Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.

Bild:
<< vorherige Seite
zweyter Aufzug.
Gaddo. Niemals, niemals --
Anselmo. O du brüderliche Zärtlichkeit! (fällt ihm um den
Hals und weint: sie weinen beide.)
Ugolino. (tritt auf) Ja wohl brüderliche Zärtlichkeit! Welch
ein holder Anblick! O ihr theuren zartfühlenden Beide! ihr weint?
Gaddo. Lauter Freude!
Ugolino. Du warst doch vorher nicht eben freudig.
Gaddo. Aber itzt bin ichs, mein Vater: denn nun Fran-
cesco entsprungen ist, haben wir ja Essen die Fülle. Haben
wir nicht?
Anselmo. Pisch!
Ugolino. Francesco entsprungen! Was sagst du, Gaddo?
Anselmo. (zupft Gaddo, und droht ihm) Hm!
Ugolino. Unmöglich! Wo ist Francesco?
Gaddo. Mum!
Ugolino. Antworte du mir Anselmo. Wo ist Francesco?
Anselmo. Um Vergebung, mein Vater -- ich will gleich
wieder hier seyn.
Ugolino. Rufe mir Francesco augenblicklich her. Du
zögerst?
Anselmo. Mein Vater, Francesco -- ist vom Thurm
gesprungen.
Ugolino. Was? was? vom Thurm gesprungen? vom
Thurm wär er gesprungen? Unglücklicher! er ist zerschmettert!
er ist Staub!
Anselmo. Dafür ist gesorgt. Jch bin mehr Staub als er:
laß mich dir das sagen, mein Vater er lebt, wie unser einer, und
besser. Er gab mir das Zeichen mit den drey Steinwürfen. Jch
höre sie noch von drn Dachziegeln rollen. Ein so musikalisches
Rollen als ich eins in meinem Leben gehört habe. Jch will dirs
auf der Laute machen. O mein Vater, deine Söhne sind klüger,
als sich zu zerschmettern.

Gaddo.
zweyter Aufzug.
Gaddo. Niemals, niemals —
Anſelmo. O du bruͤderliche Zaͤrtlichkeit! (faͤllt ihm um den
Hals und weint: ſie weinen beide.)
Ugolino. (tritt auf) Ja wohl bruͤderliche Zaͤrtlichkeit! Welch
ein holder Anblick! O ihr theuren zartfuͤhlenden Beide! ihr weint?
Gaddo. Lauter Freude!
Ugolino. Du warſt doch vorher nicht eben freudig.
Gaddo. Aber itzt bin ichs, mein Vater: denn nun Fran-
ceſco entſprungen iſt, haben wir ja Eſſen die Fuͤlle. Haben
wir nicht?
Anſelmo. Piſch!
Ugolino. Franceſco entſprungen! Was ſagſt du, Gaddo?
Anſelmo. (zupft Gaddo, und droht ihm) Hm!
Ugolino. Unmoͤglich! Wo iſt Franceſco?
Gaddo. Mum!
Ugolino. Antworte du mir Anſelmo. Wo iſt Franceſco?
Anſelmo. Um Vergebung, mein Vater — ich will gleich
wieder hier ſeyn.
Ugolino. Rufe mir Franceſco augenblicklich her. Du
zoͤgerſt?
Anſelmo. Mein Vater, Franceſco — iſt vom Thurm
geſprungen.
Ugolino. Was? was? vom Thurm geſprungen? vom
Thurm waͤr er geſprungen? Ungluͤcklicher! er iſt zerſchmettert!
er iſt Staub!
Anſelmo. Dafuͤr iſt geſorgt. Jch bin mehr Staub als er:
laß mich dir das ſagen, mein Vater er lebt, wie unſer einer, und
beſſer. Er gab mir das Zeichen mit den drey Steinwuͤrfen. Jch
hoͤre ſie noch von drn Dachziegeln rollen. Ein ſo muſikaliſches
Rollen als ich eins in meinem Leben gehoͤrt habe. Jch will dirs
auf der Laute machen. O mein Vater, deine Soͤhne ſind kluͤger,
als ſich zu zerſchmettern.

Gaddo.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0029" n="23"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">zweyter Aufzug</hi>.</hi> </fw><lb/>
          <sp who="#GAD">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Gaddo</hi></hi>.</speaker>
            <p>Niemals, niemals &#x2014;</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <p>O du bru&#x0364;derliche Za&#x0364;rtlichkeit!</p>
            <stage>(fa&#x0364;llt ihm um den<lb/>
Hals und weint: &#x017F;ie weinen beide.)</stage>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <stage>(tritt auf)</stage>
            <p>Ja wohl bru&#x0364;derliche Za&#x0364;rtlichkeit! Welch<lb/>
ein holder Anblick! O ihr theuren zartfu&#x0364;hlenden Beide! ihr weint?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#GAD">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Gaddo</hi></hi>.</speaker>
            <p>Lauter Freude!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p>Du war&#x017F;t doch vorher nicht eben freudig.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#GAD">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Gaddo</hi></hi>.</speaker>
            <p>Aber itzt bin ichs, mein Vater: denn nun Fran-<lb/>
ce&#x017F;co ent&#x017F;prungen i&#x017F;t, haben wir ja E&#x017F;&#x017F;en die Fu&#x0364;lle. Haben<lb/>
wir nicht?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <p>Pi&#x017F;ch!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p>France&#x017F;co ent&#x017F;prungen! Was &#x017F;ag&#x017F;t du, Gaddo?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <stage>(zupft Gaddo, und droht ihm)</stage>
            <p>Hm!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p>Unmo&#x0364;glich! Wo i&#x017F;t France&#x017F;co?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#GAD">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Gaddo</hi></hi>.</speaker>
            <p>Mum!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p>Antworte du mir An&#x017F;elmo. Wo i&#x017F;t France&#x017F;co?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <p>Um Vergebung, mein Vater &#x2014; ich will gleich<lb/>
wieder hier &#x017F;eyn.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p>Rufe mir France&#x017F;co augenblicklich her. Du<lb/>
zo&#x0364;ger&#x017F;t?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <p>Mein Vater, France&#x017F;co &#x2014; i&#x017F;t vom Thurm<lb/>
ge&#x017F;prungen.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p>Was? was? vom Thurm ge&#x017F;prungen? vom<lb/>
Thurm wa&#x0364;r er ge&#x017F;prungen? Unglu&#x0364;cklicher! er i&#x017F;t zer&#x017F;chmettert!<lb/>
er i&#x017F;t Staub!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <p>Dafu&#x0364;r i&#x017F;t ge&#x017F;orgt. Jch bin mehr Staub als er:<lb/>
laß mich dir das &#x017F;agen, mein Vater er lebt, wie un&#x017F;er einer, und<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er. Er gab mir das Zeichen mit den drey Steinwu&#x0364;rfen. Jch<lb/>
ho&#x0364;re &#x017F;ie noch von drn Dachziegeln rollen. Ein &#x017F;o mu&#x017F;ikali&#x017F;ches<lb/>
Rollen als ich eins in meinem Leben geho&#x0364;rt habe. Jch will dirs<lb/>
auf der Laute machen. O mein Vater, deine So&#x0364;hne &#x017F;ind klu&#x0364;ger,<lb/>
als &#x017F;ich zu zer&#x017F;chmettern.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Gaddo</hi></hi>.</fw>
          </sp><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0029] zweyter Aufzug. Gaddo. Niemals, niemals — Anſelmo. O du bruͤderliche Zaͤrtlichkeit! (faͤllt ihm um den Hals und weint: ſie weinen beide.) Ugolino. (tritt auf) Ja wohl bruͤderliche Zaͤrtlichkeit! Welch ein holder Anblick! O ihr theuren zartfuͤhlenden Beide! ihr weint? Gaddo. Lauter Freude! Ugolino. Du warſt doch vorher nicht eben freudig. Gaddo. Aber itzt bin ichs, mein Vater: denn nun Fran- ceſco entſprungen iſt, haben wir ja Eſſen die Fuͤlle. Haben wir nicht? Anſelmo. Piſch! Ugolino. Franceſco entſprungen! Was ſagſt du, Gaddo? Anſelmo. (zupft Gaddo, und droht ihm) Hm! Ugolino. Unmoͤglich! Wo iſt Franceſco? Gaddo. Mum! Ugolino. Antworte du mir Anſelmo. Wo iſt Franceſco? Anſelmo. Um Vergebung, mein Vater — ich will gleich wieder hier ſeyn. Ugolino. Rufe mir Franceſco augenblicklich her. Du zoͤgerſt? Anſelmo. Mein Vater, Franceſco — iſt vom Thurm geſprungen. Ugolino. Was? was? vom Thurm geſprungen? vom Thurm waͤr er geſprungen? Ungluͤcklicher! er iſt zerſchmettert! er iſt Staub! Anſelmo. Dafuͤr iſt geſorgt. Jch bin mehr Staub als er: laß mich dir das ſagen, mein Vater er lebt, wie unſer einer, und beſſer. Er gab mir das Zeichen mit den drey Steinwuͤrfen. Jch hoͤre ſie noch von drn Dachziegeln rollen. Ein ſo muſikaliſches Rollen als ich eins in meinem Leben gehoͤrt habe. Jch will dirs auf der Laute machen. O mein Vater, deine Soͤhne ſind kluͤger, als ſich zu zerſchmettern. Gaddo.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/29
Zitationshilfe: Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/29>, abgerufen am 21.11.2024.