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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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beweisen: so auf Tahiti der oft beschriebene Gebrauch bei Menschenopfern, dem König das linke Auge (den Sitz der Seele) des Opfers darzubieten, der dann den Mund öffnete, als ob er es verschlänge und durch diese Ceremonie Verstand und Klugheit bekommen sollte. Ursprünglich hat er es gewiss gegessen, und erst später, als die Sitten sich milderten, begnügte man sich, wie in analogen Fällen bei allen Völkern der Welt, mit einer symbolischen Handlung. Im Samoaarchipel beugt sich, wer dem Sieger als besiegt sich unterwirft, vor demselben nieder, indem er ihm Feuerholz und die Blätter darreicht, in welche man in Polynesien die Speisen, die gekocht werden sollen, einschlägt (Turner 194). Und so liesse sich vieles anführen. Es scheint aber, als ob, wie die Tahitier, Hawaier u. s. w. die Menschenfresserei abgeschafft hatten, ehe die Europäer kamen, noch an manchen anderen Orten Polynesiens dieselbe Sitte in Abnahme oder doch in Misskredit gekommen sei, ohne dass der Einfluss der Europäer dies bewirkt hätte: so läugneten auf Nukuhiva die wilden Taipis den Kannibalismus ganz und gar, und suchten ihn den Weissen zu verbergen, wie Melville mittheilt. Und die neuseeländischen Fürsten erzählten, er sei keineswegs von Alters her bei ihnen Sitte, sondern erst später eingeführt (Thomson 1, 142), eine Behauptung, welche entschieden falsch und nur von ihnen erfunden kaum eine Widerlegung verdient.



§ 10. Menschenopfer.

In Nordamerika sind Menschenopfer nicht sehr zahlreich gewesen. In Florida wurden Weiber und Diener ehedem beim Tode des Herrn gleichfalls getödtet, um ihm im Jenseits zu dienen (Waitz 3, 199-200), wie man ebendaselbst den Erstgeborenen der Sonne opferte. Kinderopfer werden auch sonst öfters erwähnt: in Virginien, in Neuengland, bei den Sioux und sonst (Waitz 3, 207). Auch bei manchen Caribenstämmen wurden mit den gestorbenen Häuptlingen einige seiner Weiber lebendig begraben (ebend. 3, 387) und vornehmen Leuten folgte ein Sklave nach (3, 334). Allein bei allen diesen Völkern sind die Menschenopfer von so wenig Ausdehnung gewesen, dass wir bei ihnen, da sie für unsere Betrachtung gar keine Bedeutung haben, nicht zu verweilen brauchen. Um so zahlloser aber waren die Menschenopfer, welche die Religion der amerikanischen Kulturvölker forderte und deren Ursprung in uralte vorhistorische Zeit zurückgeht (Waitz 4, 157). Wo wir Menschenopfer finden, werden wir dieselben immer mit grösster Wahrscheinlichkeit auf die allerälteste Zeit zurückführen, denn sie wurzeln stets in sehr ernst gemeinter Religiosität, nie in Grausamkeit. Spätere Einfüh-

beweisen: so auf Tahiti der oft beschriebene Gebrauch bei Menschenopfern, dem König das linke Auge (den Sitz der Seele) des Opfers darzubieten, der dann den Mund öffnete, als ob er es verschlänge und durch diese Ceremonie Verstand und Klugheit bekommen sollte. Ursprünglich hat er es gewiss gegessen, und erst später, als die Sitten sich milderten, begnügte man sich, wie in analogen Fällen bei allen Völkern der Welt, mit einer symbolischen Handlung. Im Samoaarchipel beugt sich, wer dem Sieger als besiegt sich unterwirft, vor demselben nieder, indem er ihm Feuerholz und die Blätter darreicht, in welche man in Polynesien die Speisen, die gekocht werden sollen, einschlägt (Turner 194). Und so liesse sich vieles anführen. Es scheint aber, als ob, wie die Tahitier, Hawaier u. s. w. die Menschenfresserei abgeschafft hatten, ehe die Europäer kamen, noch an manchen anderen Orten Polynesiens dieselbe Sitte in Abnahme oder doch in Misskredit gekommen sei, ohne dass der Einfluss der Europäer dies bewirkt hätte: so läugneten auf Nukuhiva die wilden Taipis den Kannibalismus ganz und gar, und suchten ihn den Weissen zu verbergen, wie Melville mittheilt. Und die neuseeländischen Fürsten erzählten, er sei keineswegs von Alters her bei ihnen Sitte, sondern erst später eingeführt (Thomson 1, 142), eine Behauptung, welche entschieden falsch und nur von ihnen erfunden kaum eine Widerlegung verdient.



§ 10. Menschenopfer.

In Nordamerika sind Menschenopfer nicht sehr zahlreich gewesen. In Florida wurden Weiber und Diener ehedem beim Tode des Herrn gleichfalls getödtet, um ihm im Jenseits zu dienen (Waitz 3, 199-200), wie man ebendaselbst den Erstgeborenen der Sonne opferte. Kinderopfer werden auch sonst öfters erwähnt: in Virginien, in Neuengland, bei den Sioux und sonst (Waitz 3, 207). Auch bei manchen Caribenstämmen wurden mit den gestorbenen Häuptlingen einige seiner Weiber lebendig begraben (ebend. 3, 387) und vornehmen Leuten folgte ein Sklave nach (3, 334). Allein bei allen diesen Völkern sind die Menschenopfer von so wenig Ausdehnung gewesen, dass wir bei ihnen, da sie für unsere Betrachtung gar keine Bedeutung haben, nicht zu verweilen brauchen. Um so zahlloser aber waren die Menschenopfer, welche die Religion der amerikanischen Kulturvölker forderte und deren Ursprung in uralte vorhistorische Zeit zurückgeht (Waitz 4, 157). Wo wir Menschenopfer finden, werden wir dieselben immer mit grösster Wahrscheinlichkeit auf die allerälteste Zeit zurückführen, denn sie wurzeln stets in sehr ernst gemeinter Religiosität, nie in Grausamkeit. Spätere Einfüh-

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 Tahiti der oft beschriebene Gebrauch bei Menschenopfern, dem
 König das linke Auge (den Sitz der Seele) des Opfers
 darzubieten, der dann den Mund öffnete, als ob er es
 verschlänge und durch diese Ceremonie Verstand und Klugheit
 bekommen sollte. Ursprünglich hat er es gewiss gegessen, und
 erst später, als die Sitten sich milderten, begnügte man
 sich, wie in analogen Fällen bei allen Völkern der Welt,
 mit einer symbolischen Handlung. Im Samoaarchipel beugt sich, wer
 dem Sieger als besiegt sich unterwirft, vor demselben nieder, indem
 er ihm Feuerholz und die Blätter darreicht, in welche man in
 Polynesien die Speisen, die gekocht werden sollen, einschlägt
 (Turner 194). Und so liesse sich vieles anführen. Es scheint
 aber, als ob, wie die Tahitier, Hawaier u. s. w. die
 Menschenfresserei abgeschafft hatten, ehe die Europäer kamen,
 noch an manchen anderen Orten Polynesiens dieselbe Sitte in Abnahme
 oder doch in Misskredit gekommen sei, ohne dass der Einfluss der
 Europäer dies bewirkt hätte: so läugneten auf
 Nukuhiva die wilden Taipis den Kannibalismus ganz und gar, und
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 gleichfalls getödtet, um ihm im Jenseits zu dienen (Waitz 3,
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 Kinderopfer werden auch sonst öfters erwähnt: in
 Virginien, in Neuengland, bei den Sioux und sonst (Waitz 3, 207).
 Auch bei manchen Caribenstämmen wurden mit den gestorbenen
 Häuptlingen einige seiner Weiber lebendig begraben (ebend. 3,
 387) und vornehmen Leuten folgte ein Sklave nach (3, 334). Allein
 bei allen diesen Völkern sind die Menschenopfer von so wenig
 Ausdehnung gewesen, dass wir bei ihnen, da sie für unsere
 Betrachtung gar keine Bedeutung haben, nicht zu verweilen brauchen.
 Um so zahlloser aber waren die Menschenopfer, welche die Religion
 der amerikanischen Kulturvölker forderte und deren Ursprung in
 uralte vorhistorische Zeit zurückgeht (Waitz 4, 157). Wo wir
 Menschenopfer finden, werden wir dieselben immer mit grösster
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[0085] beweisen: so auf Tahiti der oft beschriebene Gebrauch bei Menschenopfern, dem König das linke Auge (den Sitz der Seele) des Opfers darzubieten, der dann den Mund öffnete, als ob er es verschlänge und durch diese Ceremonie Verstand und Klugheit bekommen sollte. Ursprünglich hat er es gewiss gegessen, und erst später, als die Sitten sich milderten, begnügte man sich, wie in analogen Fällen bei allen Völkern der Welt, mit einer symbolischen Handlung. Im Samoaarchipel beugt sich, wer dem Sieger als besiegt sich unterwirft, vor demselben nieder, indem er ihm Feuerholz und die Blätter darreicht, in welche man in Polynesien die Speisen, die gekocht werden sollen, einschlägt (Turner 194). Und so liesse sich vieles anführen. Es scheint aber, als ob, wie die Tahitier, Hawaier u. s. w. die Menschenfresserei abgeschafft hatten, ehe die Europäer kamen, noch an manchen anderen Orten Polynesiens dieselbe Sitte in Abnahme oder doch in Misskredit gekommen sei, ohne dass der Einfluss der Europäer dies bewirkt hätte: so läugneten auf Nukuhiva die wilden Taipis den Kannibalismus ganz und gar, und suchten ihn den Weissen zu verbergen, wie Melville mittheilt. Und die neuseeländischen Fürsten erzählten, er sei keineswegs von Alters her bei ihnen Sitte, sondern erst später eingeführt (Thomson 1, 142), eine Behauptung, welche entschieden falsch und nur von ihnen erfunden kaum eine Widerlegung verdient. § 10. Menschenopfer. In Nordamerika sind Menschenopfer nicht sehr zahlreich gewesen. In Florida wurden Weiber und Diener ehedem beim Tode des Herrn gleichfalls getödtet, um ihm im Jenseits zu dienen (Waitz 3, 199-200), wie man ebendaselbst den Erstgeborenen der Sonne opferte. Kinderopfer werden auch sonst öfters erwähnt: in Virginien, in Neuengland, bei den Sioux und sonst (Waitz 3, 207). Auch bei manchen Caribenstämmen wurden mit den gestorbenen Häuptlingen einige seiner Weiber lebendig begraben (ebend. 3, 387) und vornehmen Leuten folgte ein Sklave nach (3, 334). Allein bei allen diesen Völkern sind die Menschenopfer von so wenig Ausdehnung gewesen, dass wir bei ihnen, da sie für unsere Betrachtung gar keine Bedeutung haben, nicht zu verweilen brauchen. Um so zahlloser aber waren die Menschenopfer, welche die Religion der amerikanischen Kulturvölker forderte und deren Ursprung in uralte vorhistorische Zeit zurückgeht (Waitz 4, 157). Wo wir Menschenopfer finden, werden wir dieselben immer mit grösster Wahrscheinlichkeit auf die allerälteste Zeit zurückführen, denn sie wurzeln stets in sehr ernst gemeinter Religiosität, nie in Grausamkeit. Spätere Einfüh-

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/85>, abgerufen am 21.11.2024.