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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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Dritter Abschnitt.
nen mancherlei Umstände die schroffe Geltendmachung
solcher Nichtigkeiten auf dem Gebiete des Staatsrechts
zurückdrängen. Vor Allem kann es bei der sehr un-
bestimmten Gränze zwischen Gesetz und Verordnung
im einzelnen Falle nicht ganz unzweifelhaft und nicht
allgemein anerkannt sein, dass die ständische Verab-
schiedung rechtswidrig unterlassen worden sei; selbst
die behauptete Formwidrigkeit bei der Verabschiedung
kann zweifelhaft sein. Dabei wird es besonders auf das
zukünftige Verhalten der Ständeversammlung, als des
vorzugsweise betheiligten und zur Entscheidung beru-
fenen Organs ankommen; die Ständeversammlung kann
unter Umständen durch nachträgliche, ausdrücklich oder
stillschweigend ertheilte Anerkennung auch einen heilen-
den Einfluss ausüben.3 Die Frage über das Verhalten

Formwidrigkeiten, bei denen ohne Zweifel Nichtigkeit angenom-
men werden muss; aber es giebt auch Mängel von untergeordneter
Bedeutung, denen eine solche Wirkung nicht beigemessen werden
kann. Manche der Letzteren, z. B. unrichtige Handhabungen der
Geschäftsordnung, ungenügende Legitimation einzelner Abge-
ordneten, werden nach Umständen das Gesammtresultat einer
Thätigkeit der Ständeversammlung nicht alteriren, sondern ihre
Erledigung als interne Reclamationsfälle finden. In jedem ein-
zelnen Falle würde also vor Allem der Umfang der Wirkung eines
Formmangels genau zu bestimmen sein. Vortreffliche Winke in
dieser Hinsicht enthält die Entwickelung Jhering's, Geist des
römischen Rechts III., 1. S. 213 flg.
3 Es ist überhaupt zu bedenken, dass sich das Staatsleben
nicht immer in der Richtung einfacher Linien bewegt, dass Stö-
rungen desselben vorkommen, die durch späteres Zusammenwir-
ken der Organe wieder ausgeglichen werden. Die Definitivent-
scheidung über den Erfolg staatsrechtlicher Handlungen ist oft
nicht sofort möglich; bisweilen erscheint die Bedeutung eines
solchen Thatbestands als schwebend, durch die Möglichkeit einer
Correctur bedingt. Darin liegt ein bemerkenswerther Gegensatz

Dritter Abschnitt.
nen mancherlei Umstände die schroffe Geltendmachung
solcher Nichtigkeiten auf dem Gebiete des Staatsrechts
zurückdrängen. Vor Allem kann es bei der sehr un-
bestimmten Gränze zwischen Gesetz und Verordnung
im einzelnen Falle nicht ganz unzweifelhaft und nicht
allgemein anerkannt sein, dass die ständische Verab-
schiedung rechtswidrig unterlassen worden sei; selbst
die behauptete Formwidrigkeit bei der Verabschiedung
kann zweifelhaft sein. Dabei wird es besonders auf das
zukünftige Verhalten der Ständeversammlung, als des
vorzugsweise betheiligten und zur Entscheidung beru-
fenen Organs ankommen; die Ständeversammlung kann
unter Umständen durch nachträgliche, ausdrücklich oder
stillschweigend ertheilte Anerkennung auch einen heilen-
den Einfluss ausüben.3 Die Frage über das Verhalten

Formwidrigkeiten, bei denen ohne Zweifel Nichtigkeit angenom-
men werden muss; aber es giebt auch Mängel von untergeordneter
Bedeutung, denen eine solche Wirkung nicht beigemessen werden
kann. Manche der Letzteren, z. B. unrichtige Handhabungen der
Geschäftsordnung, ungenügende Legitimation einzelner Abge-
ordneten, werden nach Umständen das Gesammtresultat einer
Thätigkeit der Ständeversammlung nicht alteriren, sondern ihre
Erledigung als interne Reclamationsfälle finden. In jedem ein-
zelnen Falle würde also vor Allem der Umfang der Wirkung eines
Formmangels genau zu bestimmen sein. Vortreffliche Winke in
dieser Hinsicht enthält die Entwickelung Jhering’s, Geist des
römischen Rechts III., 1. S. 213 flg.
3 Es ist überhaupt zu bedenken, dass sich das Staatsleben
nicht immer in der Richtung einfacher Linien bewegt, dass Stö-
rungen desselben vorkommen, die durch späteres Zusammenwir-
ken der Organe wieder ausgeglichen werden. Die Definitivent-
scheidung über den Erfolg staatsrechtlicher Handlungen ist oft
nicht sofort möglich; bisweilen erscheint die Bedeutung eines
solchen Thatbestands als schwebend, durch die Möglichkeit einer
Correctur bedingt. Darin liegt ein bemerkenswerther Gegensatz
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[150/0168] Dritter Abschnitt. nen mancherlei Umstände die schroffe Geltendmachung solcher Nichtigkeiten auf dem Gebiete des Staatsrechts zurückdrängen. Vor Allem kann es bei der sehr un- bestimmten Gränze zwischen Gesetz und Verordnung im einzelnen Falle nicht ganz unzweifelhaft und nicht allgemein anerkannt sein, dass die ständische Verab- schiedung rechtswidrig unterlassen worden sei; selbst die behauptete Formwidrigkeit bei der Verabschiedung kann zweifelhaft sein. Dabei wird es besonders auf das zukünftige Verhalten der Ständeversammlung, als des vorzugsweise betheiligten und zur Entscheidung beru- fenen Organs ankommen; die Ständeversammlung kann unter Umständen durch nachträgliche, ausdrücklich oder stillschweigend ertheilte Anerkennung auch einen heilen- den Einfluss ausüben. 3 Die Frage über das Verhalten 2 3 Es ist überhaupt zu bedenken, dass sich das Staatsleben nicht immer in der Richtung einfacher Linien bewegt, dass Stö- rungen desselben vorkommen, die durch späteres Zusammenwir- ken der Organe wieder ausgeglichen werden. Die Definitivent- scheidung über den Erfolg staatsrechtlicher Handlungen ist oft nicht sofort möglich; bisweilen erscheint die Bedeutung eines solchen Thatbestands als schwebend, durch die Möglichkeit einer Correctur bedingt. Darin liegt ein bemerkenswerther Gegensatz 2 Formwidrigkeiten, bei denen ohne Zweifel Nichtigkeit angenom- men werden muss; aber es giebt auch Mängel von untergeordneter Bedeutung, denen eine solche Wirkung nicht beigemessen werden kann. Manche der Letzteren, z. B. unrichtige Handhabungen der Geschäftsordnung, ungenügende Legitimation einzelner Abge- ordneten, werden nach Umständen das Gesammtresultat einer Thätigkeit der Ständeversammlung nicht alteriren, sondern ihre Erledigung als interne Reclamationsfälle finden. In jedem ein- zelnen Falle würde also vor Allem der Umfang der Wirkung eines Formmangels genau zu bestimmen sein. Vortreffliche Winke in dieser Hinsicht enthält die Entwickelung Jhering’s, Geist des römischen Rechts III., 1. S. 213 flg.

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/168>, abgerufen am 23.11.2024.