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Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.

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zweyter Aufzug.
Anselmo. Ein schwachdämmerndes Licht aus einem der
nächsten Häuser half ihm die erste, dann die zweyte, dann die
letzte Zinne, dann den anstoßenden Giebel erreichen --
Gaddo. Dröhnts mir doch bis in die Fußsohlen hinunter!
Anselmo. Und da ich ihn bald darauf ins Finstre verlohr,
klirrten Steine dreymal vom Dach. Jch wiederhol es mein Vater,
ich kenne keine lieblichere Melodie, als die mir diese drey Steine
machten.
Gaddo. Sie klirrten! Ein gutes lebhaftes Wort das! Jch
weiß kaum, ob ichs dem Rollen nicht vorziehe.
Ugolino. Wann geschah dies Alles?
Anselmo. Gleich, da du ihm das Deuken untersagtest.
Wer weiß, ist er nicht gar schon an der Thurmthüre! O ich muß
geschwind hinabgucken.
(geht hurtig ab)
Ugolino. (indem er sich die Hände reibt) Ein grosser Schritt!
Welch ein Jüngling! Hat der Brief an mein Weib gewirkt, und
fangen den allzukühnen jungen Menschen die schleichenden Hunde
nur nicht auf, so läßt sich was hoffen, Gherardesca! Ha, Rug-
gieri! zwey Tage lang liessest du diese Unschuldigen hungern!
Ungehenr, das die Hölle von sich ausgespieen hat! Komms über
dein Haupt, Verruchter! Diese zwey Tage sollst du mit einer
Ewigkeit büßen!
Gaddo. Küsse mich auch, mein Vater!
Ugolino. (ihn küssend) Frisch, mein Gaddo! Du bist ein
starker Knabe!
Gaddo. Kein Wunder! ich träumte einen so nahrhaften
Traum! Ach! daß ich ihn wiederträumen könnte! Jtzt hungert
mich mehr, als zuvor!
Anselmo. (keichend) Sind sie noch nicht da? ich glaubte sie
hier zu finden.
(will wieder abgehen)
Ugolino. Was ists?
Ansel-
D
zweyter Aufzug.
Anſelmo. Ein ſchwachdaͤmmerndes Licht aus einem der
naͤchſten Haͤuſer half ihm die erſte, dann die zweyte, dann die
letzte Zinne, dann den anſtoßenden Giebel erreichen —
Gaddo. Droͤhnts mir doch bis in die Fußſohlen hinunter!
Anſelmo. Und da ich ihn bald darauf ins Finſtre verlohr,
klirrten Steine dreymal vom Dach. Jch wiederhol es mein Vater,
ich kenne keine lieblichere Melodie, als die mir dieſe drey Steine
machten.
Gaddo. Sie klirrten! Ein gutes lebhaftes Wort das! Jch
weiß kaum, ob ichs dem Rollen nicht vorziehe.
Ugolino. Wann geſchah dies Alles?
Anſelmo. Gleich, da du ihm das Deuken unterſagteſt.
Wer weiß, iſt er nicht gar ſchon an der Thurmthuͤre! O ich muß
geſchwind hinabgucken.
(geht hurtig ab)
Ugolino. (indem er ſich die Haͤnde reibt) Ein groſſer Schritt!
Welch ein Juͤngling! Hat der Brief an mein Weib gewirkt, und
fangen den allzukuͤhnen jungen Menſchen die ſchleichenden Hunde
nur nicht auf, ſo laͤßt ſich was hoffen, Gherardeſca! Ha, Rug-
gieri! zwey Tage lang lieſſeſt du dieſe Unſchuldigen hungern!
Ungehenr, das die Hoͤlle von ſich ausgeſpieen hat! Komms uͤber
dein Haupt, Verruchter! Dieſe zwey Tage ſollſt du mit einer
Ewigkeit buͤßen!
Gaddo. Kuͤſſe mich auch, mein Vater!
Ugolino. (ihn kuͤſſend) Friſch, mein Gaddo! Du biſt ein
ſtarker Knabe!
Gaddo. Kein Wunder! ich traͤumte einen ſo nahrhaften
Traum! Ach! daß ich ihn wiedertraͤumen koͤnnte! Jtzt hungert
mich mehr, als zuvor!
Anſelmo. (keichend) Sind ſie noch nicht da? ich glaubte ſie
hier zu finden.
(will wieder abgehen)
Ugolino. Was iſts?
Anſel-
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[25/0031] zweyter Aufzug. Anſelmo. Ein ſchwachdaͤmmerndes Licht aus einem der naͤchſten Haͤuſer half ihm die erſte, dann die zweyte, dann die letzte Zinne, dann den anſtoßenden Giebel erreichen — Gaddo. Droͤhnts mir doch bis in die Fußſohlen hinunter! Anſelmo. Und da ich ihn bald darauf ins Finſtre verlohr, klirrten Steine dreymal vom Dach. Jch wiederhol es mein Vater, ich kenne keine lieblichere Melodie, als die mir dieſe drey Steine machten. Gaddo. Sie klirrten! Ein gutes lebhaftes Wort das! Jch weiß kaum, ob ichs dem Rollen nicht vorziehe. Ugolino. Wann geſchah dies Alles? Anſelmo. Gleich, da du ihm das Deuken unterſagteſt. Wer weiß, iſt er nicht gar ſchon an der Thurmthuͤre! O ich muß geſchwind hinabgucken. (geht hurtig ab) Ugolino. (indem er ſich die Haͤnde reibt) Ein groſſer Schritt! Welch ein Juͤngling! Hat der Brief an mein Weib gewirkt, und fangen den allzukuͤhnen jungen Menſchen die ſchleichenden Hunde nur nicht auf, ſo laͤßt ſich was hoffen, Gherardeſca! Ha, Rug- gieri! zwey Tage lang lieſſeſt du dieſe Unſchuldigen hungern! Ungehenr, das die Hoͤlle von ſich ausgeſpieen hat! Komms uͤber dein Haupt, Verruchter! Dieſe zwey Tage ſollſt du mit einer Ewigkeit buͤßen! Gaddo. Kuͤſſe mich auch, mein Vater! Ugolino. (ihn kuͤſſend) Friſch, mein Gaddo! Du biſt ein ſtarker Knabe! Gaddo. Kein Wunder! ich traͤumte einen ſo nahrhaften Traum! Ach! daß ich ihn wiedertraͤumen koͤnnte! Jtzt hungert mich mehr, als zuvor! Anſelmo. (keichend) Sind ſie noch nicht da? ich glaubte ſie hier zu finden. (will wieder abgehen) Ugolino. Was iſts? Anſel- D

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Zitationshilfe: Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/31>, abgerufen am 21.11.2024.