Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.§ 12. Natureinflüsse. Sahen wir so, was die Naturvölker durch eigene Lebensart oder Schuld zu ihrem Hinschwinden beitragen: so müssen wir, ehe wir weiter gehen, einen Blick auf die Naturumgebungen dieser Völker werfen und deren günstigen oder schädlichen Einfluss abwägen. So viel leuchtet schon dem ersten Blick ein: durch Natureinflüsse allein stirbt kein Volk aus und die menschliche Natur gewöhnt sich fast an alles. Man kann sich, nach Darwins Schilderung, kaum eine für menschliche Entwickelung ungünstigere Natur denken, sowohl in Hinsicht auf Klima, als auf Lebensmittel u. s. w., als die Südspitze von Amerika und dennoch sagt derselbe Schriftsteller, dass ein Aussterben der elenden Stämme der Feuerländer nicht zu bemerken sei. Ebenso wenig der Eskimos. Der Mensch akklimatisirt sich, freilich nur sehr allmählich in langsamen Vorrücken und durch Jahrhunderte oder besser Jahrtausende lange Vererbung und dadurch Verstärkung der für die einzelne Gegend speziell befähigenden Eigenschaften an jede Gegend, an jedes Klima, und nichts beweist gerade mehr die Dauerhaftigkeit unserer Natur als diese Fähigkeit der Gewöhnung. Aber freilich werden weder Feuerländer noch Eskimos sich je zu grossen mächtigen Nationen entwickeln: und zwar in Folge ihrer Naturumgebung, welche der freien Entfaltung der Menschheit denn doch unübersteigliche Hindernisse in den Weg stellt. So ist denn eben die Naturumgebung der Grund, dass wir die roheren Naturvölker nie sehr zahlreich sehen; die Natur erheischt ein Leben, welches dem Gedeihen der Menschheit nicht zuträglich ist. Die geringe Zahl der Neuholländer ist zweifelsohne bedingt durch die erstaunlich unfruchtbare Natur ihres Landes, denn wenn auch Grey (1, 239) Recht hat gegen Sturt und viele Andere, dass der Nahrungsmangel in Neuholland nicht so gross ist, als er gewöhnlich gemacht wird, und allerdings gibt er für den Südwestdistrikt des Welttheils, für eine Ausdehnung von 2-300 Meilen (2, 299) eine reiche Menge Nahrungsmittel an (2, 263-64); so sind dieselben doch immer erst weit zerstreut, müssen gesucht werden und sind oft, im einzelnen betrachtet, elend genug. Sie zu vermehren, anzubauen haben die Eingeborenen nicht Kultur genug, auch finden sich kaum unter den Pflanzen und Thieren Neuhollands solche, die zu eigentlichen Kulturpflanzen oder Hausthieren brauchbar wären; zu sammeln aber sind die Neuholländer, wie wir schon bei der Betrachtung ihres Charakters sahen, zu indolent, zu träge. Wir müssen hier die ausserordentlich hemmenden Schranken der Natur anerkennen, die jedoch nur dann erst wirklich für den Bestand eines Volkes gefährlich werden, wenn noch andere Bedrängnisse hinzukommen. Ueber viele Distrikte Amerikas muss man, mehr oder minder, dasselbe sagen, in mancher Beziehung auch von Südafrika. Und fast noch § 12. Natureinflüsse. Sahen wir so, was die Naturvölker durch eigene Lebensart oder Schuld zu ihrem Hinschwinden beitragen: so müssen wir, ehe wir weiter gehen, einen Blick auf die Naturumgebungen dieser Völker werfen und deren günstigen oder schädlichen Einfluss abwägen. So viel leuchtet schon dem ersten Blick ein: durch Natureinflüsse allein stirbt kein Volk aus und die menschliche Natur gewöhnt sich fast an alles. Man kann sich, nach Darwins Schilderung, kaum eine für menschliche Entwickelung ungünstigere Natur denken, sowohl in Hinsicht auf Klima, als auf Lebensmittel u. s. w., als die Südspitze von Amerika und dennoch sagt derselbe Schriftsteller, dass ein Aussterben der elenden Stämme der Feuerländer nicht zu bemerken sei. Ebenso wenig der Eskimos. Der Mensch akklimatisirt sich, freilich nur sehr allmählich in langsamen Vorrücken und durch Jahrhunderte oder besser Jahrtausende lange Vererbung und dadurch Verstärkung der für die einzelne Gegend speziell befähigenden Eigenschaften an jede Gegend, an jedes Klima, und nichts beweist gerade mehr die Dauerhaftigkeit unserer Natur als diese Fähigkeit der Gewöhnung. Aber freilich werden weder Feuerländer noch Eskimos sich je zu grossen mächtigen Nationen entwickeln: und zwar in Folge ihrer Naturumgebung, welche der freien Entfaltung der Menschheit denn doch unübersteigliche Hindernisse in den Weg stellt. So ist denn eben die Naturumgebung der Grund, dass wir die roheren Naturvölker nie sehr zahlreich sehen; die Natur erheischt ein Leben, welches dem Gedeihen der Menschheit nicht zuträglich ist. Die geringe Zahl der Neuholländer ist zweifelsohne bedingt durch die erstaunlich unfruchtbare Natur ihres Landes, denn wenn auch Grey (1, 239) Recht hat gegen Sturt und viele Andere, dass der Nahrungsmangel in Neuholland nicht so gross ist, als er gewöhnlich gemacht wird, und allerdings gibt er für den Südwestdistrikt des Welttheils, für eine Ausdehnung von 2-300 Meilen (2, 299) eine reiche Menge Nahrungsmittel an (2, 263-64); so sind dieselben doch immer erst weit zerstreut, müssen gesucht werden und sind oft, im einzelnen betrachtet, elend genug. Sie zu vermehren, anzubauen haben die Eingeborenen nicht Kultur genug, auch finden sich kaum unter den Pflanzen und Thieren Neuhollands solche, die zu eigentlichen Kulturpflanzen oder Hausthieren brauchbar wären; zu sammeln aber sind die Neuholländer, wie wir schon bei der Betrachtung ihres Charakters sahen, zu indolent, zu träge. Wir müssen hier die ausserordentlich hemmenden Schranken der Natur anerkennen, die jedoch nur dann erst wirklich für den Bestand eines Volkes gefährlich werden, wenn noch andere Bedrängnisse hinzukommen. Ueber viele Distrikte Amerikas muss man, mehr oder minder, dasselbe sagen, in mancher Beziehung auch von Südafrika. 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Der Mensch akklimatisirt sich, freilich nur sehr allmählich in langsamen Vorrücken und durch Jahrhunderte oder besser Jahrtausende lange Vererbung und dadurch Verstärkung der für die einzelne Gegend speziell befähigenden Eigenschaften an jede Gegend, an jedes Klima, und nichts beweist gerade mehr die Dauerhaftigkeit unserer Natur als diese Fähigkeit der Gewöhnung. Aber freilich werden weder Feuerländer noch Eskimos sich je zu grossen mächtigen Nationen entwickeln: und zwar in Folge ihrer Naturumgebung, welche der freien Entfaltung der Menschheit denn doch unübersteigliche Hindernisse in den Weg stellt. So ist denn eben die Naturumgebung der Grund, dass wir die roheren Naturvölker nie sehr zahlreich sehen; die Natur erheischt ein Leben, welches dem Gedeihen der Menschheit nicht zuträglich ist. Die geringe Zahl der Neuholländer ist zweifelsohne bedingt durch die erstaunlich unfruchtbare Natur ihres Landes, denn wenn auch Grey (1, 239) Recht hat gegen Sturt und viele Andere, dass der Nahrungsmangel in Neuholland nicht so gross ist, als er gewöhnlich gemacht wird, und allerdings gibt er für den Südwestdistrikt des Welttheils, für eine Ausdehnung von 2-300 Meilen (2, 299) eine reiche Menge Nahrungsmittel an (2, 263-64); so sind dieselben doch immer erst weit zerstreut, müssen gesucht werden und sind oft, im einzelnen betrachtet, elend genug. Sie zu vermehren, anzubauen haben die Eingeborenen nicht Kultur genug, auch finden sich kaum unter den Pflanzen und Thieren Neuhollands solche, die zu eigentlichen Kulturpflanzen oder Hausthieren brauchbar wären; zu sammeln aber sind die Neuholländer, wie wir schon bei der Betrachtung ihres Charakters sahen, zu indolent, zu träge. Wir müssen hier die ausserordentlich hemmenden Schranken der Natur anerkennen, die jedoch nur dann erst wirklich für den Bestand eines Volkes gefährlich werden, wenn noch andere Bedrängnisse hinzukommen. Ueber viele Distrikte Amerikas muss man, mehr oder minder, dasselbe sagen, in mancher Beziehung auch von Südafrika. Und fast noch </p> </div> </body> </text> </TEI> [0094]
§ 12. Natureinflüsse.
Sahen wir so, was die Naturvölker durch eigene Lebensart oder Schuld zu ihrem Hinschwinden beitragen: so müssen wir, ehe wir weiter gehen, einen Blick auf die Naturumgebungen dieser Völker werfen und deren günstigen oder schädlichen Einfluss abwägen. So viel leuchtet schon dem ersten Blick ein: durch Natureinflüsse allein stirbt kein Volk aus und die menschliche Natur gewöhnt sich fast an alles. Man kann sich, nach Darwins Schilderung, kaum eine für menschliche Entwickelung ungünstigere Natur denken, sowohl in Hinsicht auf Klima, als auf Lebensmittel u. s. w., als die Südspitze von Amerika und dennoch sagt derselbe Schriftsteller, dass ein Aussterben der elenden Stämme der Feuerländer nicht zu bemerken sei. Ebenso wenig der Eskimos. Der Mensch akklimatisirt sich, freilich nur sehr allmählich in langsamen Vorrücken und durch Jahrhunderte oder besser Jahrtausende lange Vererbung und dadurch Verstärkung der für die einzelne Gegend speziell befähigenden Eigenschaften an jede Gegend, an jedes Klima, und nichts beweist gerade mehr die Dauerhaftigkeit unserer Natur als diese Fähigkeit der Gewöhnung. Aber freilich werden weder Feuerländer noch Eskimos sich je zu grossen mächtigen Nationen entwickeln: und zwar in Folge ihrer Naturumgebung, welche der freien Entfaltung der Menschheit denn doch unübersteigliche Hindernisse in den Weg stellt. So ist denn eben die Naturumgebung der Grund, dass wir die roheren Naturvölker nie sehr zahlreich sehen; die Natur erheischt ein Leben, welches dem Gedeihen der Menschheit nicht zuträglich ist. Die geringe Zahl der Neuholländer ist zweifelsohne bedingt durch die erstaunlich unfruchtbare Natur ihres Landes, denn wenn auch Grey (1, 239) Recht hat gegen Sturt und viele Andere, dass der Nahrungsmangel in Neuholland nicht so gross ist, als er gewöhnlich gemacht wird, und allerdings gibt er für den Südwestdistrikt des Welttheils, für eine Ausdehnung von 2-300 Meilen (2, 299) eine reiche Menge Nahrungsmittel an (2, 263-64); so sind dieselben doch immer erst weit zerstreut, müssen gesucht werden und sind oft, im einzelnen betrachtet, elend genug. Sie zu vermehren, anzubauen haben die Eingeborenen nicht Kultur genug, auch finden sich kaum unter den Pflanzen und Thieren Neuhollands solche, die zu eigentlichen Kulturpflanzen oder Hausthieren brauchbar wären; zu sammeln aber sind die Neuholländer, wie wir schon bei der Betrachtung ihres Charakters sahen, zu indolent, zu träge. Wir müssen hier die ausserordentlich hemmenden Schranken der Natur anerkennen, die jedoch nur dann erst wirklich für den Bestand eines Volkes gefährlich werden, wenn noch andere Bedrängnisse hinzukommen. Ueber viele Distrikte Amerikas muss man, mehr oder minder, dasselbe sagen, in mancher Beziehung auch von Südafrika. Und fast noch
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