Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.Einleitung. sche Wissenschaft betrachtet diese Grundzüge nochgegenwärtig, weil sie ein Product der sittlichen Kraft des deutschen Volks sind, als einen der selbständigen wissenschaftlichen Auffassung würdigen Gegenstand. In ihrer Darstellung kann sie zwar grösstentheils nicht das Ziel verfolgen, imperative Sätze von unmittelbar ver- bindlicher Kraft zu gewinnen, aber sie kann den histo- risch-sittlichen Gehalt der einzelnen, in jedem Particu- larstaatsrechte wiederkehrenden Rechtssätze und Rechts- institute in einer Weise herausstellen, in der diess eine nur dem Letzteren gewidmete Betrachtung nicht zu leisten vermöchte.2 Vom Standpunkte des praktischen modernen Institute unmittelbar an die gleichnamigen Erscheinun- gen des älteren Patrimonial- oder wenn man lieber will Feudal- staatsrechts anzuknüpfen, und als deren natürliche Fortsetzung zu behandeln. Selbst die einzelnen Elemente, welche aus dieser Periode in die Gegenwart ohne Aenderung ihres äusseren Wesens verpflanzt worden sind, haben im Zusammenhange des modernen Staatsrechts eine ganz andere Bedeutung gewonnen. Würde sich Eichhorn, der das Staatsrecht zu einer noch weniger entschiede- nen Zeit nach jenem Verfahren behandelte, jetzt zu erklären ha- ben, so würde auch er wahrscheinlich von einem anderen Gesichts- punkte ausgehen, nachdem alle deutsche Staaten mit sehr wenigen Ausnahmen (Mecklenburg, Lauenburg) in die neue Ordnung ein- getreten sind. -- Keinem Zweifel aber kann es unterliegen, dass der organische Staat der constitutionellen Monarchie als der Inhalt der gegenwärtig bestehenden allgemeinen Rechtsüberzeugung des deutschen Volks angesehen werden muss, weshalb eine zunächst nur auf diese und nicht auf eine Statistik gerichtete Darstellung von dem Staatsrechte der wenigen ausnahmsweise auf einer frühe- ren Stufe stehen gebliebenen Staaten ebenso absehen darf, als von dem Staatsrechte der vier Municipalrepubliken. 2 Diese Auffassung des Begriffs eines gemeinen deutschen
Staatsrechts ist ähnlich derjenigen, welche ich für das deutsche Privatrecht nachgewiesen habe (System §. 6.). Ein Unterschied möchte nur insofern bestehen, als die hier in Anspruch genom- Einleitung. sche Wissenschaft betrachtet diese Grundzüge nochgegenwärtig, weil sie ein Product der sittlichen Kraft des deutschen Volks sind, als einen der selbständigen wissenschaftlichen Auffassung würdigen Gegenstand. In ihrer Darstellung kann sie zwar grösstentheils nicht das Ziel verfolgen, imperative Sätze von unmittelbar ver- bindlicher Kraft zu gewinnen, aber sie kann den histo- risch-sittlichen Gehalt der einzelnen, in jedem Particu- larstaatsrechte wiederkehrenden Rechtssätze und Rechts- institute in einer Weise herausstellen, in der diess eine nur dem Letzteren gewidmete Betrachtung nicht zu leisten vermöchte.2 Vom Standpunkte des praktischen modernen Institute unmittelbar an die gleichnamigen Erscheinun- gen des älteren Patrimonial- oder wenn man lieber will Feudal- staatsrechts anzuknüpfen, und als deren natürliche Fortsetzung zu behandeln. Selbst die einzelnen Elemente, welche aus dieser Periode in die Gegenwart ohne Aenderung ihres äusseren Wesens verpflanzt worden sind, haben im Zusammenhange des modernen Staatsrechts eine ganz andere Bedeutung gewonnen. Würde sich Eichhorn, der das Staatsrecht zu einer noch weniger entschiede- nen Zeit nach jenem Verfahren behandelte, jetzt zu erklären ha- ben, so würde auch er wahrscheinlich von einem anderen Gesichts- punkte ausgehen, nachdem alle deutsche Staaten mit sehr wenigen Ausnahmen (Mecklenburg, Lauenburg) in die neue Ordnung ein- getreten sind. — Keinem Zweifel aber kann es unterliegen, dass der organische Staat der constitutionellen Monarchie als der Inhalt der gegenwärtig bestehenden allgemeinen Rechtsüberzeugung des deutschen Volks angesehen werden muss, weshalb eine zunächst nur auf diese und nicht auf eine Statistik gerichtete Darstellung von dem Staatsrechte der wenigen ausnahmsweise auf einer frühe- ren Stufe stehen gebliebenen Staaten ebenso absehen darf, als von dem Staatsrechte der vier Municipalrepubliken. 2 Diese Auffassung des Begriffs eines gemeinen deutschen
Staatsrechts ist ähnlich derjenigen, welche ich für das deutsche Privatrecht nachgewiesen habe (System §. 6.). Ein Unterschied möchte nur insofern bestehen, als die hier in Anspruch genom- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0028" n="10"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/> sche Wissenschaft betrachtet diese Grundzüge noch<lb/> gegenwärtig, weil sie ein Product der sittlichen Kraft<lb/> des deutschen Volks sind, als einen der selbständigen<lb/> wissenschaftlichen Auffassung würdigen Gegenstand. In<lb/> ihrer Darstellung kann sie zwar grösstentheils nicht das<lb/> Ziel verfolgen, imperative Sätze von unmittelbar ver-<lb/> bindlicher Kraft zu gewinnen, aber sie kann den histo-<lb/> risch-sittlichen Gehalt der einzelnen, in jedem Particu-<lb/> larstaatsrechte wiederkehrenden Rechtssätze und Rechts-<lb/> institute in einer Weise herausstellen, in der diess eine<lb/> nur dem Letzteren gewidmete Betrachtung nicht zu<lb/> leisten vermöchte.<note xml:id="note-0028a" next="#note-0027" place="foot" n="2">Diese Auffassung des Begriffs eines gemeinen deutschen<lb/> Staatsrechts ist ähnlich derjenigen, welche ich für das deutsche<lb/> Privatrecht nachgewiesen habe (System §. 6.). Ein Unterschied<lb/> möchte nur insofern bestehen, als die hier in Anspruch genom-</note> Vom Standpunkte des praktischen<lb/><note xml:id="note-0028" prev="#note-0027" place="foot" n="1">modernen Institute unmittelbar an die gleichnamigen Erscheinun-<lb/> gen des älteren Patrimonial- oder wenn man lieber will Feudal-<lb/> staatsrechts anzuknüpfen, und als deren natürliche Fortsetzung<lb/> zu behandeln. Selbst die einzelnen Elemente, welche aus dieser<lb/> Periode in die Gegenwart ohne Aenderung ihres äusseren Wesens<lb/> verpflanzt worden sind, haben im Zusammenhange des modernen<lb/> Staatsrechts eine ganz andere Bedeutung gewonnen. Würde sich<lb/> Eichhorn, der das Staatsrecht zu einer noch weniger entschiede-<lb/> nen Zeit nach jenem Verfahren behandelte, jetzt zu erklären ha-<lb/> ben, so würde auch er wahrscheinlich von einem anderen Gesichts-<lb/> punkte ausgehen, nachdem alle deutsche Staaten mit sehr wenigen<lb/> Ausnahmen (Mecklenburg, Lauenburg) in die neue Ordnung ein-<lb/> getreten sind. — Keinem Zweifel aber kann es unterliegen, dass<lb/> der organische Staat der constitutionellen Monarchie als der Inhalt<lb/> der gegenwärtig bestehenden allgemeinen Rechtsüberzeugung des<lb/> deutschen Volks angesehen werden muss, weshalb eine zunächst<lb/> nur auf diese und nicht auf eine Statistik gerichtete Darstellung<lb/> von dem Staatsrechte der wenigen ausnahmsweise auf einer frühe-<lb/> ren Stufe stehen gebliebenen Staaten ebenso absehen darf, als<lb/> von dem Staatsrechte der vier Municipalrepubliken.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0028]
Einleitung.
sche Wissenschaft betrachtet diese Grundzüge noch
gegenwärtig, weil sie ein Product der sittlichen Kraft
des deutschen Volks sind, als einen der selbständigen
wissenschaftlichen Auffassung würdigen Gegenstand. In
ihrer Darstellung kann sie zwar grösstentheils nicht das
Ziel verfolgen, imperative Sätze von unmittelbar ver-
bindlicher Kraft zu gewinnen, aber sie kann den histo-
risch-sittlichen Gehalt der einzelnen, in jedem Particu-
larstaatsrechte wiederkehrenden Rechtssätze und Rechts-
institute in einer Weise herausstellen, in der diess eine
nur dem Letzteren gewidmete Betrachtung nicht zu
leisten vermöchte. 2 Vom Standpunkte des praktischen
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2 Diese Auffassung des Begriffs eines gemeinen deutschen
Staatsrechts ist ähnlich derjenigen, welche ich für das deutsche
Privatrecht nachgewiesen habe (System §. 6.). Ein Unterschied
möchte nur insofern bestehen, als die hier in Anspruch genom-
1 modernen Institute unmittelbar an die gleichnamigen Erscheinun-
gen des älteren Patrimonial- oder wenn man lieber will Feudal-
staatsrechts anzuknüpfen, und als deren natürliche Fortsetzung
zu behandeln. Selbst die einzelnen Elemente, welche aus dieser
Periode in die Gegenwart ohne Aenderung ihres äusseren Wesens
verpflanzt worden sind, haben im Zusammenhange des modernen
Staatsrechts eine ganz andere Bedeutung gewonnen. Würde sich
Eichhorn, der das Staatsrecht zu einer noch weniger entschiede-
nen Zeit nach jenem Verfahren behandelte, jetzt zu erklären ha-
ben, so würde auch er wahrscheinlich von einem anderen Gesichts-
punkte ausgehen, nachdem alle deutsche Staaten mit sehr wenigen
Ausnahmen (Mecklenburg, Lauenburg) in die neue Ordnung ein-
getreten sind. — Keinem Zweifel aber kann es unterliegen, dass
der organische Staat der constitutionellen Monarchie als der Inhalt
der gegenwärtig bestehenden allgemeinen Rechtsüberzeugung des
deutschen Volks angesehen werden muss, weshalb eine zunächst
nur auf diese und nicht auf eine Statistik gerichtete Darstellung
von dem Staatsrechte der wenigen ausnahmsweise auf einer frühe-
ren Stufe stehen gebliebenen Staaten ebenso absehen darf, als
von dem Staatsrechte der vier Municipalrepubliken.
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