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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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die nothwendigen Einwirkungen einer übermächtigen und von ihnen nur theilweise angenommenen Kultur, so wie endlich die Mittel, welche die Kulturvölker theils aus Rohheit, theils mit der Absicht gegen sie anwandten, sie auszurotten: diese Gründe waren es, welche wir bisher als Schuld an ihrem Aussterben bezeichneten. Natürlich haben diese Gründe, wie wir schon sahen, nicht alle überall Geltung und es wird nöthig sein, dass wir sie, inwiefern sie bei den einzelnen Völkern wirksam waren, hier kurz zusammenstellen.

In Tasmanien ist die Bevölkerung lediglich in Folge des englischen Vernichtungskrieges gegen sie zu Grunde gegangen. Gleichfalls nur dem Einfluss der Europäer und zwar der Spanier erlegen sind die Bewohner der Marianen und der Antillen: allerdings haben hier die Seuchen, welche im Gefolge der Europäer ausbrachen, den Weissen die Blutarbeit wesentlich erleichtert: allerdings hat die tiefe Niedergeschlagenheit, welche sich der Eingeborenen bemächtigte, wesentlich diese Krankheiten und das Aussterben befördert. Aber beides, Krankheiten und Melancholie, waren erst durch das Auftreten der Europäer hervorgerufen; und gesetzt auch, die Seuchen hätten diese Völker ohne die Europäer überfallen, so würden sie dieselben wohl überwunden haben, wie ja auch die Bevölkerung Mexikos das schwarze Erbrechen, welches schon vor Ankunft der Spanier in verheerender Weise wüthete, siegreich ohne bleibenden Nachtheil überstanden hat.

Den Europäern allein ist ferner das Verderben der Mexikaner und Peruaner zuzuschreiben: nur dass sie am Anfang unterstützt wurden von verschiedenen eingeborenen Stämmen und Völkern, welche mit dem Hauptland in Feindschaft waren, bis auch diese nach und nach der europäischen Bedrückung erlagen.

Der schlimme Einfluss der Weissen und die Seuchen, welche sie brachten, war es denn auch vornehmlich, welcher die Neuholländer aufrieb, aber keineswegs dieser allein. Bei ihnen ist zweitens die schlechte Lebensweise, die dadurch veranlasste Unfruchtbarkeit der Weiber und Sterblichkeit der Kinder von sehr bedeutendem Einfluss, so wie drittens der Kindermord und viertens die mannigfachen Kriege und Feindseligkeiten der Stämme untereinander mit in Anschlag zu bringen sind. Die Ausschweifungen, die sich bei ihnen finden -- den Trunk haben erst die Weissen gebracht -- sind zu wenig verbreitet, als dass sie ins Gewicht fallen könnten.

Auch die roheren Völker Nord- und Südamerikas würden wir wohl noch in derselben Anzahl jetzt vorfinden, wie vor 300 Jahren, wenn der Einfluss der Europäer, der als Hauptgrund auch für ihr Aussterben anzusehen ist, nicht gewesen wäre. Neben der Wirkung der europäischen Waffen und Getränke waren von schlimmstem Einfluss die Seuchen, welche von den Weissen (wie wir sahen oft mit der schändlichsten Bosheit) eingeschleppt wurden, dann aber auch,

die nothwendigen Einwirkungen einer übermächtigen und von ihnen nur theilweise angenommenen Kultur, so wie endlich die Mittel, welche die Kulturvölker theils aus Rohheit, theils mit der Absicht gegen sie anwandten, sie auszurotten: diese Gründe waren es, welche wir bisher als Schuld an ihrem Aussterben bezeichneten. Natürlich haben diese Gründe, wie wir schon sahen, nicht alle überall Geltung und es wird nöthig sein, dass wir sie, inwiefern sie bei den einzelnen Völkern wirksam waren, hier kurz zusammenstellen.

In Tasmanien ist die Bevölkerung lediglich in Folge des englischen Vernichtungskrieges gegen sie zu Grunde gegangen. Gleichfalls nur dem Einfluss der Europäer und zwar der Spanier erlegen sind die Bewohner der Marianen und der Antillen: allerdings haben hier die Seuchen, welche im Gefolge der Europäer ausbrachen, den Weissen die Blutarbeit wesentlich erleichtert: allerdings hat die tiefe Niedergeschlagenheit, welche sich der Eingeborenen bemächtigte, wesentlich diese Krankheiten und das Aussterben befördert. Aber beides, Krankheiten und Melancholie, waren erst durch das Auftreten der Europäer hervorgerufen; und gesetzt auch, die Seuchen hätten diese Völker ohne die Europäer überfallen, so würden sie dieselben wohl überwunden haben, wie ja auch die Bevölkerung Mexikos das schwarze Erbrechen, welches schon vor Ankunft der Spanier in verheerender Weise wüthete, siegreich ohne bleibenden Nachtheil überstanden hat.

Den Europäern allein ist ferner das Verderben der Mexikaner und Peruaner zuzuschreiben: nur dass sie am Anfang unterstützt wurden von verschiedenen eingeborenen Stämmen und Völkern, welche mit dem Hauptland in Feindschaft waren, bis auch diese nach und nach der europäischen Bedrückung erlagen.

Der schlimme Einfluss der Weissen und die Seuchen, welche sie brachten, war es denn auch vornehmlich, welcher die Neuholländer aufrieb, aber keineswegs dieser allein. Bei ihnen ist zweitens die schlechte Lebensweise, die dadurch veranlasste Unfruchtbarkeit der Weiber und Sterblichkeit der Kinder von sehr bedeutendem Einfluss, so wie drittens der Kindermord und viertens die mannigfachen Kriege und Feindseligkeiten der Stämme untereinander mit in Anschlag zu bringen sind. Die Ausschweifungen, die sich bei ihnen finden — den Trunk haben erst die Weissen gebracht — sind zu wenig verbreitet, als dass sie ins Gewicht fallen könnten.

Auch die roheren Völker Nord- und Südamerikas würden wir wohl noch in derselben Anzahl jetzt vorfinden, wie vor 300 Jahren, wenn der Einfluss der Europäer, der als Hauptgrund auch für ihr Aussterben anzusehen ist, nicht gewesen wäre. Neben der Wirkung der europäischen Waffen und Getränke waren von schlimmstem Einfluss die Seuchen, welche von den Weissen (wie wir sahen oft mit der schändlichsten Bosheit) eingeschleppt wurden, dann aber auch,

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 Mittel, welche die Kulturvölker theils aus Rohheit, theils mit
 der Absicht gegen sie anwandten, sie auszurotten: diese Gründe
 waren es, welche wir bisher als Schuld an ihrem Aussterben
 bezeichneten. Natürlich haben diese Gründe, wie wir schon
 sahen, nicht alle überall Geltung und es wird nöthig
 sein, dass wir sie, inwiefern sie bei den einzelnen Völkern
 wirksam waren, hier kurz zusammenstellen.</p>
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 Gleichfalls nur dem Einfluss der Europäer und zwar der Spanier
 erlegen sind die Bewohner der Marianen und der Antillen: allerdings
 haben hier die Seuchen, welche im Gefolge der Europäer
 ausbrachen, den Weissen die Blutarbeit wesentlich erleichtert:
 allerdings hat die tiefe Niedergeschlagenheit, welche sich der
 Eingeborenen bemächtigte, wesentlich diese Krankheiten und das
 Aussterben befördert. Aber beides, Krankheiten und
 Melancholie, waren erst durch das Auftreten der Europäer
 hervorgerufen; und gesetzt auch, die Seuchen hätten diese
 Völker ohne die Europäer überfallen, so würden
 sie dieselben wohl überwunden haben, wie ja auch die
 Bevölkerung Mexikos das schwarze Erbrechen, welches schon vor
 Ankunft der Spanier in verheerender Weise wüthete, siegreich
 ohne bleibenden Nachtheil überstanden hat.</p>
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 und Peruaner zuzuschreiben: nur dass sie am Anfang unterstützt
 wurden von verschiedenen eingeborenen Stämmen und
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 auch diese nach und nach der europäischen Bedrückung
 erlagen.</p>
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 Neuholländer aufrieb, aber keineswegs dieser allein. Bei ihnen
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 Unfruchtbarkeit der Weiber und Sterblichkeit der Kinder von sehr
 bedeutendem Einfluss, so wie drittens der Kindermord und viertens
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 und Getränke waren von schlimmstem Einfluss die Seuchen,
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[0128] die nothwendigen Einwirkungen einer übermächtigen und von ihnen nur theilweise angenommenen Kultur, so wie endlich die Mittel, welche die Kulturvölker theils aus Rohheit, theils mit der Absicht gegen sie anwandten, sie auszurotten: diese Gründe waren es, welche wir bisher als Schuld an ihrem Aussterben bezeichneten. Natürlich haben diese Gründe, wie wir schon sahen, nicht alle überall Geltung und es wird nöthig sein, dass wir sie, inwiefern sie bei den einzelnen Völkern wirksam waren, hier kurz zusammenstellen. In Tasmanien ist die Bevölkerung lediglich in Folge des englischen Vernichtungskrieges gegen sie zu Grunde gegangen. Gleichfalls nur dem Einfluss der Europäer und zwar der Spanier erlegen sind die Bewohner der Marianen und der Antillen: allerdings haben hier die Seuchen, welche im Gefolge der Europäer ausbrachen, den Weissen die Blutarbeit wesentlich erleichtert: allerdings hat die tiefe Niedergeschlagenheit, welche sich der Eingeborenen bemächtigte, wesentlich diese Krankheiten und das Aussterben befördert. Aber beides, Krankheiten und Melancholie, waren erst durch das Auftreten der Europäer hervorgerufen; und gesetzt auch, die Seuchen hätten diese Völker ohne die Europäer überfallen, so würden sie dieselben wohl überwunden haben, wie ja auch die Bevölkerung Mexikos das schwarze Erbrechen, welches schon vor Ankunft der Spanier in verheerender Weise wüthete, siegreich ohne bleibenden Nachtheil überstanden hat. Den Europäern allein ist ferner das Verderben der Mexikaner und Peruaner zuzuschreiben: nur dass sie am Anfang unterstützt wurden von verschiedenen eingeborenen Stämmen und Völkern, welche mit dem Hauptland in Feindschaft waren, bis auch diese nach und nach der europäischen Bedrückung erlagen. Der schlimme Einfluss der Weissen und die Seuchen, welche sie brachten, war es denn auch vornehmlich, welcher die Neuholländer aufrieb, aber keineswegs dieser allein. Bei ihnen ist zweitens die schlechte Lebensweise, die dadurch veranlasste Unfruchtbarkeit der Weiber und Sterblichkeit der Kinder von sehr bedeutendem Einfluss, so wie drittens der Kindermord und viertens die mannigfachen Kriege und Feindseligkeiten der Stämme untereinander mit in Anschlag zu bringen sind. Die Ausschweifungen, die sich bei ihnen finden — den Trunk haben erst die Weissen gebracht — sind zu wenig verbreitet, als dass sie ins Gewicht fallen könnten. Auch die roheren Völker Nord- und Südamerikas würden wir wohl noch in derselben Anzahl jetzt vorfinden, wie vor 300 Jahren, wenn der Einfluss der Europäer, der als Hauptgrund auch für ihr Aussterben anzusehen ist, nicht gewesen wäre. Neben der Wirkung der europäischen Waffen und Getränke waren von schlimmstem Einfluss die Seuchen, welche von den Weissen (wie wir sahen oft mit der schändlichsten Bosheit) eingeschleppt wurden, dann aber auch,

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/128>, abgerufen am 21.11.2024.