Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.eine höchst eigenthümliche Erscheinung, dass Indianerstämme, die durch Krieg oder Epidemien plötzlich sehr stark reducirt wurden, sich in der Regel nie wieder erholen und nur noch als wenig zahlreiche Familien gewöhnlich Jahrzehnte lang hinsiechen, bis sie endlich ganz aussterben. Bei ihnen tritt nicht mehr die Vermehrungsprogression ein, wie sie vor dem vernichtenden Schlage stattgefunden hatte, und bei anderen unter den nämlichen physischen Bedingungen lebenden Völkern beobachtet wird. Meines Wissens ist dieses Verhältniss noch nirgends erörtert worden. Ich habe es bei einem genauen Studium der Geschichte der nord- und südamerikanischen Indianer als Regel gefunden. Sehr verminderte Fruchtbarkeit des Weibes ist die Hauptursache: auf welchen physiologischen Einwirkungen sie aber beruht, ist wohl schwer zu ermitteln." Waitz freilich (1, 163) bringt Beispiele vom Gegentheil: die Creeks (nach Simpson), die Winibegs (nach Schoolcraft), die Apachen (Kendall) u. s. w. haben sich nach schweren Epidemien wieder erholt. Wir kommen hierauf zurück. Man hat nun diese auffallende Erscheinung, dass Krankheiten durch Berührung gesunder, aber aus verschiedener Gegend oder Race stammender Menschen entstehen, zu erklären versucht. Darwin, der in Shropshire gehört, dass gesunde Schafe, die aber auf Schiffen eingeführt wurden, in einem Pferch zu anderen gebracht, diese krank machen, Darwin meint, dass das Effluvium von Menschen -- und wohl auch, nach dem letzten Beispiel, von Thieren -- die lange Zeit eingeschlossen gewesen seien, giftig auf andere wirke, namentlich dann, wenn sie von verschiedenen Racen wären (2, 214); eine Ansicht, welche indess weder von medizinischer Seite noch durch die Erfahrung bestätigt wird. Will man sich aber mit Waitz dabei begnügen zu sagen, dass beim Zusammentreffen verschiedener Racen, selbst bei völliger Gesundheit beider, sich bisweilen Krankheiten erzeugen, welche dann meist die niedere Race ergreifen, so kommt einmal durch das Wort niedere Race leicht etwas Missverständliches in den Ausdruck, und andererseits wird nichts durch dies blosse Zusammenfassen der Erscheinung erklärt. Dazu kommt, dass z. B. der Bericht Humboldts über das gelbe Fieber in Panama und Callao sich ja auf gleiche Racen bezieht und eben so doch auch die Angabe Darwins von den Schafen. Und wenn man ferner die Geschichte der kultivirten Völker betrachtet, so findet man eine ähnliche Erscheinung: eine neu auftretende Krankheitsform wüthet viel allgemeiner und verheerender, als eine fortwährend herrschende; so die Pest, der schwarze Tod, die Pocken, die Cholera u. s. w., die dann oft nach und nach verlöschen. Die Pocken aber hat man dadurch unschädlich gemacht, dass man eine verwandte, aber unschädlichere Krankheitsform einimpft. Es scheint also, als ob der menschliche Körper um so em- eine höchst eigenthümliche Erscheinung, dass Indianerstämme, die durch Krieg oder Epidemien plötzlich sehr stark reducirt wurden, sich in der Regel nie wieder erholen und nur noch als wenig zahlreiche Familien gewöhnlich Jahrzehnte lang hinsiechen, bis sie endlich ganz aussterben. Bei ihnen tritt nicht mehr die Vermehrungsprogression ein, wie sie vor dem vernichtenden Schlage stattgefunden hatte, und bei anderen unter den nämlichen physischen Bedingungen lebenden Völkern beobachtet wird. Meines Wissens ist dieses Verhältniss noch nirgends erörtert worden. Ich habe es bei einem genauen Studium der Geschichte der nord- und südamerikanischen Indianer als Regel gefunden. Sehr verminderte Fruchtbarkeit des Weibes ist die Hauptursache: auf welchen physiologischen Einwirkungen sie aber beruht, ist wohl schwer zu ermitteln.« Waitz freilich (1, 163) bringt Beispiele vom Gegentheil: die Creeks (nach Simpson), die Winibegs (nach Schoolcraft), die Apachen (Kendall) u. s. w. haben sich nach schweren Epidemien wieder erholt. Wir kommen hierauf zurück. Man hat nun diese auffallende Erscheinung, dass Krankheiten durch Berührung gesunder, aber aus verschiedener Gegend oder Raçe stammender Menschen entstehen, zu erklären versucht. Darwin, der in Shropshire gehört, dass gesunde Schafe, die aber auf Schiffen eingeführt wurden, in einem Pferch zu anderen gebracht, diese krank machen, Darwin meint, dass das Effluvium von Menschen — und wohl auch, nach dem letzten Beispiel, von Thieren — die lange Zeit eingeschlossen gewesen seien, giftig auf andere wirke, namentlich dann, wenn sie von verschiedenen Raçen wären (2, 214); eine Ansicht, welche indess weder von medizinischer Seite noch durch die Erfahrung bestätigt wird. Will man sich aber mit Waitz dabei begnügen zu sagen, dass beim Zusammentreffen verschiedener Raçen, selbst bei völliger Gesundheit beider, sich bisweilen Krankheiten erzeugen, welche dann meist die niedere Raçe ergreifen, so kommt einmal durch das Wort niedere Raçe leicht etwas Missverständliches in den Ausdruck, und andererseits wird nichts durch dies blosse Zusammenfassen der Erscheinung erklärt. Dazu kommt, dass z. B. der Bericht Humboldts über das gelbe Fieber in Panama und Callao sich ja auf gleiche Raçen bezieht und eben so doch auch die Angabe Darwins von den Schafen. Und wenn man ferner die Geschichte der kultivirten Völker betrachtet, so findet man eine ähnliche Erscheinung: eine neu auftretende Krankheitsform wüthet viel allgemeiner und verheerender, als eine fortwährend herrschende; so die Pest, der schwarze Tod, die Pocken, die Cholera u. s. w., die dann oft nach und nach verlöschen. Die Pocken aber hat man dadurch unschädlich gemacht, dass man eine verwandte, aber unschädlichere Krankheitsform einimpft. Es scheint also, als ob der menschliche Körper um so em- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0024"/> eine höchst eigenthümliche Erscheinung, dass Indianerstämme, die durch Krieg oder Epidemien plötzlich sehr stark reducirt wurden, sich in der Regel nie wieder erholen und nur noch als wenig zahlreiche Familien gewöhnlich Jahrzehnte lang hinsiechen, bis sie endlich ganz aussterben. Bei ihnen tritt nicht mehr die Vermehrungsprogression ein, wie sie vor dem vernichtenden Schlage stattgefunden hatte, und bei anderen unter den nämlichen physischen Bedingungen lebenden Völkern beobachtet wird. Meines Wissens ist dieses Verhältniss noch nirgends erörtert worden. Ich habe es bei einem genauen Studium der Geschichte der nord- und südamerikanischen Indianer als Regel gefunden. Sehr verminderte Fruchtbarkeit des Weibes ist die Hauptursache: auf welchen physiologischen Einwirkungen sie aber beruht, ist wohl schwer zu ermitteln.« Waitz freilich (1, 163) bringt Beispiele vom Gegentheil: die Creeks (nach Simpson), die Winibegs (nach Schoolcraft), die Apachen (Kendall) u. s. w. haben sich nach schweren Epidemien wieder erholt. Wir kommen hierauf zurück.</p> <p>Man hat nun diese auffallende Erscheinung, dass Krankheiten durch Berührung gesunder, aber aus verschiedener Gegend oder Raçe stammender Menschen entstehen, zu erklären versucht. Darwin, der in Shropshire gehört, dass gesunde Schafe, die aber auf Schiffen eingeführt wurden, in einem Pferch zu anderen gebracht, diese krank machen, Darwin meint, dass das Effluvium von Menschen — und wohl auch, nach dem letzten Beispiel, von Thieren — die lange Zeit eingeschlossen gewesen seien, giftig auf andere wirke, namentlich dann, wenn sie von verschiedenen Raçen wären (2, 214); eine Ansicht, welche indess weder von medizinischer Seite noch durch die Erfahrung bestätigt wird.</p> <p>Will man sich aber mit Waitz dabei begnügen zu sagen, dass beim Zusammentreffen verschiedener Raçen, selbst bei völliger Gesundheit beider, sich bisweilen Krankheiten erzeugen, welche dann meist die niedere Raçe ergreifen, so kommt einmal durch das Wort niedere Raçe leicht etwas Missverständliches in den Ausdruck, und andererseits wird nichts durch dies blosse Zusammenfassen der Erscheinung erklärt. Dazu kommt, dass z. B. der Bericht Humboldts über das gelbe Fieber in Panama und Callao sich ja auf gleiche Raçen bezieht und eben so doch auch die Angabe Darwins von den Schafen. Und wenn man ferner die Geschichte der kultivirten Völker betrachtet, so findet man eine ähnliche Erscheinung: eine neu auftretende Krankheitsform wüthet viel allgemeiner und verheerender, als eine fortwährend herrschende; so die Pest, der schwarze Tod, die Pocken, die Cholera u. s. w., die dann oft nach und nach verlöschen. Die Pocken aber hat man dadurch unschädlich gemacht, dass man eine verwandte, aber unschädlichere Krankheitsform einimpft. Es scheint also, als ob der menschliche Körper um so em- </p> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
eine höchst eigenthümliche Erscheinung, dass Indianerstämme, die durch Krieg oder Epidemien plötzlich sehr stark reducirt wurden, sich in der Regel nie wieder erholen und nur noch als wenig zahlreiche Familien gewöhnlich Jahrzehnte lang hinsiechen, bis sie endlich ganz aussterben. Bei ihnen tritt nicht mehr die Vermehrungsprogression ein, wie sie vor dem vernichtenden Schlage stattgefunden hatte, und bei anderen unter den nämlichen physischen Bedingungen lebenden Völkern beobachtet wird. Meines Wissens ist dieses Verhältniss noch nirgends erörtert worden. Ich habe es bei einem genauen Studium der Geschichte der nord- und südamerikanischen Indianer als Regel gefunden. Sehr verminderte Fruchtbarkeit des Weibes ist die Hauptursache: auf welchen physiologischen Einwirkungen sie aber beruht, ist wohl schwer zu ermitteln.« Waitz freilich (1, 163) bringt Beispiele vom Gegentheil: die Creeks (nach Simpson), die Winibegs (nach Schoolcraft), die Apachen (Kendall) u. s. w. haben sich nach schweren Epidemien wieder erholt. Wir kommen hierauf zurück.
Man hat nun diese auffallende Erscheinung, dass Krankheiten durch Berührung gesunder, aber aus verschiedener Gegend oder Raçe stammender Menschen entstehen, zu erklären versucht. Darwin, der in Shropshire gehört, dass gesunde Schafe, die aber auf Schiffen eingeführt wurden, in einem Pferch zu anderen gebracht, diese krank machen, Darwin meint, dass das Effluvium von Menschen — und wohl auch, nach dem letzten Beispiel, von Thieren — die lange Zeit eingeschlossen gewesen seien, giftig auf andere wirke, namentlich dann, wenn sie von verschiedenen Raçen wären (2, 214); eine Ansicht, welche indess weder von medizinischer Seite noch durch die Erfahrung bestätigt wird.
Will man sich aber mit Waitz dabei begnügen zu sagen, dass beim Zusammentreffen verschiedener Raçen, selbst bei völliger Gesundheit beider, sich bisweilen Krankheiten erzeugen, welche dann meist die niedere Raçe ergreifen, so kommt einmal durch das Wort niedere Raçe leicht etwas Missverständliches in den Ausdruck, und andererseits wird nichts durch dies blosse Zusammenfassen der Erscheinung erklärt. Dazu kommt, dass z. B. der Bericht Humboldts über das gelbe Fieber in Panama und Callao sich ja auf gleiche Raçen bezieht und eben so doch auch die Angabe Darwins von den Schafen. Und wenn man ferner die Geschichte der kultivirten Völker betrachtet, so findet man eine ähnliche Erscheinung: eine neu auftretende Krankheitsform wüthet viel allgemeiner und verheerender, als eine fortwährend herrschende; so die Pest, der schwarze Tod, die Pocken, die Cholera u. s. w., die dann oft nach und nach verlöschen. Die Pocken aber hat man dadurch unschädlich gemacht, dass man eine verwandte, aber unschädlichere Krankheitsform einimpft. Es scheint also, als ob der menschliche Körper um so em-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML.
(2012-11-06T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-06T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |