Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

trieb. Auch in Amerika, namentlich im Norden, gibt es Völker, die durch die äussere Noth gezwungen, zum Kannibalismus gebracht sind (Waitz 3, 508; 4, 251).

Dass auch die Aleuteninseln durch ihre Naturbeschaffenheit keine reiche Entwickelung ihrer Bevölkerung zulassen, ist klar; und dasselbe gilt von Kamtschatka, über dessen Natur von neuern Schriftstellern v. Kittlitz trefflich gehandelt hat.

Alle die besprochenen Länder machen eine grosse geschichtliche Entwicklung von vornherein so gut wie unmöglich. Einförmigkeit ist das Zeichen der meisten; und historische Schicksale, das wirksamste Mittel, die Menschheit zu heben, konnten ihre Bewohner so gut wie gar nicht treffen. Dadurch aber konnten sie sich nicht über die Natur, wie z. B. die Indogermanen, die Semiten gethan, erheben, so dass diese von ihnen beherrscht wäre. Und nehmen wir auf der anderen Seite Völker mit den Sitten, wie wir sie bisher geschildert, in ungünstiger Natur, so leuchtet wohl ein, wie gerade ihnen gegenüber schädliche Natureinflüsse von doppelter Gefahr sein mussten.



§ 13. Aeussere Einflüsse der höheren Kultur auf die Naturvölker.

Wir können nun erst, nachdem wir betrachtet haben, was in der Natur und Lebensweise dieser Völker selbst einen frühen Untergang Begründendes liegt, die Einflüsse genauer erwägen, welche ihre Berührung mit anderen meist höher kultivirten Völkern und namentlich mit den Kulturvölkern Europas und Amerikas hervorgebracht hat.

Es sind hier zunächst Einflüsse zu erwähnen, welche obwohl durchaus nicht feindselig, ja häufig nur gut gemeint dennoch physisch wie psychisch die gewaltsamsten Wirkungen haben mussten und hatten und haben.

Zunächst ist es die Umänderung des äusseren Lebens der Naturvölker, welche uns, wie sie durch jene Berührung unvermeidlich war, beschäftigen muss. -- Die ganze Lebensart dieser Völker war durch lange fast instinktive Auswahl, dem Klima, den Bodenverhältnissen, ihrer ganzen äusseren Natur so entsprechend oder wenigstens die Natur dieser Völker hatte sich durch lange Gewöhnung so mit dieser Lebensart assimilirt, dass jede auffallende Aenderung, namentlich wenn sie plötzlich kam, wenn sie sich über mehreres erstreckte, oder gar wenn sie bloss halb, bloss zeitweilig durchgeführt wurde, die grössten Revolutionen in ihrem gesammten Wesen hervorbringen musste. Auch hier ist wieder auf die unendliche Macht einer sich stets verstärkenden Vererbung hinzuweisen, wie sie durch Jahrhun-

trieb. Auch in Amerika, namentlich im Norden, gibt es Völker, die durch die äussere Noth gezwungen, zum Kannibalismus gebracht sind (Waitz 3, 508; 4, 251).

Dass auch die Aleuteninseln durch ihre Naturbeschaffenheit keine reiche Entwickelung ihrer Bevölkerung zulassen, ist klar; und dasselbe gilt von Kamtschatka, über dessen Natur von neuern Schriftstellern v. Kittlitz trefflich gehandelt hat.

Alle die besprochenen Länder machen eine grosse geschichtliche Entwicklung von vornherein so gut wie unmöglich. Einförmigkeit ist das Zeichen der meisten; und historische Schicksale, das wirksamste Mittel, die Menschheit zu heben, konnten ihre Bewohner so gut wie gar nicht treffen. Dadurch aber konnten sie sich nicht über die Natur, wie z. B. die Indogermanen, die Semiten gethan, erheben, so dass diese von ihnen beherrscht wäre. Und nehmen wir auf der anderen Seite Völker mit den Sitten, wie wir sie bisher geschildert, in ungünstiger Natur, so leuchtet wohl ein, wie gerade ihnen gegenüber schädliche Natureinflüsse von doppelter Gefahr sein mussten.



§ 13. Aeussere Einflüsse der höheren Kultur auf die Naturvölker.

Wir können nun erst, nachdem wir betrachtet haben, was in der Natur und Lebensweise dieser Völker selbst einen frühen Untergang Begründendes liegt, die Einflüsse genauer erwägen, welche ihre Berührung mit anderen meist höher kultivirten Völkern und namentlich mit den Kulturvölkern Europas und Amerikas hervorgebracht hat.

Es sind hier zunächst Einflüsse zu erwähnen, welche obwohl durchaus nicht feindselig, ja häufig nur gut gemeint dennoch physisch wie psychisch die gewaltsamsten Wirkungen haben mussten und hatten und haben.

Zunächst ist es die Umänderung des äusseren Lebens der Naturvölker, welche uns, wie sie durch jene Berührung unvermeidlich war, beschäftigen muss. — Die ganze Lebensart dieser Völker war durch lange fast instinktive Auswahl, dem Klima, den Bodenverhältnissen, ihrer ganzen äusseren Natur so entsprechend oder wenigstens die Natur dieser Völker hatte sich durch lange Gewöhnung so mit dieser Lebensart assimilirt, dass jede auffallende Aenderung, namentlich wenn sie plötzlich kam, wenn sie sich über mehreres erstreckte, oder gar wenn sie bloss halb, bloss zeitweilig durchgeführt wurde, die grössten Revolutionen in ihrem gesammten Wesen hervorbringen musste. Auch hier ist wieder auf die unendliche Macht einer sich stets verstärkenden Vererbung hinzuweisen, wie sie durch Jahrhun-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0096"/>
trieb. Auch in Amerika,
 namentlich im Norden, gibt es Völker, die durch die
 äussere Noth gezwungen, zum Kannibalismus gebracht sind (Waitz
 3, 508; 4, 251).</p>
        <p>Dass auch die Aleuteninseln durch ihre Naturbeschaffenheit keine
 reiche Entwickelung ihrer Bevölkerung zulassen, ist klar; und
 dasselbe gilt von Kamtschatka, über dessen Natur von neuern
 Schriftstellern v. Kittlitz trefflich gehandelt hat.</p>
        <p>Alle die besprochenen Länder machen eine grosse
 geschichtliche Entwicklung von vornherein so gut wie
 unmöglich. Einförmigkeit ist das Zeichen der meisten; und
 historische Schicksale, das wirksamste Mittel, die Menschheit zu
 heben, konnten ihre Bewohner so gut wie gar nicht treffen. Dadurch
 aber konnten sie sich nicht über die Natur, wie z. B. die
 Indogermanen, die Semiten gethan, erheben, so dass diese von ihnen
 beherrscht wäre. Und nehmen wir auf der anderen Seite
 Völker mit den Sitten, wie wir sie bisher geschildert, in
 ungünstiger Natur, so leuchtet wohl ein, wie gerade ihnen
 gegenüber schädliche Natureinflüsse von doppelter
 Gefahr sein mussten.</p>
      </div>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head>§ 13. <hi rendition="#i"><hi rendition="#i">Aeussere Einflüsse der höheren Kultur auf
 die Naturvölker.</hi></hi></head><lb/>
        <p>Wir können nun erst, nachdem wir betrachtet haben, was in
 der Natur und Lebensweise dieser Völker selbst einen
 frühen Untergang Begründendes liegt, die Einflüsse
 genauer erwägen, welche ihre Berührung mit anderen meist
 höher kultivirten Völkern und namentlich mit den
 Kulturvölkern Europas und Amerikas hervorgebracht hat.</p>
        <p>Es sind hier zunächst Einflüsse zu erwähnen,
 welche obwohl durchaus nicht feindselig, ja häufig nur gut
 gemeint dennoch physisch wie psychisch die gewaltsamsten Wirkungen
 haben mussten und hatten und haben.</p>
        <p>Zunächst ist es die Umänderung des äusseren
 Lebens der Naturvölker, welche uns, wie sie durch jene
 Berührung unvermeidlich war, beschäftigen muss. &#x2014;
 Die ganze Lebensart dieser Völker war durch lange fast
 instinktive Auswahl, dem Klima, den Bodenverhältnissen, ihrer
 ganzen äusseren Natur so entsprechend oder wenigstens die
 Natur dieser Völker hatte sich durch lange Gewöhnung so
 mit dieser Lebensart assimilirt, dass jede auffallende Aenderung,
 namentlich wenn sie plötzlich kam, wenn sie sich über
 mehreres erstreckte, oder gar wenn sie bloss halb, bloss zeitweilig
 durchgeführt wurde, die grössten Revolutionen in ihrem
 gesammten Wesen hervorbringen musste. Auch hier ist wieder auf die
 unendliche Macht einer sich stets verstärkenden Vererbung
 hinzuweisen, wie sie durch Jahrhun-
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0096] trieb. Auch in Amerika, namentlich im Norden, gibt es Völker, die durch die äussere Noth gezwungen, zum Kannibalismus gebracht sind (Waitz 3, 508; 4, 251). Dass auch die Aleuteninseln durch ihre Naturbeschaffenheit keine reiche Entwickelung ihrer Bevölkerung zulassen, ist klar; und dasselbe gilt von Kamtschatka, über dessen Natur von neuern Schriftstellern v. Kittlitz trefflich gehandelt hat. Alle die besprochenen Länder machen eine grosse geschichtliche Entwicklung von vornherein so gut wie unmöglich. Einförmigkeit ist das Zeichen der meisten; und historische Schicksale, das wirksamste Mittel, die Menschheit zu heben, konnten ihre Bewohner so gut wie gar nicht treffen. Dadurch aber konnten sie sich nicht über die Natur, wie z. B. die Indogermanen, die Semiten gethan, erheben, so dass diese von ihnen beherrscht wäre. Und nehmen wir auf der anderen Seite Völker mit den Sitten, wie wir sie bisher geschildert, in ungünstiger Natur, so leuchtet wohl ein, wie gerade ihnen gegenüber schädliche Natureinflüsse von doppelter Gefahr sein mussten. § 13. Aeussere Einflüsse der höheren Kultur auf die Naturvölker. Wir können nun erst, nachdem wir betrachtet haben, was in der Natur und Lebensweise dieser Völker selbst einen frühen Untergang Begründendes liegt, die Einflüsse genauer erwägen, welche ihre Berührung mit anderen meist höher kultivirten Völkern und namentlich mit den Kulturvölkern Europas und Amerikas hervorgebracht hat. Es sind hier zunächst Einflüsse zu erwähnen, welche obwohl durchaus nicht feindselig, ja häufig nur gut gemeint dennoch physisch wie psychisch die gewaltsamsten Wirkungen haben mussten und hatten und haben. Zunächst ist es die Umänderung des äusseren Lebens der Naturvölker, welche uns, wie sie durch jene Berührung unvermeidlich war, beschäftigen muss. — Die ganze Lebensart dieser Völker war durch lange fast instinktive Auswahl, dem Klima, den Bodenverhältnissen, ihrer ganzen äusseren Natur so entsprechend oder wenigstens die Natur dieser Völker hatte sich durch lange Gewöhnung so mit dieser Lebensart assimilirt, dass jede auffallende Aenderung, namentlich wenn sie plötzlich kam, wenn sie sich über mehreres erstreckte, oder gar wenn sie bloss halb, bloss zeitweilig durchgeführt wurde, die grössten Revolutionen in ihrem gesammten Wesen hervorbringen musste. Auch hier ist wieder auf die unendliche Macht einer sich stets verstärkenden Vererbung hinzuweisen, wie sie durch Jahrhun-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Die Transkription entspricht den DTA-Richtlinien.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/96
Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/96>, abgerufen am 21.11.2024.