das deutsche Recht kein absolutes
Monarchenrecht gestatten will.
4 Eine sehr eigenthümliche Stellung nahm unter den älteren
ständischen Verfassungen die Württembergische ein. In Württem-
berg fehlte das Grundelement der Stände in den übrigen deutschen
Staaten, nämlich die Ritterschaft, da sich die schwäbischen Ritter
seit dem 16. Jahrhunderte von der Landeshoheit völlig befreit und
als reichsunmittelbar constituirt hatten. Hierdurch erhielt die
ständische Verfassung mit ihren Bürgermeistern und protestanti-
schen Prälaten einen rein bürgerlichen und damit auch allerdings
mehr staatsbürgerlichen Character. Dennoch aber wäre es ganz
unrichtig, wenn man deshalb in der Württembergischen Verfas-
sung schon eine der modernen Repräsentativverfassung gleich-
artige Erscheinung erblicken wollte.
5 Damit hängen folgende weitere Eigenthümlichkeiten zusam-
men. Die Stände erschienen persönlich; sie konnten aber auch
Vertreter schicken, welche dann an Instructionen gebunden
waren. Die ständischen Ausschüsse waren regelmässige Manda-
tare der Stände. So weit und umfassend die Rechte der Stände
waren, welche sich auf die ständischen Privilegien bezogen, so
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[120/0138] Zweiter Abschnitt. Ritterschaft und Städte, sahen sich einer Landeshoheit gegenüber, welche von einer das ganze Volk und Land gleichmässig beherrschenden Staatsgewalt noch weit ent- fernt war; 4 sie betrachteten die erstrebte Entwickelung der landesherrlichen Patrimonialrechte zur Staatsherr- schaft als Angriff auf ihre individuelle Rechtsstellung und fanden ihr ständisches Recht in der Verbriefung ihrer Freiheit von staatlicher Unterwerfung; sie wollten dem Landesherrn gegenüber als einzelberechtigte, bloss „zugewandte“ Individuen gelten, daher ihre persönlich oder durch Bevollmächtigte geführten Verhandlungen den Character privatrechtlicher Vergleiche hatten. 5 Als 3 4 Eine sehr eigenthümliche Stellung nahm unter den älteren ständischen Verfassungen die Württembergische ein. In Württem- berg fehlte das Grundelement der Stände in den übrigen deutschen Staaten, nämlich die Ritterschaft, da sich die schwäbischen Ritter seit dem 16. Jahrhunderte von der Landeshoheit völlig befreit und als reichsunmittelbar constituirt hatten. Hierdurch erhielt die ständische Verfassung mit ihren Bürgermeistern und protestanti- schen Prälaten einen rein bürgerlichen und damit auch allerdings mehr staatsbürgerlichen Character. Dennoch aber wäre es ganz unrichtig, wenn man deshalb in der Württembergischen Verfas- sung schon eine der modernen Repräsentativverfassung gleich- artige Erscheinung erblicken wollte. 5 Damit hängen folgende weitere Eigenthümlichkeiten zusam- men. Die Stände erschienen persönlich; sie konnten aber auch Vertreter schicken, welche dann an Instructionen gebunden waren. Die ständischen Ausschüsse waren regelmässige Manda- tare der Stände. So weit und umfassend die Rechte der Stände waren, welche sich auf die ständischen Privilegien bezogen, so 3 Das Richtige ist vielmehr, dass die heutigen Stände in allen Haupt- punkten einen directen Gegensatz zu den alten Ständen bilden. Die Aehnlichkeiten beider Institute sind ganz äusserlicher Art. Als einen durchgehenden historischen Satz kann man nur den negativen hinstellen, dass das deutsche Recht kein absolutes Monarchenrecht gestatten will.

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/138>, abgerufen am 28.11.2024.