Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.Er besteht gewiss viele Jahrhunderte lang, gewiss viel länger, als die Fidschis ihre jetzige Wohnung inne haben: allein er hat sich immer weiter ausgedehnt und mag seine rohesten Formen, z. B. das Menschenfressen aus Leckerei erst im letzten Jahrhundert seines Bestehens, so lange aber auch mindestens, angenommen haben. Trotzdem aber, und auf dies Faktum werden wir zurückkommen, trotzdem ist ein Aussterben der Bevölkerung nicht zu merken (Erskine 274). Die Zahl derselben beträgt nach den Missionären (ebendas.) 200-300,000 und mag dies auch etwas zu hoch gegriffen sein, sie ist jedenfalls beträchtlich genug, so dass auch Behm 200,000 als Totalsumme annimmt. Und ferner, was von besonderer Wichtigkeit für die geschichtliche Betrachtung der Naturvölker ist, sie selbst haben das Bedenkliche des Kannibalismus eingesehen; daher jene halb entschuldigende Rede der eingeborenen Fürsten; daher die verhältnissmässige Leichtigkeit des Kampfes, welchen die Missionäre gegen die Anthropophagie führen, welchen man doch gerade, wegen des Alters der Sitte, für unendlich schwierig halten sollte (Erskine 280). Ja sie werden sogar von einer heidnischen Partei darin unterstützt, welche sehr gegen den Kannibalismus, sowie gegen das unsinnige Morden der Weiber und Sklaven ist, welches wir gleich betrachten werden, und für Abschaffung aller dieser Sitten eifrig kämpft. Die Fürsten sind es, welche aus feudalen Gelüsten dies Alles aufrecht erhalten wissen wollen (Seemann Zeitschr. 10, 289). Man sieht, das Christenthum ist hier gerade im rechten Zeitpunkt gekommen: man sieht aber auch ferner, solche Umänderungen, wie wir sie vorhin für Tonga voraussetzten, haben sich wirklich bei diesen Völkern vollziehen können: wir sehen sie hier bei einem viel roheren Volk vor unseren Augen geschehen. Auch in Polynesien herrschten die blutigsten Kriege, wobei aber zu bemerken, dass, obwohl man den Eingeborenen persönliche Tapferkeit durchaus nicht absprechen kann, welche sie, auch die sonst so weichlichen Tahitier, selbst den Europäern gegenüber, wohl gezeigt haben, dass trotzdem auch hier der Krieg hauptsächlich durch Ueberfall geführt wird. Aber auch die Polynesier morden den besiegten Stamm kaltblütig mit Weib und Kind und so sind ihre Kriege ausserordentlich blutig und verheerend. Solche Kämpfe herrschten nun zu Neuseeland und trugen wie zur Zersplitterung der Maoristaaten zum Hinschwinden der Bevölkerung nicht wenig bei (Dieffenbach 2, 132), die theils im Krieg selbst getödtet, theils zu Sklaven gemacht, theils durch die Noth nach dem Kriege vernichtet wurde (2, 16). In Tonga wurden Kriegsgefangene (Mariner 1, 115) stets ermordet, und ebenso alle Einwohner eroberter Städte (1, 101). Von den grausamen Kriegen unter Finau (der z. B. einmal 18 nur verdächtige Vornehme ertränken liess, Mariner 1, 271), welche bei Ankunft der Europäer schon in voller Blüthe und nur Wiederholung Er besteht gewiss viele Jahrhunderte lang, gewiss viel länger, als die Fidschis ihre jetzige Wohnung inne haben: allein er hat sich immer weiter ausgedehnt und mag seine rohesten Formen, z. B. das Menschenfressen aus Leckerei erst im letzten Jahrhundert seines Bestehens, so lange aber auch mindestens, angenommen haben. Trotzdem aber, und auf dies Faktum werden wir zurückkommen, trotzdem ist ein Aussterben der Bevölkerung nicht zu merken (Erskine 274). Die Zahl derselben beträgt nach den Missionären (ebendas.) 200-300,000 und mag dies auch etwas zu hoch gegriffen sein, sie ist jedenfalls beträchtlich genug, so dass auch Behm 200,000 als Totalsumme annimmt. Und ferner, was von besonderer Wichtigkeit für die geschichtliche Betrachtung der Naturvölker ist, sie selbst haben das Bedenkliche des Kannibalismus eingesehen; daher jene halb entschuldigende Rede der eingeborenen Fürsten; daher die verhältnissmässige Leichtigkeit des Kampfes, welchen die Missionäre gegen die Anthropophagie führen, welchen man doch gerade, wegen des Alters der Sitte, für unendlich schwierig halten sollte (Erskine 280). Ja sie werden sogar von einer heidnischen Partei darin unterstützt, welche sehr gegen den Kannibalismus, sowie gegen das unsinnige Morden der Weiber und Sklaven ist, welches wir gleich betrachten werden, und für Abschaffung aller dieser Sitten eifrig kämpft. Die Fürsten sind es, welche aus feudalen Gelüsten dies Alles aufrecht erhalten wissen wollen (Seemann Zeitschr. 10, 289). Man sieht, das Christenthum ist hier gerade im rechten Zeitpunkt gekommen: man sieht aber auch ferner, solche Umänderungen, wie wir sie vorhin für Tonga voraussetzten, haben sich wirklich bei diesen Völkern vollziehen können: wir sehen sie hier bei einem viel roheren Volk vor unseren Augen geschehen. Auch in Polynesien herrschten die blutigsten Kriege, wobei aber zu bemerken, dass, obwohl man den Eingeborenen persönliche Tapferkeit durchaus nicht absprechen kann, welche sie, auch die sonst so weichlichen Tahitier, selbst den Europäern gegenüber, wohl gezeigt haben, dass trotzdem auch hier der Krieg hauptsächlich durch Ueberfall geführt wird. Aber auch die Polynesier morden den besiegten Stamm kaltblütig mit Weib und Kind und so sind ihre Kriege ausserordentlich blutig und verheerend. Solche Kämpfe herrschten nun zu Neuseeland und trugen wie zur Zersplitterung der Maoristaaten zum Hinschwinden der Bevölkerung nicht wenig bei (Dieffenbach 2, 132), die theils im Krieg selbst getödtet, theils zu Sklaven gemacht, theils durch die Noth nach dem Kriege vernichtet wurde (2, 16). In Tonga wurden Kriegsgefangene (Mariner 1, 115) stets ermordet, und ebenso alle Einwohner eroberter Städte (1, 101). Von den grausamen Kriegen unter Finau (der z. 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Und ferner, was von besonderer Wichtigkeit für die geschichtliche Betrachtung der Naturvölker ist, sie selbst haben das Bedenkliche des Kannibalismus eingesehen; daher jene halb entschuldigende Rede der eingeborenen Fürsten; daher die verhältnissmässige Leichtigkeit des Kampfes, welchen die Missionäre gegen die Anthropophagie führen, welchen man doch gerade, wegen des Alters der Sitte, für unendlich schwierig halten sollte (Erskine 280). Ja sie werden sogar von einer heidnischen Partei darin unterstützt, welche sehr gegen den Kannibalismus, sowie gegen das unsinnige Morden der Weiber und Sklaven ist, welches wir gleich betrachten werden, und für Abschaffung aller dieser Sitten eifrig kämpft. Die Fürsten sind es, welche aus feudalen Gelüsten dies Alles aufrecht erhalten wissen wollen (Seemann Zeitschr. 10, 289). Man sieht, das Christenthum ist hier gerade im rechten Zeitpunkt gekommen: man sieht aber auch ferner, solche Umänderungen, wie wir sie vorhin für Tonga voraussetzten, haben sich wirklich bei diesen Völkern vollziehen können: wir sehen sie hier bei einem viel roheren Volk vor unseren Augen geschehen.</p> <p>Auch in Polynesien herrschten die blutigsten Kriege, wobei aber zu bemerken, dass, obwohl man den Eingeborenen persönliche Tapferkeit durchaus nicht absprechen kann, welche sie, auch die sonst so weichlichen Tahitier, selbst den Europäern gegenüber, wohl gezeigt haben, dass trotzdem auch hier der Krieg hauptsächlich durch Ueberfall geführt wird. Aber auch die Polynesier morden den besiegten Stamm kaltblütig mit Weib und Kind und so sind ihre Kriege ausserordentlich blutig und verheerend. Solche Kämpfe herrschten nun zu Neuseeland und trugen wie zur Zersplitterung der Maoristaaten zum Hinschwinden der Bevölkerung nicht wenig bei (Dieffenbach 2, 132), die theils im Krieg selbst getödtet, theils zu Sklaven gemacht, theils durch die Noth nach dem Kriege vernichtet wurde (2, 16). In Tonga wurden Kriegsgefangene (Mariner 1, 115) stets ermordet, und ebenso alle Einwohner eroberter Städte (1, 101). Von den grausamen Kriegen unter Finau (der z. B. einmal 18 nur verdächtige Vornehme ertränken liess, Mariner 1, 271), welche bei Ankunft der Europäer schon in voller Blüthe und nur Wiederholung </p> </div> </body> </text> </TEI> [0082]
Er besteht gewiss viele Jahrhunderte lang, gewiss viel länger, als die Fidschis ihre jetzige Wohnung inne haben: allein er hat sich immer weiter ausgedehnt und mag seine rohesten Formen, z. B. das Menschenfressen aus Leckerei erst im letzten Jahrhundert seines Bestehens, so lange aber auch mindestens, angenommen haben. Trotzdem aber, und auf dies Faktum werden wir zurückkommen, trotzdem ist ein Aussterben der Bevölkerung nicht zu merken (Erskine 274). Die Zahl derselben beträgt nach den Missionären (ebendas.) 200-300,000 und mag dies auch etwas zu hoch gegriffen sein, sie ist jedenfalls beträchtlich genug, so dass auch Behm 200,000 als Totalsumme annimmt. Und ferner, was von besonderer Wichtigkeit für die geschichtliche Betrachtung der Naturvölker ist, sie selbst haben das Bedenkliche des Kannibalismus eingesehen; daher jene halb entschuldigende Rede der eingeborenen Fürsten; daher die verhältnissmässige Leichtigkeit des Kampfes, welchen die Missionäre gegen die Anthropophagie führen, welchen man doch gerade, wegen des Alters der Sitte, für unendlich schwierig halten sollte (Erskine 280). Ja sie werden sogar von einer heidnischen Partei darin unterstützt, welche sehr gegen den Kannibalismus, sowie gegen das unsinnige Morden der Weiber und Sklaven ist, welches wir gleich betrachten werden, und für Abschaffung aller dieser Sitten eifrig kämpft. Die Fürsten sind es, welche aus feudalen Gelüsten dies Alles aufrecht erhalten wissen wollen (Seemann Zeitschr. 10, 289). Man sieht, das Christenthum ist hier gerade im rechten Zeitpunkt gekommen: man sieht aber auch ferner, solche Umänderungen, wie wir sie vorhin für Tonga voraussetzten, haben sich wirklich bei diesen Völkern vollziehen können: wir sehen sie hier bei einem viel roheren Volk vor unseren Augen geschehen.
Auch in Polynesien herrschten die blutigsten Kriege, wobei aber zu bemerken, dass, obwohl man den Eingeborenen persönliche Tapferkeit durchaus nicht absprechen kann, welche sie, auch die sonst so weichlichen Tahitier, selbst den Europäern gegenüber, wohl gezeigt haben, dass trotzdem auch hier der Krieg hauptsächlich durch Ueberfall geführt wird. Aber auch die Polynesier morden den besiegten Stamm kaltblütig mit Weib und Kind und so sind ihre Kriege ausserordentlich blutig und verheerend. Solche Kämpfe herrschten nun zu Neuseeland und trugen wie zur Zersplitterung der Maoristaaten zum Hinschwinden der Bevölkerung nicht wenig bei (Dieffenbach 2, 132), die theils im Krieg selbst getödtet, theils zu Sklaven gemacht, theils durch die Noth nach dem Kriege vernichtet wurde (2, 16). In Tonga wurden Kriegsgefangene (Mariner 1, 115) stets ermordet, und ebenso alle Einwohner eroberter Städte (1, 101). Von den grausamen Kriegen unter Finau (der z. B. einmal 18 nur verdächtige Vornehme ertränken liess, Mariner 1, 271), welche bei Ankunft der Europäer schon in voller Blüthe und nur Wiederholung
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