Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.§. 2. Das Staatsrecht. Die Willensmacht des Staats ist die Macht zu herr-schen;2 sie heisst Staatsgewalt. Das Staatsrecht. §. 2. Das Staatsrecht als wissenschaftliche Lehre hat 2 Das Wort und den Begriff "Herrschen" nehme ich als einen specifisch dem Staatsrechte angehörenden in Anspruch. Er bezeichnet den eigenthümlichen Willensinhalt der Staatspersön- lichkeit. Nur noch für die Kirche kann eine ähnliche Auffassung berechtigt erscheinen. 1 Dass ein Staat sei, dass in ihm das Volk diese bestimmte Gliederung habe, dass sein gesellschaftliches Leben sich in ihm nach dieser bestimmten Richtung entwickele, dass die Staats- gewalt diese besonderen Erfolge zur Förderung der sittlichen, geistigen und öconomischen Cultur erstrebe, -- sind Erscheinungen, deren Bedeutung weit über die Umfassungslinien des Rechtsgebiets hinausgeht. Das Recht begnügt sich damit, einen Theil dieses grossen Culturstoffs seiner Bestimmung zu unterwerfen, der frei- lich intensiv höchst bedeutend ist, da er die Lebensbedingungen des Staats enthält. Es ist das gleiche Verhältniss, das auch sonst zwischen dem Rechte und den organischen Verbindungen des sitt- lichen Lebens, wie z. B. der Familie, Ehe, besteht, und wie über- haupt, so ist es auch hier von der grössten Wichtigkeit, sich der Schranken der Function des Rechts bewusst zu sein. 1*
§. 2. Das Staatsrecht. Die Willensmacht des Staats ist die Macht zu herr-schen;2 sie heisst Staatsgewalt. Das Staatsrecht. §. 2. Das Staatsrecht als wissenschaftliche Lehre hat 2 Das Wort und den Begriff „Herrschen“ nehme ich als einen specifisch dem Staatsrechte angehörenden in Anspruch. Er bezeichnet den eigenthümlichen Willensinhalt der Staatspersön- lichkeit. Nur noch für die Kirche kann eine ähnliche Auffassung berechtigt erscheinen. 1 Dass ein Staat sei, dass in ihm das Volk diese bestimmte Gliederung habe, dass sein gesellschaftliches Leben sich in ihm nach dieser bestimmten Richtung entwickele, dass die Staats- gewalt diese besonderen Erfolge zur Förderung der sittlichen, geistigen und öconomischen Cultur erstrebe, — sind Erscheinungen, deren Bedeutung weit über die Umfassungslinien des Rechtsgebiets hinausgeht. Das Recht begnügt sich damit, einen Theil dieses grossen Culturstoffs seiner Bestimmung zu unterwerfen, der frei- lich intensiv höchst bedeutend ist, da er die Lebensbedingungen des Staats enthält. Es ist das gleiche Verhältniss, das auch sonst zwischen dem Rechte und den organischen Verbindungen des sitt- lichen Lebens, wie z. B. der Familie, Ehe, besteht, und wie über- haupt, so ist es auch hier von der grössten Wichtigkeit, sich der Schranken der Function des Rechts bewusst zu sein. 1*
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§. 2. Das Staatsrecht.
Die Willensmacht des Staats ist die Macht zu herr-
schen; 2 sie heisst Staatsgewalt.
Das Staatsrecht.
§. 2.
Das Staatsrecht als wissenschaftliche Lehre hat
zum Gegenstande die Entwickelung des dem Staate
als solchem zustehenden Rechts. 1 Die Willens-
macht des Staats, die Staatsgewalt, ist das Recht des
Staats. Das Staatsrecht ist also die Lehre von der
Staatsgewalt, und beantwortet die Fragen: was kann
der Staat als solcher wollen? (Inhalt und Umfang der
Staatsgewalt), durch welche Organe und in welchen
Formen kann und soll sich sein Wille äussern? In der
Persönlichkeit des Staats liegt der Ausgangs- und
Mittelpunkt des Staatsrechts; mit der Anknüpfung an
2 Das Wort und den Begriff „Herrschen“ nehme ich als
einen specifisch dem Staatsrechte angehörenden in Anspruch. Er
bezeichnet den eigenthümlichen Willensinhalt der Staatspersön-
lichkeit. Nur noch für die Kirche kann eine ähnliche Auffassung
berechtigt erscheinen.
1 Dass ein Staat sei, dass in ihm das Volk diese bestimmte
Gliederung habe, dass sein gesellschaftliches Leben sich in ihm
nach dieser bestimmten Richtung entwickele, dass die Staats-
gewalt diese besonderen Erfolge zur Förderung der sittlichen,
geistigen und öconomischen Cultur erstrebe, — sind Erscheinungen,
deren Bedeutung weit über die Umfassungslinien des Rechtsgebiets
hinausgeht. Das Recht begnügt sich damit, einen Theil dieses
grossen Culturstoffs seiner Bestimmung zu unterwerfen, der frei-
lich intensiv höchst bedeutend ist, da er die Lebensbedingungen
des Staats enthält. Es ist das gleiche Verhältniss, das auch sonst
zwischen dem Rechte und den organischen Verbindungen des sitt-
lichen Lebens, wie z. B. der Familie, Ehe, besteht, und wie über-
haupt, so ist es auch hier von der grössten Wichtigkeit, sich der
Schranken der Function des Rechts bewusst zu sein.
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