Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.wohl nimmermehr wären diesen Folgen, den Veränderungen im leiblichen und geistigen Leben, der gewaltigen geistigen Anstrengung, welche die Kultur verlangte, diese Völker erlegen, wenn nicht andere Ursachen hierfür wirksam waren, zu denen dann freilich sich auch jene Folgen der Kultur als wirksamer sekundärer Grund hinzugesellten. Hätte sich die Annäherung der Kultur, wenn auch rasch, aber friedlich vollzogen; hätte sie gesunde Völker getroffen, so würde bei diesen, ähnlich wie bei den alten Germanen, eine Zeit des Stillstandes eingetreten, dann aber ein neues kräftiges Leben erblüht sein. Wo die Verhältnisse nur annähernd normal waren, finden wir diesen Gang der Ereignisse, wie wir im Folgenden näher betrachten werden. Aus dem Vorstehenden folgt ein wichtiges Gesetz: nie ist es eine Ursache allein, welche ein Volk vernichtet, sondern stets mehrere zusammen, von denen allerdings eine im Vordergrund stehen kann. Auch die Ausrottung der Marianer, Tasmanier und der antillischen Bevölkerung bildet keine Ausnahme, da man hier die Begrenztheit des Terrains als zweiten Grund, in Tasmanien Charakter und Lebensart der Bewohner als dritten in Anschlag bringen muss. Wo nur eine der genannten Ursachen wirkt, oder auch mehrere der untergeordneten, da tritt, soweit jetzt menschliche Geschichte und Beobachtung reicht, kein Aussterben ein; so halten sich die Feuerländer trotz ihres elenden Lebens: so bestehen die Fidschis weiter trotz der auch zu ihnen mächtig eingedrungenen Kultur, trotz der massenhaften Menschentödtung; und so kann man dies weiter verfolgen. Diese Erscheinung ist anthropologisch bedeutsam, weil sie wie keine zweite die zähe Lebensfähigkeit der Menschheit und zugleich beweist, dass diese Lebenskraft in allen Zweigen des Menschengeschlechtes gleichmässig vertheilt ist, ja bei den Naturvölkern eher stärker, wie bei den kultivirten Nationen auftritt, welche letzteren, weil sie feiner organisirt sind als die unkultivirten Menschen, auch bei weitem weniger zu ertragen im Stande sind. Denn wenn wir fragen: sind die angeführten Ursachen stark genug, um das Hinschwinden ganzer Völker zu veranlassen? so müssen wir antworten: sie sind es reichlich und im Uebermass, jede einzelne schon und nun gar mehrere vereint. Ist es nicht ein wahres Wunder, dass der Naturmensch in einem Lande wie Neuholland sich hielt, wo Europäer trotz aller Ausrüstungen meist so rettungslos verloren sind? Und noch dazu sich hielt in den ewigen Kriegen mit seines Gleichen, unter den ungünstigen Einflüssen der eigenen mangelhaften Kultur? oder der Polynesier auf seinen kleinen oft so unfruchtbaren Inseln inmitten des ungeheuersten aller Ozeane, und auch er ewigem Krieg und Kindermord und den entnervendsten Ausschweifungen unterworfen? Nicht ein Wunder, dass nach den furchtbaren Vernichtungskriegen durch die Weissen nicht eines dieser Völ- wohl nimmermehr wären diesen Folgen, den Veränderungen im leiblichen und geistigen Leben, der gewaltigen geistigen Anstrengung, welche die Kultur verlangte, diese Völker erlegen, wenn nicht andere Ursachen hierfür wirksam waren, zu denen dann freilich sich auch jene Folgen der Kultur als wirksamer sekundärer Grund hinzugesellten. Hätte sich die Annäherung der Kultur, wenn auch rasch, aber friedlich vollzogen; hätte sie gesunde Völker getroffen, so würde bei diesen, ähnlich wie bei den alten Germanen, eine Zeit des Stillstandes eingetreten, dann aber ein neues kräftiges Leben erblüht sein. Wo die Verhältnisse nur annähernd normal waren, finden wir diesen Gang der Ereignisse, wie wir im Folgenden näher betrachten werden. Aus dem Vorstehenden folgt ein wichtiges Gesetz: nie ist es eine Ursache allein, welche ein Volk vernichtet, sondern stets mehrere zusammen, von denen allerdings eine im Vordergrund stehen kann. Auch die Ausrottung der Marianer, Tasmanier und der antillischen Bevölkerung bildet keine Ausnahme, da man hier die Begrenztheit des Terrains als zweiten Grund, in Tasmanien Charakter und Lebensart der Bewohner als dritten in Anschlag bringen muss. Wo nur eine der genannten Ursachen wirkt, oder auch mehrere der untergeordneten, da tritt, soweit jetzt menschliche Geschichte und Beobachtung reicht, kein Aussterben ein; so halten sich die Feuerländer trotz ihres elenden Lebens: so bestehen die Fidschis weiter trotz der auch zu ihnen mächtig eingedrungenen Kultur, trotz der massenhaften Menschentödtung; und so kann man dies weiter verfolgen. Diese Erscheinung ist anthropologisch bedeutsam, weil sie wie keine zweite die zähe Lebensfähigkeit der Menschheit und zugleich beweist, dass diese Lebenskraft in allen Zweigen des Menschengeschlechtes gleichmässig vertheilt ist, ja bei den Naturvölkern eher stärker, wie bei den kultivirten Nationen auftritt, welche letzteren, weil sie feiner organisirt sind als die unkultivirten Menschen, auch bei weitem weniger zu ertragen im Stande sind. Denn wenn wir fragen: sind die angeführten Ursachen stark genug, um das Hinschwinden ganzer Völker zu veranlassen? so müssen wir antworten: sie sind es reichlich und im Uebermass, jede einzelne schon und nun gar mehrere vereint. Ist es nicht ein wahres Wunder, dass der Naturmensch in einem Lande wie Neuholland sich hielt, wo Europäer trotz aller Ausrüstungen meist so rettungslos verloren sind? Und noch dazu sich hielt in den ewigen Kriegen mit seines Gleichen, unter den ungünstigen Einflüssen der eigenen mangelhaften Kultur? oder der Polynesier auf seinen kleinen oft so unfruchtbaren Inseln inmitten des ungeheuersten aller Ozeane, und auch er ewigem Krieg und Kindermord und den entnervendsten Ausschweifungen unterworfen? Nicht ein Wunder, dass nach den furchtbaren Vernichtungskriegen durch die Weissen nicht eines dieser Völ- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0132"/> wohl nimmermehr wären diesen Folgen, den Veränderungen im leiblichen und geistigen Leben, der gewaltigen geistigen Anstrengung, welche die Kultur verlangte, diese Völker erlegen, wenn nicht andere Ursachen hierfür wirksam waren, zu denen dann freilich sich auch jene Folgen der Kultur als wirksamer sekundärer Grund hinzugesellten. Hätte sich die Annäherung der Kultur, wenn auch rasch, aber friedlich vollzogen; hätte sie gesunde Völker getroffen, so würde bei diesen, ähnlich wie bei den alten Germanen, eine Zeit des Stillstandes eingetreten, dann aber ein neues kräftiges Leben erblüht sein. Wo die Verhältnisse nur annähernd normal waren, finden wir diesen Gang der Ereignisse, wie wir im Folgenden näher betrachten werden.</p> <p>Aus dem Vorstehenden folgt ein wichtiges Gesetz: nie ist es eine Ursache allein, welche ein Volk vernichtet, sondern stets mehrere zusammen, von denen allerdings eine im Vordergrund stehen kann. Auch die Ausrottung der Marianer, Tasmanier und der antillischen Bevölkerung bildet keine Ausnahme, da man hier die Begrenztheit des Terrains als zweiten Grund, in Tasmanien Charakter und Lebensart der Bewohner als dritten in Anschlag bringen muss. Wo nur eine der genannten Ursachen wirkt, oder auch mehrere der untergeordneten, da tritt, soweit jetzt menschliche Geschichte und Beobachtung reicht, kein Aussterben ein; so halten sich die Feuerländer trotz ihres elenden Lebens: so bestehen die Fidschis weiter trotz der auch zu ihnen mächtig eingedrungenen Kultur, trotz der massenhaften Menschentödtung; und so kann man dies weiter verfolgen. Diese Erscheinung ist anthropologisch bedeutsam, weil sie wie keine zweite die zähe Lebensfähigkeit der Menschheit und zugleich beweist, dass diese Lebenskraft in allen Zweigen des Menschengeschlechtes gleichmässig vertheilt ist, ja bei den Naturvölkern eher stärker, wie bei den kultivirten Nationen auftritt, welche letzteren, weil sie feiner organisirt sind als die unkultivirten Menschen, auch bei weitem weniger zu ertragen im Stande sind.</p> <p>Denn wenn wir fragen: sind die angeführten Ursachen stark genug, um das Hinschwinden ganzer Völker zu veranlassen? so müssen wir antworten: sie sind es reichlich und im Uebermass, jede einzelne schon und nun gar mehrere vereint. Ist es nicht ein wahres Wunder, dass der Naturmensch in einem Lande wie Neuholland sich hielt, wo Europäer trotz aller Ausrüstungen meist so rettungslos verloren sind? Und noch dazu sich hielt in den ewigen Kriegen mit seines Gleichen, unter den ungünstigen Einflüssen der eigenen mangelhaften Kultur? oder der Polynesier auf seinen kleinen oft so unfruchtbaren Inseln inmitten des ungeheuersten aller Ozeane, und auch er ewigem Krieg und Kindermord und den entnervendsten Ausschweifungen unterworfen? Nicht ein Wunder, dass nach den furchtbaren Vernichtungskriegen durch die Weissen nicht eines dieser Völ- </p> </div> </body> </text> </TEI> [0132]
wohl nimmermehr wären diesen Folgen, den Veränderungen im leiblichen und geistigen Leben, der gewaltigen geistigen Anstrengung, welche die Kultur verlangte, diese Völker erlegen, wenn nicht andere Ursachen hierfür wirksam waren, zu denen dann freilich sich auch jene Folgen der Kultur als wirksamer sekundärer Grund hinzugesellten. Hätte sich die Annäherung der Kultur, wenn auch rasch, aber friedlich vollzogen; hätte sie gesunde Völker getroffen, so würde bei diesen, ähnlich wie bei den alten Germanen, eine Zeit des Stillstandes eingetreten, dann aber ein neues kräftiges Leben erblüht sein. Wo die Verhältnisse nur annähernd normal waren, finden wir diesen Gang der Ereignisse, wie wir im Folgenden näher betrachten werden.
Aus dem Vorstehenden folgt ein wichtiges Gesetz: nie ist es eine Ursache allein, welche ein Volk vernichtet, sondern stets mehrere zusammen, von denen allerdings eine im Vordergrund stehen kann. Auch die Ausrottung der Marianer, Tasmanier und der antillischen Bevölkerung bildet keine Ausnahme, da man hier die Begrenztheit des Terrains als zweiten Grund, in Tasmanien Charakter und Lebensart der Bewohner als dritten in Anschlag bringen muss. Wo nur eine der genannten Ursachen wirkt, oder auch mehrere der untergeordneten, da tritt, soweit jetzt menschliche Geschichte und Beobachtung reicht, kein Aussterben ein; so halten sich die Feuerländer trotz ihres elenden Lebens: so bestehen die Fidschis weiter trotz der auch zu ihnen mächtig eingedrungenen Kultur, trotz der massenhaften Menschentödtung; und so kann man dies weiter verfolgen. Diese Erscheinung ist anthropologisch bedeutsam, weil sie wie keine zweite die zähe Lebensfähigkeit der Menschheit und zugleich beweist, dass diese Lebenskraft in allen Zweigen des Menschengeschlechtes gleichmässig vertheilt ist, ja bei den Naturvölkern eher stärker, wie bei den kultivirten Nationen auftritt, welche letzteren, weil sie feiner organisirt sind als die unkultivirten Menschen, auch bei weitem weniger zu ertragen im Stande sind.
Denn wenn wir fragen: sind die angeführten Ursachen stark genug, um das Hinschwinden ganzer Völker zu veranlassen? so müssen wir antworten: sie sind es reichlich und im Uebermass, jede einzelne schon und nun gar mehrere vereint. Ist es nicht ein wahres Wunder, dass der Naturmensch in einem Lande wie Neuholland sich hielt, wo Europäer trotz aller Ausrüstungen meist so rettungslos verloren sind? Und noch dazu sich hielt in den ewigen Kriegen mit seines Gleichen, unter den ungünstigen Einflüssen der eigenen mangelhaften Kultur? oder der Polynesier auf seinen kleinen oft so unfruchtbaren Inseln inmitten des ungeheuersten aller Ozeane, und auch er ewigem Krieg und Kindermord und den entnervendsten Ausschweifungen unterworfen? Nicht ein Wunder, dass nach den furchtbaren Vernichtungskriegen durch die Weissen nicht eines dieser Völ-
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Zitationshilfe: | Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/132>, abgerufen am 16.02.2025. |