Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

sie auf die empfänglichen Naturen jener Völker wirkten. Nicht bloss Weisse haben sie eingeschleppt: auch einzelne Zweige desselben Stammes haben andere mit solchen Gaben bedacht. So ward ein böser Aussatz von Polynesien aus Rapa nach Pitkairn verschleppt und den Bewohnern dieser Insel gefährlich; und andere gleiche Beispiele finden sich. Schlimmer aber ist, was die Weissen brachten, vor allen Syphilis und Blattern. Erstere Seuche ist zwar überall bekannt genug, wo die Europäer hinkommen, und so also auch von Alters her in Afrika und Amerika, wo sie eingeschleppt wurde (in Californien nach Rollin, La Perouses Schiffsarzt bei La Perouse 2, 289; in Guyana nach Schomburgk 2, 336). Gefährlicher aber ist sie vor allen für die Polynesier geworden, denn hier begünstigte ihre Mittheilung und Verbreitung die ausserordentliche Lüderlichkeit dieser Völker gar sehr; und da die Polynesier durch ihre Lüste vielfach entnervt waren, so wurden hierdurch auch die Formen dieser Krankheiten immer grauenvoller. Und so finden wir sie hier vom äussersten Osten bis zum fernsten Westen. Auf Waihu (Osterins.) ist sie jetzt häufig eingeschleppt von Europäern (Mörenhout 1, 26). Auf Neu-Seeland findet sie sich, namentlich an den Küsten, wo die Eingeborenen mit den Europäern am meisten verkehren, und so schlimm, dass eine Menge Verwachsungen u. dergl. durch sie entstehen (Dieffenbach 2, 17-25). Auf Tonga hatte sie Cooks Mannschaft, wie Cook selbst erzählt dritte Reise 2, 390 eingeschleppt; doch kann sie hier nicht allzu heftig gewirkt haben, denn Mariner (2, 270) gibt an, dass durchaus nichts Syphilitisches sich auf der Gruppe finde und dass ein Fall, welcher auf französischer Ansteckung beruhte, so rasch tödtlich verlief, dass er weiter keine Folgen hatte. Allein ob nicht die Art von Gonorrhöe mit ardor urinae, die er 268 als in Tonga heimisch erwähnt, doch noch vielleicht von Cooks Mannschaft herstammte? Auch auf dem Gilbertarchipel und den Ratakinseln -- denselben Inseln, wo Chamisso Anfang dieses Jahrhunderts so paradiesische Tage verlebte -- ist die Syphilis und andere Seuchen durch europäische Seeleute eingeschleppt (Meinicke Zeitschr. 398), wie denn überhaupt Mikronesien auch sonst sehr durch solche bösen Einwirkungen gelitten hat (Gulick 245).

Aber am schlimmsten hat diese Seuche auf Tahiti und Hawaii gewüthet. In Tahiti ist sie so allgemein, dass fast jede Familie von ihr berührt ist (Mörenhout 1, 228-29); und schon um 1790 waren zwei Fünftel der Insel venerisch (eb. 2, 425). Da nun diese entsetzliche Krankheit theils gar nicht, theils schlecht geheilt und behandelt wurde, so ward sie ein Hauptmittel für die Dezimirung der Eingeborenen (eb. 2, 405). Vankouver (1790) spricht von den Verheerungen, die sie unter den tahitischen Weibern angerichtet hatte (1, 111): sie musste also schon lange verbreitet sein und ist zweifelsohne gleich von den ersten Besuchern eingeschleppt, gleichviel ob

sie auf die empfänglichen Naturen jener Völker wirkten. Nicht bloss Weisse haben sie eingeschleppt: auch einzelne Zweige desselben Stammes haben andere mit solchen Gaben bedacht. So ward ein böser Aussatz von Polynesien aus Rapa nach Pitkairn verschleppt und den Bewohnern dieser Insel gefährlich; und andere gleiche Beispiele finden sich. Schlimmer aber ist, was die Weissen brachten, vor allen Syphilis und Blattern. Erstere Seuche ist zwar überall bekannt genug, wo die Europäer hinkommen, und so also auch von Alters her in Afrika und Amerika, wo sie eingeschleppt wurde (in Californien nach Rollin, La Perouses Schiffsarzt bei La Perouse 2, 289; in Guyana nach Schomburgk 2, 336). Gefährlicher aber ist sie vor allen für die Polynesier geworden, denn hier begünstigte ihre Mittheilung und Verbreitung die ausserordentliche Lüderlichkeit dieser Völker gar sehr; und da die Polynesier durch ihre Lüste vielfach entnervt waren, so wurden hierdurch auch die Formen dieser Krankheiten immer grauenvoller. Und so finden wir sie hier vom äussersten Osten bis zum fernsten Westen. Auf Waihu (Osterins.) ist sie jetzt häufig eingeschleppt von Europäern (Mörenhout 1, 26). Auf Neu-Seeland findet sie sich, namentlich an den Küsten, wo die Eingeborenen mit den Europäern am meisten verkehren, und so schlimm, dass eine Menge Verwachsungen u. dergl. durch sie entstehen (Dieffenbach 2, 17-25). Auf Tonga hatte sie Cooks Mannschaft, wie Cook selbst erzählt dritte Reise 2, 390 eingeschleppt; doch kann sie hier nicht allzu heftig gewirkt haben, denn Mariner (2, 270) gibt an, dass durchaus nichts Syphilitisches sich auf der Gruppe finde und dass ein Fall, welcher auf französischer Ansteckung beruhte, so rasch tödtlich verlief, dass er weiter keine Folgen hatte. Allein ob nicht die Art von Gonorrhöe mit ardor urinae, die er 268 als in Tonga heimisch erwähnt, doch noch vielleicht von Cooks Mannschaft herstammte? Auch auf dem Gilbertarchipel und den Ratakinseln — denselben Inseln, wo Chamisso Anfang dieses Jahrhunderts so paradiesische Tage verlebte — ist die Syphilis und andere Seuchen durch europäische Seeleute eingeschleppt (Meinicke Zeitschr. 398), wie denn überhaupt Mikronesien auch sonst sehr durch solche bösen Einwirkungen gelitten hat (Gulick 245).

Aber am schlimmsten hat diese Seuche auf Tahiti und Hawaii gewüthet. In Tahiti ist sie so allgemein, dass fast jede Familie von ihr berührt ist (Mörenhout 1, 228-29); und schon um 1790 waren zwei Fünftel der Insel venerisch (eb. 2, 425). Da nun diese entsetzliche Krankheit theils gar nicht, theils schlecht geheilt und behandelt wurde, so ward sie ein Hauptmittel für die Dezimirung der Eingeborenen (eb. 2, 405). Vankouver (1790) spricht von den Verheerungen, die sie unter den tahitischen Weibern angerichtet hatte (1, 111): sie musste also schon lange verbreitet sein und ist zweifelsohne gleich von den ersten Besuchern eingeschleppt, gleichviel ob

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0028"/>
sie auf die empfänglichen Naturen jener Völker
 wirkten. Nicht bloss Weisse haben sie eingeschleppt: auch einzelne
 Zweige desselben Stammes haben andere mit solchen Gaben bedacht. So
 ward ein böser Aussatz von Polynesien aus Rapa nach Pitkairn
 verschleppt und den Bewohnern dieser Insel gefährlich; und
 andere gleiche Beispiele finden sich. Schlimmer aber ist, was die
 Weissen brachten, vor allen Syphilis und Blattern. Erstere Seuche
 ist zwar überall bekannt genug, wo die Europäer
 hinkommen, und so also auch von Alters her in Afrika und Amerika,
 wo sie eingeschleppt wurde (in Californien nach Rollin, La Perouses
 Schiffsarzt bei La Perouse 2, 289; in Guyana nach Schomburgk 2,
 336). Gefährlicher aber ist sie vor allen für die
 Polynesier geworden, denn hier begünstigte ihre Mittheilung
 und Verbreitung die ausserordentliche Lüderlichkeit dieser
 Völker gar sehr; und da die Polynesier durch ihre Lüste
 vielfach entnervt waren, so wurden hierdurch auch die Formen dieser
 Krankheiten immer grauenvoller. Und so finden wir sie hier vom
 äussersten Osten bis zum fernsten Westen. Auf Waihu
 (Osterins.) ist sie jetzt häufig eingeschleppt von
 Europäern (Mörenhout 1, 26). Auf Neu-Seeland findet sie
 sich, namentlich an den Küsten, wo die Eingeborenen mit den
 Europäern am meisten verkehren, und so schlimm, dass eine
 Menge Verwachsungen u. dergl. durch sie entstehen (Dieffenbach 2,
 17-25). Auf Tonga hatte sie Cooks Mannschaft, wie Cook selbst
 erzählt dritte Reise 2, 390 eingeschleppt; doch kann sie hier
 nicht allzu heftig gewirkt haben, denn Mariner (2, 270) gibt an,
 dass durchaus nichts Syphilitisches sich auf der Gruppe finde und
 dass ein Fall, welcher auf französischer Ansteckung beruhte,
 so rasch tödtlich verlief, dass er weiter keine Folgen hatte.
 Allein ob nicht die Art von Gonorrhöe mit ardor urinae, die er
 268 als in Tonga heimisch erwähnt, doch noch vielleicht von
 Cooks Mannschaft herstammte? Auch auf dem Gilbertarchipel und den
 Ratakinseln &#x2014; denselben Inseln, wo Chamisso Anfang dieses
 Jahrhunderts so paradiesische Tage verlebte &#x2014; ist die
 Syphilis und andere Seuchen durch europäische Seeleute
 eingeschleppt (Meinicke Zeitschr. 398), wie denn überhaupt
 Mikronesien auch sonst sehr durch solche bösen Einwirkungen
 gelitten hat (Gulick 245).</p>
        <p>Aber am schlimmsten hat diese Seuche auf Tahiti und Hawaii
 gewüthet. In Tahiti ist sie so allgemein, dass fast jede
 Familie von ihr berührt ist (Mörenhout 1, 228-29); und
 schon um 1790 waren zwei Fünftel der Insel venerisch (eb. 2,
 425). Da nun diese entsetzliche Krankheit theils gar nicht, theils
 schlecht geheilt und behandelt wurde, so ward sie ein Hauptmittel
 für die Dezimirung der Eingeborenen (eb. 2, 405). Vankouver
 (1790) spricht von den Verheerungen, die sie unter den tahitischen
 Weibern angerichtet hatte (1, 111): sie musste also schon lange
 verbreitet sein und ist zweifelsohne gleich von den ersten
 Besuchern eingeschleppt, gleichviel ob
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0028] sie auf die empfänglichen Naturen jener Völker wirkten. Nicht bloss Weisse haben sie eingeschleppt: auch einzelne Zweige desselben Stammes haben andere mit solchen Gaben bedacht. So ward ein böser Aussatz von Polynesien aus Rapa nach Pitkairn verschleppt und den Bewohnern dieser Insel gefährlich; und andere gleiche Beispiele finden sich. Schlimmer aber ist, was die Weissen brachten, vor allen Syphilis und Blattern. Erstere Seuche ist zwar überall bekannt genug, wo die Europäer hinkommen, und so also auch von Alters her in Afrika und Amerika, wo sie eingeschleppt wurde (in Californien nach Rollin, La Perouses Schiffsarzt bei La Perouse 2, 289; in Guyana nach Schomburgk 2, 336). Gefährlicher aber ist sie vor allen für die Polynesier geworden, denn hier begünstigte ihre Mittheilung und Verbreitung die ausserordentliche Lüderlichkeit dieser Völker gar sehr; und da die Polynesier durch ihre Lüste vielfach entnervt waren, so wurden hierdurch auch die Formen dieser Krankheiten immer grauenvoller. Und so finden wir sie hier vom äussersten Osten bis zum fernsten Westen. Auf Waihu (Osterins.) ist sie jetzt häufig eingeschleppt von Europäern (Mörenhout 1, 26). Auf Neu-Seeland findet sie sich, namentlich an den Küsten, wo die Eingeborenen mit den Europäern am meisten verkehren, und so schlimm, dass eine Menge Verwachsungen u. dergl. durch sie entstehen (Dieffenbach 2, 17-25). Auf Tonga hatte sie Cooks Mannschaft, wie Cook selbst erzählt dritte Reise 2, 390 eingeschleppt; doch kann sie hier nicht allzu heftig gewirkt haben, denn Mariner (2, 270) gibt an, dass durchaus nichts Syphilitisches sich auf der Gruppe finde und dass ein Fall, welcher auf französischer Ansteckung beruhte, so rasch tödtlich verlief, dass er weiter keine Folgen hatte. Allein ob nicht die Art von Gonorrhöe mit ardor urinae, die er 268 als in Tonga heimisch erwähnt, doch noch vielleicht von Cooks Mannschaft herstammte? Auch auf dem Gilbertarchipel und den Ratakinseln — denselben Inseln, wo Chamisso Anfang dieses Jahrhunderts so paradiesische Tage verlebte — ist die Syphilis und andere Seuchen durch europäische Seeleute eingeschleppt (Meinicke Zeitschr. 398), wie denn überhaupt Mikronesien auch sonst sehr durch solche bösen Einwirkungen gelitten hat (Gulick 245). Aber am schlimmsten hat diese Seuche auf Tahiti und Hawaii gewüthet. In Tahiti ist sie so allgemein, dass fast jede Familie von ihr berührt ist (Mörenhout 1, 228-29); und schon um 1790 waren zwei Fünftel der Insel venerisch (eb. 2, 425). Da nun diese entsetzliche Krankheit theils gar nicht, theils schlecht geheilt und behandelt wurde, so ward sie ein Hauptmittel für die Dezimirung der Eingeborenen (eb. 2, 405). Vankouver (1790) spricht von den Verheerungen, die sie unter den tahitischen Weibern angerichtet hatte (1, 111): sie musste also schon lange verbreitet sein und ist zweifelsohne gleich von den ersten Besuchern eingeschleppt, gleichviel ob

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Die Transkription entspricht den DTA-Richtlinien.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/28
Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/28>, abgerufen am 21.11.2024.