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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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Geschichte der Kettenbrücken.
§. 395.

Unter die wichtigern Gegenstände der neuern Mechanik und Baukunst gehören die
Hänge- oder Kettenbrücken. Die einfachste Art dieser Brücken besteht bereits
seit Jahrhunderten in Asien und Südamerika, wo sie zur Uebersetzung von Flüssen und Ab-
gründen angewendet wurde; man spannte nämlich quer über dieselben hinreichend starke
Seile, und hing eine Brückenbahn daran, welche gewöhnlich nur für Fussgänger be-
stimmt war. Aehnliche Brücken sind laut den hierüber erhaltenen Nachrichten schon
seit langer Zeit auch in China erbaut, und daselbst auch eiserne Ketten statt der Seile
angewendet worden. Ueber den Fluss Sampoo in Hindostan soll sich, Reisebeschrei-
bungen zu Folge, eine an fünf eisernen Ketten, deren jede aus 500 Gliedern besteht,
hängende Brücke von 160 Yards Länge befinden.

In Nordamerika waren, dem Berichte des Architekten Thomas Pope zu New-York
zu Folge, im Jahre 1811 bereits 8 Kettenbrücken ausgeführt, worunter die, um das
Jahr 1809 in Massachusets über den Fluss Marimack erbaute, eine Spannung von
244 Fuss hat.

Den Engländern gehört inzwischen der Ruhm, die grössten und vollkommensten
Bauwerke dieser Art ausgeführt zu haben. Die älteste Kettenbrücke in England ist
die über den Fluss Tees angelegte Winchbrücke, welche im Jahre 1741 errichtet wur-
de; diese Brücke führt über einen beinahe 60 Fuss tiefen Abgrund, sie hat 70 Fuss
Länge, beiläufig 2 Fuss Breite, und die Ketten sind in den zu beiden Seiten vorhan-
denen Felsen befestigt.

Im Jahre 1814 machte Herr Telford in Verbindung mit den Ingenieurs Donkin,
Chapmann
und Rennie, dann Hrn. Professor Barlow eine Reihe von Versuchen mit ge-
schmiedeten Eisenstangen und Ketten, wovon die letztern eine Länge von 30 bis 900
Fuss hatten, an zwei Enden aufgehängt, und an verschiedenen Punkten derselben be-
lastet wurden. Die Resultate der Versuche, welche derselbe über die absolute Festig-
keit des Schmiedeeisens anstellte, haben wir bereits S. 256 angeführt. Die Versuche mit
belasteten Ketten finden sich umständlich in dem Werke: An Essay on the Strength
and Stress of Timber, also an Appendix on the Strength of Iron, and other Ma-
terials, by Prof. Barlow; London
1817, beschrieben. Das Resultat dieser weitläufigen
Versuche, welche hier umständlich anzuführen, der Raum nicht gestattet, lieferte dem
Berichte der oben genannten Ingenieurs zu Folge den Beweis, dass Kettenbrücken für
die grössten Spannungen ausführbar seyen, dass sie dieselbe Sicherheit wie die bisheri-
gen steinernen oder gusseisernen Brücken gewähren, und dass sie in den meisten Fällen
einen weit geringern Kostenaufwand als die letztern verursachen.

In der That gewähren Kettenbrücken in jenen Fällen, wo es wegen der Tiefe der
Abgründe, oder wegen der Tiefe und Schnelligkeit der zu übersetzenden Ströme unmög-
lich, oder doch ausserordentlich kostspielig wäre, Mittelpfeiler zu erbauen, die gröss-
ten Vortheile, indem man sie mit weit grössern Spannweiten anlegen kann, als es bei höl-
zernen, steinernen oder gusseisernen Brücken für möglich erachtet wird. Navier stellt
in seinem, über diesen Gegenstand bekannt gemachten Werke: Rapport et Memoire sur
les ponts suspendus, Paris
1823, chez Carilian Goeury, die Meinung auf, dass eine

Gerstners Mechanik. Band I. 57
Geschichte der Kettenbrücken.
§. 395.

Unter die wichtigern Gegenstände der neuern Mechanik und Baukunst gehören die
Hänge- oder Kettenbrücken. Die einfachste Art dieser Brücken besteht bereits
seit Jahrhunderten in Asien und Südamerika, wo sie zur Uebersetzung von Flüssen und Ab-
gründen angewendet wurde; man spannte nämlich quer über dieselben hinreichend starke
Seile, und hing eine Brückenbahn daran, welche gewöhnlich nur für Fussgänger be-
stimmt war. Aehnliche Brücken sind laut den hierüber erhaltenen Nachrichten schon
seit langer Zeit auch in China erbaut, und daselbst auch eiserne Ketten statt der Seile
angewendet worden. Ueber den Fluss Sampoo in Hindostan soll sich, Reisebeschrei-
bungen zu Folge, eine an fünf eisernen Ketten, deren jede aus 500 Gliedern besteht,
hängende Brücke von 160 Yards Länge befinden.

In Nordamerika waren, dem Berichte des Architekten Thomas Pope zu New-York
zu Folge, im Jahre 1811 bereits 8 Kettenbrücken ausgeführt, worunter die, um das
Jahr 1809 in Massachusets über den Fluss Marimack erbaute, eine Spannung von
244 Fuss hat.

Den Engländern gehört inzwischen der Ruhm, die grössten und vollkommensten
Bauwerke dieser Art ausgeführt zu haben. Die älteste Kettenbrücke in England ist
die über den Fluss Tees angelegte Winchbrücke, welche im Jahre 1741 errichtet wur-
de; diese Brücke führt über einen beinahe 60 Fuss tiefen Abgrund, sie hat 70 Fuss
Länge, beiläufig 2 Fuss Breite, und die Ketten sind in den zu beiden Seiten vorhan-
denen Felsen befestigt.

Im Jahre 1814 machte Herr Telford in Verbindung mit den Ingenieurs Donkin,
Chapmann
und Rennie, dann Hrn. Professor Barlow eine Reihe von Versuchen mit ge-
schmiedeten Eisenstangen und Ketten, wovon die letztern eine Länge von 30 bis 900
Fuss hatten, an zwei Enden aufgehängt, und an verschiedenen Punkten derselben be-
lastet wurden. Die Resultate der Versuche, welche derselbe über die absolute Festig-
keit des Schmiedeeisens anstellte, haben wir bereits S. 256 angeführt. Die Versuche mit
belasteten Ketten finden sich umständlich in dem Werke: An Essay on the Strength
and Stress of Timber, also an Appendix on the Strength of Iron, and other Ma-
terials, by Prof. Barlow; London
1817, beschrieben. Das Resultat dieser weitläufigen
Versuche, welche hier umständlich anzuführen, der Raum nicht gestattet, lieferte dem
Berichte der oben genannten Ingenieurs zu Folge den Beweis, dass Kettenbrücken für
die grössten Spannungen ausführbar seyen, dass sie dieselbe Sicherheit wie die bisheri-
gen steinernen oder gusseisernen Brücken gewähren, und dass sie in den meisten Fällen
einen weit geringern Kostenaufwand als die letztern verursachen.

In der That gewähren Kettenbrücken in jenen Fällen, wo es wegen der Tiefe der
Abgründe, oder wegen der Tiefe und Schnelligkeit der zu übersetzenden Ströme unmög-
lich, oder doch ausserordentlich kostspielig wäre, Mittelpfeiler zu erbauen, die gröss-
ten Vortheile, indem man sie mit weit grössern Spannweiten anlegen kann, als es bei höl-
zernen, steinernen oder gusseisernen Brücken für möglich erachtet wird. Navier stellt
in seinem, über diesen Gegenstand bekannt gemachten Werke: Rapport et Mémoire sur
les ponts suspendus, Paris
1823, chez Carilian Goeury, die Meinung auf, dass eine

Gerstners Mechanik. Band I. 57
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[449/0479] Geschichte der Kettenbrücken. §. 395. Unter die wichtigern Gegenstände der neuern Mechanik und Baukunst gehören die Hänge- oder Kettenbrücken. Die einfachste Art dieser Brücken besteht bereits seit Jahrhunderten in Asien und Südamerika, wo sie zur Uebersetzung von Flüssen und Ab- gründen angewendet wurde; man spannte nämlich quer über dieselben hinreichend starke Seile, und hing eine Brückenbahn daran, welche gewöhnlich nur für Fussgänger be- stimmt war. Aehnliche Brücken sind laut den hierüber erhaltenen Nachrichten schon seit langer Zeit auch in China erbaut, und daselbst auch eiserne Ketten statt der Seile angewendet worden. Ueber den Fluss Sampoo in Hindostan soll sich, Reisebeschrei- bungen zu Folge, eine an fünf eisernen Ketten, deren jede aus 500 Gliedern besteht, hängende Brücke von 160 Yards Länge befinden. In Nordamerika waren, dem Berichte des Architekten Thomas Pope zu New-York zu Folge, im Jahre 1811 bereits 8 Kettenbrücken ausgeführt, worunter die, um das Jahr 1809 in Massachusets über den Fluss Marimack erbaute, eine Spannung von 244 Fuss hat. Den Engländern gehört inzwischen der Ruhm, die grössten und vollkommensten Bauwerke dieser Art ausgeführt zu haben. Die älteste Kettenbrücke in England ist die über den Fluss Tees angelegte Winchbrücke, welche im Jahre 1741 errichtet wur- de; diese Brücke führt über einen beinahe 60 Fuss tiefen Abgrund, sie hat 70 Fuss Länge, beiläufig 2 Fuss Breite, und die Ketten sind in den zu beiden Seiten vorhan- denen Felsen befestigt. Im Jahre 1814 machte Herr Telford in Verbindung mit den Ingenieurs Donkin, Chapmann und Rennie, dann Hrn. Professor Barlow eine Reihe von Versuchen mit ge- schmiedeten Eisenstangen und Ketten, wovon die letztern eine Länge von 30 bis 900 Fuss hatten, an zwei Enden aufgehängt, und an verschiedenen Punkten derselben be- lastet wurden. Die Resultate der Versuche, welche derselbe über die absolute Festig- keit des Schmiedeeisens anstellte, haben wir bereits S. 256 angeführt. Die Versuche mit belasteten Ketten finden sich umständlich in dem Werke: An Essay on the Strength and Stress of Timber, also an Appendix on the Strength of Iron, and other Ma- terials, by Prof. Barlow; London 1817, beschrieben. Das Resultat dieser weitläufigen Versuche, welche hier umständlich anzuführen, der Raum nicht gestattet, lieferte dem Berichte der oben genannten Ingenieurs zu Folge den Beweis, dass Kettenbrücken für die grössten Spannungen ausführbar seyen, dass sie dieselbe Sicherheit wie die bisheri- gen steinernen oder gusseisernen Brücken gewähren, und dass sie in den meisten Fällen einen weit geringern Kostenaufwand als die letztern verursachen. In der That gewähren Kettenbrücken in jenen Fällen, wo es wegen der Tiefe der Abgründe, oder wegen der Tiefe und Schnelligkeit der zu übersetzenden Ströme unmög- lich, oder doch ausserordentlich kostspielig wäre, Mittelpfeiler zu erbauen, die gröss- ten Vortheile, indem man sie mit weit grössern Spannweiten anlegen kann, als es bei höl- zernen, steinernen oder gusseisernen Brücken für möglich erachtet wird. Navier stellt in seinem, über diesen Gegenstand bekannt gemachten Werke: Rapport et Mémoire sur les ponts suspendus, Paris 1823, chez Carilian Goeury, die Meinung auf, dass eine Gerstners Mechanik. Band I. 57

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/479>, abgerufen am 22.11.2024.