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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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§. 58. Die Ministeranklage.
irgend ein individueller Rechtskreis beschädigt werde,
sondern es genügt die Verletzung des Grundgesetzes
an sich. Es ist gleichgültig, ob die Verletzung einen
mehr oder weniger wichtigen Punkt des Letzteren be-
troffen hat, ob sie in einem positiven Entgegenhandeln
oder in der Unterlassung einer durch die Verfassung be-
stimmt gebotenen Handlung besteht.2 Die Verantwor-
tung tritt ein bei jeder Handlung, welche der Minister
mit dem Bewusstsein ihrer Verfassungswidrigkeit vor-
genommen hat.3

Diese Verantwortlichkeit besteht nun hauptsächlich
gegenüber den Landständen, da ein Haupttheil ihres
politischen Berufs die Controle der Verfassungsmässig-
keit des Regiments ist. Damit sie aber eine Wahrheit
werde, genügen offenbar die der Ständeversammlung zu-
stehenden gewöhnlichen parlamentarischen Mittel nicht.4
Es ist ein besonderer Gerichtshof nothwendig, durch

2 Dahin gehört z. B. die durch die Verfassung gebotene Zu-
sammenberufung der Stände innerhalb einer bestimmten Frist;
nicht aber etwa die Nichterfüllung allgemeiner Zusagen, welche
das Grundgesetz aufgenommen hat.
3 Die meisten Schriftsteller und Gesetze lassen eine Minister-
anklage nur wegen absichtlicher Verletzung der Verfassung zu,
nicht schon wegen bloss fahrlässiger, und es scheint diess auch
sowohl den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts als dem
Zwecke des Instituts am Meisten zu entsprechen. Dass ein Mi-
nister freilich nicht schon durch jede Berufung auf Unkenntniss
der Verfassungswidrigkeit frei werden kann, leuchtet ein; denn es
ist seine Pflicht, das Verfassungsrecht zu kennen. Auch bei
blosser Fahrlässigkeit will eine Anklage zulassen Mohl a. a. O.
S. 181 flg. (So auch die Oldenburgische Verfassung Art. 200. und
mehrere andere Grundgesetze; siehe Zöpfl, §. 407. Note 7.)
4 Die Mittel der s. g. politischen Verantwortlichkeit, unter
denen ganz besonders das Beschwerderecht der Stände hervortritt.

§. 58. Die Ministeranklage.
irgend ein individueller Rechtskreis beschädigt werde,
sondern es genügt die Verletzung des Grundgesetzes
an sich. Es ist gleichgültig, ob die Verletzung einen
mehr oder weniger wichtigen Punkt des Letzteren be-
troffen hat, ob sie in einem positiven Entgegenhandeln
oder in der Unterlassung einer durch die Verfassung be-
stimmt gebotenen Handlung besteht.2 Die Verantwor-
tung tritt ein bei jeder Handlung, welche der Minister
mit dem Bewusstsein ihrer Verfassungswidrigkeit vor-
genommen hat.3

Diese Verantwortlichkeit besteht nun hauptsächlich
gegenüber den Landständen, da ein Haupttheil ihres
politischen Berufs die Controle der Verfassungsmässig-
keit des Regiments ist. Damit sie aber eine Wahrheit
werde, genügen offenbar die der Ständeversammlung zu-
stehenden gewöhnlichen parlamentarischen Mittel nicht.4
Es ist ein besonderer Gerichtshof nothwendig, durch

2 Dahin gehört z. B. die durch die Verfassung gebotene Zu-
sammenberufung der Stände innerhalb einer bestimmten Frist;
nicht aber etwa die Nichterfüllung allgemeiner Zusagen, welche
das Grundgesetz aufgenommen hat.
3 Die meisten Schriftsteller und Gesetze lassen eine Minister-
anklage nur wegen absichtlicher Verletzung der Verfassung zu,
nicht schon wegen bloss fahrlässiger, und es scheint diess auch
sowohl den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts als dem
Zwecke des Instituts am Meisten zu entsprechen. Dass ein Mi-
nister freilich nicht schon durch jede Berufung auf Unkenntniss
der Verfassungswidrigkeit frei werden kann, leuchtet ein; denn es
ist seine Pflicht, das Verfassungsrecht zu kennen. Auch bei
blosser Fahrlässigkeit will eine Anklage zulassen Mohl a. a. O.
S. 181 flg. (So auch die Oldenburgische Verfassung Art. 200. und
mehrere andere Grundgesetze; siehe Zöpfl, §. 407. Note 7.)
4 Die Mittel der s. g. politischen Verantwortlichkeit, unter
denen ganz besonders das Beschwerderecht der Stände hervortritt.
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[185/0203] §. 58. Die Ministeranklage. irgend ein individueller Rechtskreis beschädigt werde, sondern es genügt die Verletzung des Grundgesetzes an sich. Es ist gleichgültig, ob die Verletzung einen mehr oder weniger wichtigen Punkt des Letzteren be- troffen hat, ob sie in einem positiven Entgegenhandeln oder in der Unterlassung einer durch die Verfassung be- stimmt gebotenen Handlung besteht. 2 Die Verantwor- tung tritt ein bei jeder Handlung, welche der Minister mit dem Bewusstsein ihrer Verfassungswidrigkeit vor- genommen hat. 3 Diese Verantwortlichkeit besteht nun hauptsächlich gegenüber den Landständen, da ein Haupttheil ihres politischen Berufs die Controle der Verfassungsmässig- keit des Regiments ist. Damit sie aber eine Wahrheit werde, genügen offenbar die der Ständeversammlung zu- stehenden gewöhnlichen parlamentarischen Mittel nicht. 4 Es ist ein besonderer Gerichtshof nothwendig, durch 2 Dahin gehört z. B. die durch die Verfassung gebotene Zu- sammenberufung der Stände innerhalb einer bestimmten Frist; nicht aber etwa die Nichterfüllung allgemeiner Zusagen, welche das Grundgesetz aufgenommen hat. 3 Die meisten Schriftsteller und Gesetze lassen eine Minister- anklage nur wegen absichtlicher Verletzung der Verfassung zu, nicht schon wegen bloss fahrlässiger, und es scheint diess auch sowohl den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts als dem Zwecke des Instituts am Meisten zu entsprechen. Dass ein Mi- nister freilich nicht schon durch jede Berufung auf Unkenntniss der Verfassungswidrigkeit frei werden kann, leuchtet ein; denn es ist seine Pflicht, das Verfassungsrecht zu kennen. Auch bei blosser Fahrlässigkeit will eine Anklage zulassen Mohl a. a. O. S. 181 flg. (So auch die Oldenburgische Verfassung Art. 200. und mehrere andere Grundgesetze; siehe Zöpfl, §. 407. Note 7.) 4 Die Mittel der s. g. politischen Verantwortlichkeit, unter denen ganz besonders das Beschwerderecht der Stände hervortritt.

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/203>, abgerufen am 23.11.2024.