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Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.

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dritter Aufzug.
strafen, um Pisa hatt ichs verdient: aber womit um ihn? Jch
hielt ihn für meinen Freund; ich hätt ihn lieben können; allein
sein teuflisches Herz enthüllte sich mir zu bald. O schändliche
Eifersucht über einen dreymal schändlichern Gegenstand! Fürch-
tete er, daß ich Ruggieri seyn könnte, wenn ich Ruggieris Macht
hätte? Heimtückischer zähneblöckender Neid! Erstgebohrner der
Hölle! und Erstgefallner! Aber warum mußt ich durch den
großen Neider fallen? warum er nicht? warum reichte die Vor-
sehung ihm, unter allen Verworfensten der Schöpfung nur ihm --
nur ihm -- nur ihm -- o es verwundet jeden Gedanken meiner
Seele! -- warum nur ihm ihre Geissel?
Francesco. Um das Maaß seiner Verdammniß ganz voll
zu füllen.
Ugolino. Jst es denn wahr, himmlischer Vater! Doch
nein! nein! ich will nicht murren! Rechtfertige du die Wege der
Vorsicht.
Francesco. Jnnerhalb einer Stunde hoff ichs zu können.
Ugolino. Jnnerhalb einer Stunde! Glücklicher Francesco!
Jch sollte mich dieser Stunde freuen. Wie konnte Ruggieri den
menschlichen Gedanken fassen, deinen Tod zu beschleunigen? Es
ist wundervoll, ich gesteh es.
Francesco. Bist du stark genug, meine traurige Erzäh-
lung zu hören?
Ugolino. Jch glaube, daß ich sie hören kann.
Francesco. Jm Taumel meiner Wonne, Pisas Pflaster
noch einmal zu betreten, floh ich augenblicklich dem Pallaste mei-
ner Mutter zu. Alle Wände hallten von der Wehklage Jhrer
Frauen. Jch blieb nicht lange im Zweifel. Blind vom Schrecken
stürzte ich vor der Schwelle nieder. Als ich erwachte, sah ich
daß Zimmer voll hagerer hohnblickender Gesichter; Ruggieri war
nicht unter ihnen. Jch wollt entspringen, da ich mich umringt
sah: allein ich war von ihren Riechwassern, wie sie sie nannten
schwind-
E 3
dritter Aufzug.
ſtrafen, um Piſa hatt ichs verdient: aber womit um ihn? Jch
hielt ihn fuͤr meinen Freund; ich haͤtt ihn lieben koͤnnen; allein
ſein teufliſches Herz enthuͤllte ſich mir zu bald. O ſchaͤndliche
Eiferſucht uͤber einen dreymal ſchaͤndlichern Gegenſtand! Fuͤrch-
tete er, daß ich Ruggieri ſeyn koͤnnte, wenn ich Ruggieris Macht
haͤtte? Heimtuͤckiſcher zaͤhnebloͤckender Neid! Erſtgebohrner der
Hoͤlle! und Erſtgefallner! Aber warum mußt ich durch den
großen Neider fallen? warum er nicht? warum reichte die Vor-
ſehung ihm, unter allen Verworfenſten der Schoͤpfung nur ihm —
nur ihm — nur ihm — o es verwundet jeden Gedanken meiner
Seele! — warum nur ihm ihre Geiſſel?
Franceſco. Um das Maaß ſeiner Verdammniß ganz voll
zu fuͤllen.
Ugolino. Jſt es denn wahr, himmliſcher Vater! Doch
nein! nein! ich will nicht murren! Rechtfertige du die Wege der
Vorſicht.
Franceſco. Jnnerhalb einer Stunde hoff ichs zu koͤnnen.
Ugolino. Jnnerhalb einer Stunde! Gluͤcklicher Franceſco!
Jch ſollte mich dieſer Stunde freuen. Wie konnte Ruggieri den
menſchlichen Gedanken faſſen, deinen Tod zu beſchleunigen? Es
iſt wundervoll, ich geſteh es.
Franceſco. Biſt du ſtark genug, meine traurige Erzaͤh-
lung zu hoͤren?
Ugolino. Jch glaube, daß ich ſie hoͤren kann.
Franceſco. Jm Taumel meiner Wonne, Piſas Pflaſter
noch einmal zu betreten, floh ich augenblicklich dem Pallaſte mei-
ner Mutter zu. Alle Waͤnde hallten von der Wehklage Jhrer
Frauen. Jch blieb nicht lange im Zweifel. Blind vom Schrecken
ſtuͤrzte ich vor der Schwelle nieder. Als ich erwachte, ſah ich
daß Zimmer voll hagerer hohnblickender Geſichter; Ruggieri war
nicht unter ihnen. Jch wollt entſpringen, da ich mich umringt
ſah: allein ich war von ihren Riechwaſſern, wie ſie ſie nannten
ſchwind-
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[37/0043] dritter Aufzug. ſtrafen, um Piſa hatt ichs verdient: aber womit um ihn? Jch hielt ihn fuͤr meinen Freund; ich haͤtt ihn lieben koͤnnen; allein ſein teufliſches Herz enthuͤllte ſich mir zu bald. O ſchaͤndliche Eiferſucht uͤber einen dreymal ſchaͤndlichern Gegenſtand! Fuͤrch- tete er, daß ich Ruggieri ſeyn koͤnnte, wenn ich Ruggieris Macht haͤtte? Heimtuͤckiſcher zaͤhnebloͤckender Neid! Erſtgebohrner der Hoͤlle! und Erſtgefallner! Aber warum mußt ich durch den großen Neider fallen? warum er nicht? warum reichte die Vor- ſehung ihm, unter allen Verworfenſten der Schoͤpfung nur ihm — nur ihm — nur ihm — o es verwundet jeden Gedanken meiner Seele! — warum nur ihm ihre Geiſſel? Franceſco. Um das Maaß ſeiner Verdammniß ganz voll zu fuͤllen. Ugolino. Jſt es denn wahr, himmliſcher Vater! Doch nein! nein! ich will nicht murren! Rechtfertige du die Wege der Vorſicht. Franceſco. Jnnerhalb einer Stunde hoff ichs zu koͤnnen. Ugolino. Jnnerhalb einer Stunde! Gluͤcklicher Franceſco! Jch ſollte mich dieſer Stunde freuen. Wie konnte Ruggieri den menſchlichen Gedanken faſſen, deinen Tod zu beſchleunigen? Es iſt wundervoll, ich geſteh es. Franceſco. Biſt du ſtark genug, meine traurige Erzaͤh- lung zu hoͤren? Ugolino. Jch glaube, daß ich ſie hoͤren kann. Franceſco. Jm Taumel meiner Wonne, Piſas Pflaſter noch einmal zu betreten, floh ich augenblicklich dem Pallaſte mei- ner Mutter zu. Alle Waͤnde hallten von der Wehklage Jhrer Frauen. Jch blieb nicht lange im Zweifel. Blind vom Schrecken ſtuͤrzte ich vor der Schwelle nieder. Als ich erwachte, ſah ich daß Zimmer voll hagerer hohnblickender Geſichter; Ruggieri war nicht unter ihnen. Jch wollt entſpringen, da ich mich umringt ſah: allein ich war von ihren Riechwaſſern, wie ſie ſie nannten ſchwind- E 3

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Zitationshilfe: Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/43>, abgerufen am 24.11.2024.