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Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.

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Ugolino,
Anselmo. Unersättlicher! du issest? -- Nichts die luftige
Grotte? Nichts die weißschäumende Cisterne? Nichts die cry-
stallnen Forellbäche?
Gaddo. Ah! die Forellbäche!
Anselmo. Nichts der gesangvolle Park, der stillere See,
die jähen Ufer, vom Getön der Gondeln hallend, das Scherzen
der vorüberhüpfenden Rudel, der brausende Auerhan, die zir-
penden Weinvögel, Heydelerchen, und Ortolane, der Fasan,
die Turteltaube vor dir her, und unter dir die leichte Sardelle,
die Alose, der Goldfisch, die schmelzende Lamprete --
Gaddo. (hält ihm den Mund zu) Sprich nicht mehr davon,
Anselmo; du hast mich ganz.
Anselmo. O Gaddo! mein Gaddo! mein geliebter Gaddo!
stelle dir die Wonne, das Entzücken vor!
Gaddo. Ach! so lebhaft!
Anselmo. Wir baden unter dem blumigten Abhange im
Silberquell; sieh! die langen Aale schweben im Schatten der
Weinrebe; und nun schlüpfen sie dahin! schneller schlüpfen sie
dahin, als der Schilfpfeil von der Darmsenne!
Gaddo. Laß mich! laß mich!
Anselmo. Was giebts?
Gaddo. Jch will ihnen nachschwimmen. Jch will sie ein-
holen.
Anselmo. Hab ich dich, Schalk? Gut! unsre Mutter
kömmt. Die edle Mutter!
Gaddo. Die freundliche Mutter!
Anselmo. Anselmo! ruft sie. Gaddo! ruft sie. Halb
zitternd.
Gaddo. Warum zittert sie?
Anselmo. Jn eben diesem Bade zog unsern Bruder Fran-
cesco ein zuckender Krampf unters Wasser bis zur Tiefe. Sie
warf ihm einen Kastanienast nach; sonst war er verlohren.

Gaddo.
Ugolino,
Anſelmo. Unerſaͤttlicher! du iſſeſt? — Nichts die luftige
Grotte? Nichts die weißſchaͤumende Ciſterne? Nichts die cry-
ſtallnen Forellbaͤche?
Gaddo. Ah! die Forellbaͤche!
Anſelmo. Nichts der geſangvolle Park, der ſtillere See,
die jaͤhen Ufer, vom Getoͤn der Gondeln hallend, das Scherzen
der voruͤberhuͤpfenden Rudel, der brauſende Auerhan, die zir-
penden Weinvoͤgel, Heydelerchen, und Ortolane, der Faſan,
die Turteltaube vor dir her, und unter dir die leichte Sardelle,
die Aloſe, der Goldfiſch, die ſchmelzende Lamprete —
Gaddo. (haͤlt ihm den Mund zu) Sprich nicht mehr davon,
Anſelmo; du haſt mich ganz.
Anſelmo. O Gaddo! mein Gaddo! mein geliebter Gaddo!
ſtelle dir die Wonne, das Entzuͤcken vor!
Gaddo. Ach! ſo lebhaft!
Anſelmo. Wir baden unter dem blumigten Abhange im
Silberquell; ſieh! die langen Aale ſchweben im Schatten der
Weinrebe; und nun ſchluͤpfen ſie dahin! ſchneller ſchluͤpfen ſie
dahin, als der Schilfpfeil von der Darmſenne!
Gaddo. Laß mich! laß mich!
Anſelmo. Was giebts?
Gaddo. Jch will ihnen nachſchwimmen. Jch will ſie ein-
holen.
Anſelmo. Hab ich dich, Schalk? Gut! unſre Mutter
koͤmmt. Die edle Mutter!
Gaddo. Die freundliche Mutter!
Anſelmo. Anſelmo! ruft ſie. Gaddo! ruft ſie. Halb
zitternd.
Gaddo. Warum zittert ſie?
Anſelmo. Jn eben dieſem Bade zog unſern Bruder Fran-
ceſco ein zuckender Krampf unters Waſſer bis zur Tiefe. Sie
warf ihm einen Kaſtanienaſt nach; ſonſt war er verlohren.

Gaddo.
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[20/0026] Ugolino, Anſelmo. Unerſaͤttlicher! du iſſeſt? — Nichts die luftige Grotte? Nichts die weißſchaͤumende Ciſterne? Nichts die cry- ſtallnen Forellbaͤche? Gaddo. Ah! die Forellbaͤche! Anſelmo. Nichts der geſangvolle Park, der ſtillere See, die jaͤhen Ufer, vom Getoͤn der Gondeln hallend, das Scherzen der voruͤberhuͤpfenden Rudel, der brauſende Auerhan, die zir- penden Weinvoͤgel, Heydelerchen, und Ortolane, der Faſan, die Turteltaube vor dir her, und unter dir die leichte Sardelle, die Aloſe, der Goldfiſch, die ſchmelzende Lamprete — Gaddo. (haͤlt ihm den Mund zu) Sprich nicht mehr davon, Anſelmo; du haſt mich ganz. Anſelmo. O Gaddo! mein Gaddo! mein geliebter Gaddo! ſtelle dir die Wonne, das Entzuͤcken vor! Gaddo. Ach! ſo lebhaft! Anſelmo. Wir baden unter dem blumigten Abhange im Silberquell; ſieh! die langen Aale ſchweben im Schatten der Weinrebe; und nun ſchluͤpfen ſie dahin! ſchneller ſchluͤpfen ſie dahin, als der Schilfpfeil von der Darmſenne! Gaddo. Laß mich! laß mich! Anſelmo. Was giebts? Gaddo. Jch will ihnen nachſchwimmen. Jch will ſie ein- holen. Anſelmo. Hab ich dich, Schalk? Gut! unſre Mutter koͤmmt. Die edle Mutter! Gaddo. Die freundliche Mutter! Anſelmo. Anſelmo! ruft ſie. Gaddo! ruft ſie. Halb zitternd. Gaddo. Warum zittert ſie? Anſelmo. Jn eben dieſem Bade zog unſern Bruder Fran- ceſco ein zuckender Krampf unters Waſſer bis zur Tiefe. Sie warf ihm einen Kaſtanienaſt nach; ſonſt war er verlohren. Gaddo.

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Zitationshilfe: Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/26>, abgerufen am 24.11.2024.