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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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I. Kapitel.
Thierische Kräfte und allgemeine Regeln über ihre
Verwendung bei Arbeiten aus freier Hand.
§. 15.

Die Kräfte der Menschen und Thiere werden so wie alle andern Kräfte
durch Gewichte gemessen, welche sie heben, ziehen, schieben oder auf eine
andere Art fortbewegen können. Da für diese Kräfte von der Natur keine unveränderli-
chen Maasse und Gesetze, wie für die Schwere der Körper bestimmt sind, sondern der
stärkere Körperbau, die öftere Uibung, das Alter, das Geschlecht, und selbst der Wille,
seine Kräfte anzuwenden, bei der Kraftäusserung der Menschen einen unverkennbaren
Einfluss an den Tag legen, so ergibt sich von selbst, dass auch hier über die abso-
lute Grösse dieser Kräfte
keine allgemeine Bestimmung gegeben werden könne.
Jeder Mensch vermag nur aus seiner eigenen Erfahrung die Last zu bestimmen, welche er
zu heben und zu tragen im Stande ist, ja manche Menschen haben es in dieser Hinsicht
durch besondere Uibung dahin gebracht, dass ihre blosse Empfindung die Stelle einer
Wage vertritt, indem sie das Gewicht desjenigen, was sie heben oder tragen, oft mit
einer bewunderungswürdigen Genauigkeit anzugeben wissen.

Es gibt Menschen, welche sehr viele Kräfte besitzen. Desaguliers (Cours de Phy-
sique experimentale, Paris
1751 pag. 289) erzählt, dass die Lastträger in London oft
zwei bis drittehalb Zentner Steinkohlen oder andere Waaren auf sich nehmen, aus den
Schiffen in die nächsten Niederlagen und eben solche Lasten auch in entferntere Stadt-
quartiere tragen, dort mit denselben über Treppen in die obern Stockwerke hinaufstei-
gen, und diese Arbeiten mehrere Male in einem Tage wiederholen. Eben so sehen
wir auch in Prag Träger, welche bei verschiedenen Gelegenheiten, vorzüglich zur Zeit
des Wechsels der gemietheten Wohnungen, grosse Kleider- und Bücherschränke, mit
Wäsche gepackte Koffer und andere Mobilien von 2 bis 3 Zentner Gewicht auf sich neh-
men, aus einer Wohnung in die andere tragen, und damit gleichfalls über Stiegen in die
obern, sechs bis acht Klafter hohen Stockwerke steigen, wenn nur die Gestalt und
Grösse der Geräthschaften nicht von der Art ist, dass ihre Lage auf dem Rücken des Trä-
gers dem Gehen hinderlich wird. Dagegen sind wieder andere Menschen schwächer,
und viele sind kaum im Stande, nur einen Zentner zu heben, noch weniger auf eine
Strecke Weges fortzutragen. Alle Menschen sind in ihrer Jugend verhältnissmässig
schwach, werden bei zunehmenden Jahren stärker und im hohen Alter wieder schwächer;
das männliche Geschlecht ist gewöhnlich stärker, als das weibliche. In den heissern
Welttheilen sind die Menschen in der Regel schwächer, als in kältern Gegenden; die
Indianer kennt man als die schwächsten Menschen, während die Nordländer, z. B. die
Russen, weit stärker sind.

§. 16.

Ob zwar hieraus folgt, dass für die menschliche Kraft kein bestimmtes oder ab-
solutes Maass anzunehmen sey, sondern dass jeder seine eigenthümliche Kraft nur selbst

I. Kapitel.
Thierische Kräfte und allgemeine Regeln über ihre
Verwendung bei Arbeiten aus freier Hand.
§. 15.

Die Kräfte der Menschen und Thiere werden so wie alle andern Kräfte
durch Gewichte gemessen, welche sie heben, ziehen, schieben oder auf eine
andere Art fortbewegen können. Da für diese Kräfte von der Natur keine unveränderli-
chen Maasse und Gesetze, wie für die Schwere der Körper bestimmt sind, sondern der
stärkere Körperbau, die öftere Uibung, das Alter, das Geschlecht, und selbst der Wille,
seine Kräfte anzuwenden, bei der Kraftäusserung der Menschen einen unverkennbaren
Einfluss an den Tag legen, so ergibt sich von selbst, dass auch hier über die abso-
lute Grösse dieser Kräfte
keine allgemeine Bestimmung gegeben werden könne.
Jeder Mensch vermag nur aus seiner eigenen Erfahrung die Last zu bestimmen, welche er
zu heben und zu tragen im Stande ist, ja manche Menschen haben es in dieser Hinsicht
durch besondere Uibung dahin gebracht, dass ihre blosse Empfindung die Stelle einer
Wage vertritt, indem sie das Gewicht desjenigen, was sie heben oder tragen, oft mit
einer bewunderungswürdigen Genauigkeit anzugeben wissen.

Es gibt Menschen, welche sehr viele Kräfte besitzen. Desaguliers (Cours de Phy-
sique expérimentale, Paris
1751 pag. 289) erzählt, dass die Lastträger in London oft
zwei bis drittehalb Zentner Steinkohlen oder andere Waaren auf sich nehmen, aus den
Schiffen in die nächsten Niederlagen und eben solche Lasten auch in entferntere Stadt-
quartiere tragen, dort mit denselben über Treppen in die obern Stockwerke hinaufstei-
gen, und diese Arbeiten mehrere Male in einem Tage wiederholen. Eben so sehen
wir auch in Prag Träger, welche bei verschiedenen Gelegenheiten, vorzüglich zur Zeit
des Wechsels der gemietheten Wohnungen, grosse Kleider- und Bücherschränke, mit
Wäsche gepackte Koffer und andere Mobilien von 2 bis 3 Zentner Gewicht auf sich neh-
men, aus einer Wohnung in die andere tragen, und damit gleichfalls über Stiegen in die
obern, sechs bis acht Klafter hohen Stockwerke steigen, wenn nur die Gestalt und
Grösse der Geräthschaften nicht von der Art ist, dass ihre Lage auf dem Rücken des Trä-
gers dem Gehen hinderlich wird. Dagegen sind wieder andere Menschen schwächer,
und viele sind kaum im Stande, nur einen Zentner zu heben, noch weniger auf eine
Strecke Weges fortzutragen. Alle Menschen sind in ihrer Jugend verhältnissmässig
schwach, werden bei zunehmenden Jahren stärker und im hohen Alter wieder schwächer;
das männliche Geschlecht ist gewöhnlich stärker, als das weibliche. In den heissern
Welttheilen sind die Menschen in der Regel schwächer, als in kältern Gegenden; die
Indianer kennt man als die schwächsten Menschen, während die Nordländer, z. B. die
Russen, weit stärker sind.

§. 16.

Ob zwar hieraus folgt, dass für die menschliche Kraft kein bestimmtes oder ab-
solutes Maass anzunehmen sey, sondern dass jeder seine eigenthümliche Kraft nur selbst

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[13/0043] I. Kapitel. Thierische Kräfte und allgemeine Regeln über ihre Verwendung bei Arbeiten aus freier Hand. §. 15. Die Kräfte der Menschen und Thiere werden so wie alle andern Kräfte durch Gewichte gemessen, welche sie heben, ziehen, schieben oder auf eine andere Art fortbewegen können. Da für diese Kräfte von der Natur keine unveränderli- chen Maasse und Gesetze, wie für die Schwere der Körper bestimmt sind, sondern der stärkere Körperbau, die öftere Uibung, das Alter, das Geschlecht, und selbst der Wille, seine Kräfte anzuwenden, bei der Kraftäusserung der Menschen einen unverkennbaren Einfluss an den Tag legen, so ergibt sich von selbst, dass auch hier über die abso- lute Grösse dieser Kräfte keine allgemeine Bestimmung gegeben werden könne. Jeder Mensch vermag nur aus seiner eigenen Erfahrung die Last zu bestimmen, welche er zu heben und zu tragen im Stande ist, ja manche Menschen haben es in dieser Hinsicht durch besondere Uibung dahin gebracht, dass ihre blosse Empfindung die Stelle einer Wage vertritt, indem sie das Gewicht desjenigen, was sie heben oder tragen, oft mit einer bewunderungswürdigen Genauigkeit anzugeben wissen. Es gibt Menschen, welche sehr viele Kräfte besitzen. Desaguliers (Cours de Phy- sique expérimentale, Paris 1751 pag. 289) erzählt, dass die Lastträger in London oft zwei bis drittehalb Zentner Steinkohlen oder andere Waaren auf sich nehmen, aus den Schiffen in die nächsten Niederlagen und eben solche Lasten auch in entferntere Stadt- quartiere tragen, dort mit denselben über Treppen in die obern Stockwerke hinaufstei- gen, und diese Arbeiten mehrere Male in einem Tage wiederholen. Eben so sehen wir auch in Prag Träger, welche bei verschiedenen Gelegenheiten, vorzüglich zur Zeit des Wechsels der gemietheten Wohnungen, grosse Kleider- und Bücherschränke, mit Wäsche gepackte Koffer und andere Mobilien von 2 bis 3 Zentner Gewicht auf sich neh- men, aus einer Wohnung in die andere tragen, und damit gleichfalls über Stiegen in die obern, sechs bis acht Klafter hohen Stockwerke steigen, wenn nur die Gestalt und Grösse der Geräthschaften nicht von der Art ist, dass ihre Lage auf dem Rücken des Trä- gers dem Gehen hinderlich wird. Dagegen sind wieder andere Menschen schwächer, und viele sind kaum im Stande, nur einen Zentner zu heben, noch weniger auf eine Strecke Weges fortzutragen. Alle Menschen sind in ihrer Jugend verhältnissmässig schwach, werden bei zunehmenden Jahren stärker und im hohen Alter wieder schwächer; das männliche Geschlecht ist gewöhnlich stärker, als das weibliche. In den heissern Welttheilen sind die Menschen in der Regel schwächer, als in kältern Gegenden; die Indianer kennt man als die schwächsten Menschen, während die Nordländer, z. B. die Russen, weit stärker sind. §. 16. Ob zwar hieraus folgt, dass für die menschliche Kraft kein bestimmtes oder ab- solutes Maass anzunehmen sey, sondern dass jeder seine eigenthümliche Kraft nur selbst

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/43>, abgerufen am 23.11.2024.