Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.wie die "Pioniere des Westens", die "Helden von Old-Kentucky" (Waitz 3, 260), die nebenbei auch der intellektuellen Vorzüge der Kultur sich begebend genau ebenso abergläubisch als die Indianer wurden, deren Lebensweise, Vergnügungen und Skalpirungen bald sich nur noch durch grössere Rohheit von den Indianern unterschied? Ja d'Ewes (China, Australia and the Pacif. Islands in 1855-56. London 1857, p. 150) erzählt, dass einzelne Weisse auf den Fidschi- und Tonga-Inseln, neben den grässlichsten Verbrechen aller Art, sogar den Kannibalismus der Eingeborenen mitgemacht haben! Beispiele von Spaniern und Portugiesen, welche unter die Bildungsstufe der Eingeborenen Südamerikas herabgesunken sind, findet man reichlich bei Waitz 1, 370 und bei v. Tschudi an verschiedenen Stellen. Ehrlichkeit, Treue, Vertrauen, Anstand, Gastfreundschaft, Menschlichkeit, reine Religiosität, die besseren moralischen Eigenschaften findet man meist nicht auf Seiten der Europäer, sondern der so tief verachteten Naturvölker, und Seume's "Wir Wilden sind doch bessre Menschen" hat seinen tiefen Grund. Man sage nicht, dass die von den Europäern verübten Schlechtigkeiten nur von einzelnen ausgegangen und also auch nur den einzelnen Individuen zur Last zu legen seien; sie sind so ziemlich gleichmässig von der gesammten Kolonistenbevölkerung ausgeführt und jedenfalls von ihr höchlich gebilligt worden; ja es fehlt noch viel, dass sie auch jetzt überall getadelt würden. Es zeigt sich aus diesen Betrachtungen ferner, wie ungeheuer langsam die Menschheit moralisch fortschreitet und wie wenig durch intellektuelle Entwickelung ein Fortschritt nach jener Seite bedingt wird. Das eben von Columbus Erwähnte mag als Beleg dienen, er, der geistig so hoch über seiner Zeit stand, hatte sittlich ganz dieselbe Stufe inne. Seine ganze Zeit aber stand trotz des Christenthums, trotz der äusseren Kultur noch auf einem Standpunkt der geistigen Rohheit, die sich noch kaum von dem Wesen des Naturmenschen unterscheidet, ja durch reicher entwickelte und ganz zügellose Leidenschaften noch tiefer als jenes erscheint. Wie gewaltig nun die Entwickelung der Intelligenz in den letzten drei Jahrhunderten zugenommen hat, weiss Jeder; blickt man aber auf die Kulturvölker des 19. Jahrhunderts -- man denke an die Engländer in Tasmanien, Neuholland, Nordamerika, die Portugiesen und Spanier in Südamerika -- so wird man von einem moralischen Fortschritt noch gar wenig bemerken, denn sie benehmen sich, allerdings nicht mehr in solcher Allgemeinheit, gerade ebenso brutal und unmenschlich, als die Spanier im 16. Jahrhundert. Auch kann man nicht behaupten, dass die heutige Propaganda und ihr Verfahren in der Südsee sich sehr zu ihrem Vortheil von den Missionären des 16. und 17. Jahrhunderts unterschied; was sie etwa an Gewaltthätigkeit verloren hat, das hat sie an Unwahrheit ge- wie die »Pioniere des Westens«, die »Helden von Old-Kentucky« (Waitz 3, 260), die nebenbei auch der intellektuellen Vorzüge der Kultur sich begebend genau ebenso abergläubisch als die Indianer wurden, deren Lebensweise, Vergnügungen und Skalpirungen bald sich nur noch durch grössere Rohheit von den Indianern unterschied? Ja d'Ewes (China, Australia and the Pacif. Islands in 1855-56. London 1857, p. 150) erzählt, dass einzelne Weisse auf den Fidschi- und Tonga-Inseln, neben den grässlichsten Verbrechen aller Art, sogar den Kannibalismus der Eingeborenen mitgemacht haben! Beispiele von Spaniern und Portugiesen, welche unter die Bildungsstufe der Eingeborenen Südamerikas herabgesunken sind, findet man reichlich bei Waitz 1, 370 und bei v. Tschudi an verschiedenen Stellen. Ehrlichkeit, Treue, Vertrauen, Anstand, Gastfreundschaft, Menschlichkeit, reine Religiosität, die besseren moralischen Eigenschaften findet man meist nicht auf Seiten der Europäer, sondern der so tief verachteten Naturvölker, und Seume's »Wir Wilden sind doch bessre Menschen« hat seinen tiefen Grund. Man sage nicht, dass die von den Europäern verübten Schlechtigkeiten nur von einzelnen ausgegangen und also auch nur den einzelnen Individuen zur Last zu legen seien; sie sind so ziemlich gleichmässig von der gesammten Kolonistenbevölkerung ausgeführt und jedenfalls von ihr höchlich gebilligt worden; ja es fehlt noch viel, dass sie auch jetzt überall getadelt würden. Es zeigt sich aus diesen Betrachtungen ferner, wie ungeheuer langsam die Menschheit moralisch fortschreitet und wie wenig durch intellektuelle Entwickelung ein Fortschritt nach jener Seite bedingt wird. Das eben von Columbus Erwähnte mag als Beleg dienen, er, der geistig so hoch über seiner Zeit stand, hatte sittlich ganz dieselbe Stufe inne. Seine ganze Zeit aber stand trotz des Christenthums, trotz der äusseren Kultur noch auf einem Standpunkt der geistigen Rohheit, die sich noch kaum von dem Wesen des Naturmenschen unterscheidet, ja durch reicher entwickelte und ganz zügellose Leidenschaften noch tiefer als jenes erscheint. Wie gewaltig nun die Entwickelung der Intelligenz in den letzten drei Jahrhunderten zugenommen hat, weiss Jeder; blickt man aber auf die Kulturvölker des 19. Jahrhunderts — man denke an die Engländer in Tasmanien, Neuholland, Nordamerika, die Portugiesen und Spanier in Südamerika — so wird man von einem moralischen Fortschritt noch gar wenig bemerken, denn sie benehmen sich, allerdings nicht mehr in solcher Allgemeinheit, gerade ebenso brutal und unmenschlich, als die Spanier im 16. Jahrhundert. Auch kann man nicht behaupten, dass die heutige Propaganda und ihr Verfahren in der Südsee sich sehr zu ihrem Vortheil von den Missionären des 16. und 17. Jahrhunderts unterschied; was sie etwa an Gewaltthätigkeit verloren hat, das hat sie an Unwahrheit ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0148"/> wie die »Pioniere des Westens«, die »Helden von Old-Kentucky« (Waitz 3, 260), die nebenbei auch der intellektuellen Vorzüge der Kultur sich begebend genau ebenso abergläubisch als die Indianer wurden, deren Lebensweise, Vergnügungen und Skalpirungen bald sich nur noch durch grössere Rohheit von den Indianern unterschied? Ja d'Ewes (China, Australia and the Pacif. Islands in 1855-56. London 1857, p. 150) erzählt, dass einzelne Weisse auf den Fidschi- und Tonga-Inseln, neben den grässlichsten Verbrechen aller Art, sogar den Kannibalismus der Eingeborenen mitgemacht haben! Beispiele von Spaniern und Portugiesen, welche unter die Bildungsstufe der Eingeborenen Südamerikas herabgesunken sind, findet man reichlich bei Waitz 1, 370 und bei v. Tschudi an verschiedenen Stellen. Ehrlichkeit, Treue, Vertrauen, Anstand, Gastfreundschaft, Menschlichkeit, reine Religiosität, die besseren moralischen Eigenschaften findet man meist nicht auf Seiten der Europäer, sondern der so tief verachteten Naturvölker, und Seume's</p> <lg type="poem"> <l>»Wir Wilden sind doch bessre Menschen«</l><lb/> </lg> <p>hat seinen tiefen Grund. Man sage nicht, dass die von den Europäern verübten Schlechtigkeiten nur von einzelnen ausgegangen und also auch nur den einzelnen Individuen zur Last zu legen seien; sie sind so ziemlich gleichmässig von der gesammten Kolonistenbevölkerung ausgeführt und jedenfalls von ihr höchlich gebilligt worden; ja es fehlt noch viel, dass sie auch jetzt überall getadelt würden.</p> <p>Es zeigt sich aus diesen Betrachtungen ferner, wie ungeheuer langsam die Menschheit moralisch fortschreitet und wie wenig durch intellektuelle Entwickelung ein Fortschritt nach jener Seite bedingt wird. Das eben von Columbus Erwähnte mag als Beleg dienen, er, der geistig so hoch über seiner Zeit stand, hatte sittlich ganz dieselbe Stufe inne. Seine ganze Zeit aber stand trotz des Christenthums, trotz der äusseren Kultur noch auf einem Standpunkt der geistigen Rohheit, die sich noch kaum von dem Wesen des Naturmenschen unterscheidet, ja durch reicher entwickelte und ganz zügellose Leidenschaften noch tiefer als jenes erscheint. Wie gewaltig nun die Entwickelung der Intelligenz in den letzten drei Jahrhunderten zugenommen hat, weiss Jeder; blickt man aber auf die Kulturvölker des 19. Jahrhunderts — man denke an die Engländer in Tasmanien, Neuholland, Nordamerika, die Portugiesen und Spanier in Südamerika — so wird man von einem moralischen Fortschritt noch gar wenig bemerken, denn sie benehmen sich, allerdings nicht mehr in solcher Allgemeinheit, gerade ebenso brutal und unmenschlich, als die Spanier im 16. Jahrhundert.</p> <p>Auch kann man nicht behaupten, dass die heutige Propaganda und ihr Verfahren in der Südsee sich sehr zu ihrem Vortheil von den Missionären des 16. und 17. Jahrhunderts unterschied; was sie etwa an Gewaltthätigkeit verloren hat, das hat sie an Unwahrheit ge- </p> </div> </body> </text> </TEI> [0148]
wie die »Pioniere des Westens«, die »Helden von Old-Kentucky« (Waitz 3, 260), die nebenbei auch der intellektuellen Vorzüge der Kultur sich begebend genau ebenso abergläubisch als die Indianer wurden, deren Lebensweise, Vergnügungen und Skalpirungen bald sich nur noch durch grössere Rohheit von den Indianern unterschied? Ja d'Ewes (China, Australia and the Pacif. Islands in 1855-56. London 1857, p. 150) erzählt, dass einzelne Weisse auf den Fidschi- und Tonga-Inseln, neben den grässlichsten Verbrechen aller Art, sogar den Kannibalismus der Eingeborenen mitgemacht haben! Beispiele von Spaniern und Portugiesen, welche unter die Bildungsstufe der Eingeborenen Südamerikas herabgesunken sind, findet man reichlich bei Waitz 1, 370 und bei v. Tschudi an verschiedenen Stellen. Ehrlichkeit, Treue, Vertrauen, Anstand, Gastfreundschaft, Menschlichkeit, reine Religiosität, die besseren moralischen Eigenschaften findet man meist nicht auf Seiten der Europäer, sondern der so tief verachteten Naturvölker, und Seume's
»Wir Wilden sind doch bessre Menschen«
hat seinen tiefen Grund. Man sage nicht, dass die von den Europäern verübten Schlechtigkeiten nur von einzelnen ausgegangen und also auch nur den einzelnen Individuen zur Last zu legen seien; sie sind so ziemlich gleichmässig von der gesammten Kolonistenbevölkerung ausgeführt und jedenfalls von ihr höchlich gebilligt worden; ja es fehlt noch viel, dass sie auch jetzt überall getadelt würden.
Es zeigt sich aus diesen Betrachtungen ferner, wie ungeheuer langsam die Menschheit moralisch fortschreitet und wie wenig durch intellektuelle Entwickelung ein Fortschritt nach jener Seite bedingt wird. Das eben von Columbus Erwähnte mag als Beleg dienen, er, der geistig so hoch über seiner Zeit stand, hatte sittlich ganz dieselbe Stufe inne. Seine ganze Zeit aber stand trotz des Christenthums, trotz der äusseren Kultur noch auf einem Standpunkt der geistigen Rohheit, die sich noch kaum von dem Wesen des Naturmenschen unterscheidet, ja durch reicher entwickelte und ganz zügellose Leidenschaften noch tiefer als jenes erscheint. Wie gewaltig nun die Entwickelung der Intelligenz in den letzten drei Jahrhunderten zugenommen hat, weiss Jeder; blickt man aber auf die Kulturvölker des 19. Jahrhunderts — man denke an die Engländer in Tasmanien, Neuholland, Nordamerika, die Portugiesen und Spanier in Südamerika — so wird man von einem moralischen Fortschritt noch gar wenig bemerken, denn sie benehmen sich, allerdings nicht mehr in solcher Allgemeinheit, gerade ebenso brutal und unmenschlich, als die Spanier im 16. Jahrhundert.
Auch kann man nicht behaupten, dass die heutige Propaganda und ihr Verfahren in der Südsee sich sehr zu ihrem Vortheil von den Missionären des 16. und 17. Jahrhunderts unterschied; was sie etwa an Gewaltthätigkeit verloren hat, das hat sie an Unwahrheit ge-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML.
(2012-11-06T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-06T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |