Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie steht es denn nun um die drei Stücke,
welche wir früherhin als wesentliche Bestandtheile
der Schulzucht mußten gelten lassen, nämlich die
Gemeinsamkeit, den Gehorsam, die Selbstthätigkeit:
sollen wir sie beibehalten oder aufgeben? Letzteres
überhaupt zu thun ist nicht möglich, denn wir haben
sie als nöthig bemerkt bei einer ganz engen Vor-
stellung von der Schule. Jndeß fragt sich doch, ob
wir sie beibehalten können als Hauptstücke der Disci-
plin? was nur dann geschehen darf, wenn die Schule
dadurch nicht in Widerspruch kommt mit dem Leben
des Kindes in der Familie, welches sie fortsetzen,

schule geschehen, einmal weil aus ihr viele Zöglinge in das
wirkliche Leben übergehen, dann weil auch darin der Grund
gelegt werden muß für die höheren Schulen, die mehr nach der
Seite der Lehre als der Erziehung ihrer Natur nach hinneigen.
Dies wäre unstreitig ein Jrrthum. Man gebe der Disciplin ihr
volles Recht; man gebe aber dem Unterricht auch das seinige!
Jch bin nicht einmal für die Beschränkung der Lehrgegenstände.
Will man von denselben alles abschneiden, was nicht augenschein-
lich nothwendig und unentbehrlich ist: was bleibt denn am Ende
übrig? Vieles muß ja der menschliche Geist haben, was bei sei-
ner zeitlichen Stellung nicht unmittelbar wirksam ist; er soll es
auch haben, sonst büßt er seine höchste Würde ein und seine
reinste Erquickung. Wohl also denjenigen, die durch den Unter-
richt der Schule in ein schönes, reiches, friedsames Gebiet ge-
führt sind, dessen helles Bild sie unverletzbar in der Seele tra-
gen, wenn sie hinauskommen in die trübe Welt! -- Nur das
kann man verlangen, daß aller Unterricht (besonders in den
Volksschulen) methodisch sei; denn sonst erzieht er nicht. Wie-
derum muß aber auch die Schulzucht nirgend blos mechanisch
sein; sie glättet dann nur von außen und läßt inwendig den
Menschen roh. Geschieht das, so bleibt eins mit dem andern in
innigster Verbindung, und keines von beiden wird wahrlich dann
eine übergroße Ausdehnung bekommen.
2 *

Wie ſteht es denn nun um die drei Stuͤcke,
welche wir fruͤherhin als weſentliche Beſtandtheile
der Schulzucht mußten gelten laſſen, naͤmlich die
Gemeinſamkeit, den Gehorſam, die Selbſtthaͤtigkeit:
ſollen wir ſie beibehalten oder aufgeben? Letzteres
uͤberhaupt zu thun iſt nicht moͤglich, denn wir haben
ſie als noͤthig bemerkt bei einer ganz engen Vor-
ſtellung von der Schule. Jndeß fragt ſich doch, ob
wir ſie beibehalten koͤnnen als Hauptſtuͤcke der Diſci-
plin? was nur dann geſchehen darf, wenn die Schule
dadurch nicht in Widerſpruch kommt mit dem Leben
des Kindes in der Familie, welches ſie fortſetzen,

ſchule geſchehen, einmal weil aus ihr viele Zoͤglinge in das
wirkliche Leben uͤbergehen, dann weil auch darin der Grund
gelegt werden muß fuͤr die hoͤheren Schulen, die mehr nach der
Seite der Lehre als der Erziehung ihrer Natur nach hinneigen.
Dies waͤre unſtreitig ein Jrrthum. Man gebe der Diſciplin ihr
volles Recht; man gebe aber dem Unterricht auch das ſeinige!
Jch bin nicht einmal fuͤr die Beſchraͤnkung der Lehrgegenſtaͤnde.
Will man von denſelben alles abſchneiden, was nicht augenſchein-
lich nothwendig und unentbehrlich iſt: was bleibt denn am Ende
uͤbrig? Vieles muß ja der menſchliche Geiſt haben, was bei ſei-
ner zeitlichen Stellung nicht unmittelbar wirkſam iſt; er ſoll es
auch haben, ſonſt buͤßt er ſeine hoͤchſte Wuͤrde ein und ſeine
reinſte Erquickung. Wohl alſo denjenigen, die durch den Unter-
richt der Schule in ein ſchoͤnes, reiches, friedſames Gebiet ge-
fuͤhrt ſind, deſſen helles Bild ſie unverletzbar in der Seele tra-
gen, wenn ſie hinauskommen in die truͤbe Welt! — Nur das
kann man verlangen, daß aller Unterricht (beſonders in den
Volksſchulen) methodiſch ſei; denn ſonſt erzieht er nicht. Wie-
derum muß aber auch die Schulzucht nirgend blos mechaniſch
ſein; ſie glaͤttet dann nur von außen und laͤßt inwendig den
Menſchen roh. Geſchieht das, ſo bleibt eins mit dem andern in
innigſter Verbindung, und keines von beiden wird wahrlich dann
eine uͤbergroße Ausdehnung bekommen.
2 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0027" n="19"/>
        <p>Wie &#x017F;teht es denn nun um die drei Stu&#x0364;cke,<lb/>
welche wir fru&#x0364;herhin als we&#x017F;entliche Be&#x017F;tandtheile<lb/>
der Schulzucht mußten gelten la&#x017F;&#x017F;en, na&#x0364;mlich die<lb/>
Gemein&#x017F;amkeit, den Gehor&#x017F;am, die Selb&#x017F;ttha&#x0364;tigkeit:<lb/>
&#x017F;ollen wir &#x017F;ie beibehalten oder aufgeben? Letzteres<lb/>
u&#x0364;berhaupt zu thun i&#x017F;t nicht mo&#x0364;glich, denn wir haben<lb/>
&#x017F;ie als no&#x0364;thig bemerkt bei einer ganz engen Vor-<lb/>
&#x017F;tellung von der Schule. Jndeß fragt &#x017F;ich doch, ob<lb/>
wir &#x017F;ie beibehalten ko&#x0364;nnen als Haupt&#x017F;tu&#x0364;cke der Di&#x017F;ci-<lb/>
plin? was nur dann ge&#x017F;chehen darf, wenn die Schule<lb/>
dadurch nicht in Wider&#x017F;pruch kommt mit dem Leben<lb/>
des Kindes in der Familie, welches &#x017F;ie fort&#x017F;etzen,<lb/><note xml:id="a02" prev="#a01" place="foot" n="*)">&#x017F;chule ge&#x017F;chehen, einmal weil aus ihr viele Zo&#x0364;glinge in das<lb/>
wirkliche Leben u&#x0364;bergehen, dann weil auch darin der Grund<lb/>
gelegt werden muß fu&#x0364;r die ho&#x0364;heren Schulen, die mehr nach der<lb/>
Seite der Lehre als der Erziehung ihrer Natur nach hinneigen.<lb/>
Dies wa&#x0364;re un&#x017F;treitig ein Jrrthum. Man gebe der Di&#x017F;ciplin ihr<lb/>
volles Recht; man gebe aber dem Unterricht auch das &#x017F;einige!<lb/>
Jch bin nicht einmal fu&#x0364;r die Be&#x017F;chra&#x0364;nkung der Lehrgegen&#x017F;ta&#x0364;nde.<lb/>
Will man von den&#x017F;elben alles ab&#x017F;chneiden, was nicht augen&#x017F;chein-<lb/>
lich nothwendig und unentbehrlich i&#x017F;t: was bleibt denn am Ende<lb/>
u&#x0364;brig? Vieles muß ja der men&#x017F;chliche Gei&#x017F;t haben, was bei &#x017F;ei-<lb/>
ner zeitlichen Stellung nicht unmittelbar wirk&#x017F;am i&#x017F;t; er &#x017F;oll es<lb/>
auch haben, &#x017F;on&#x017F;t bu&#x0364;ßt er &#x017F;eine ho&#x0364;ch&#x017F;te Wu&#x0364;rde ein und &#x017F;eine<lb/>
rein&#x017F;te Erquickung. Wohl al&#x017F;o denjenigen, die durch den Unter-<lb/>
richt der Schule in ein &#x017F;cho&#x0364;nes, reiches, fried&#x017F;ames Gebiet ge-<lb/>
fu&#x0364;hrt &#x017F;ind, de&#x017F;&#x017F;en helles Bild &#x017F;ie unverletzbar in der Seele tra-<lb/>
gen, wenn &#x017F;ie hinauskommen in die tru&#x0364;be Welt! &#x2014; Nur das<lb/>
kann man verlangen, daß aller Unterricht (be&#x017F;onders in den<lb/>
Volks&#x017F;chulen) methodi&#x017F;ch &#x017F;ei; denn &#x017F;on&#x017F;t erzieht er nicht. Wie-<lb/>
derum muß aber auch die Schulzucht nirgend blos mechani&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ein; &#x017F;ie gla&#x0364;ttet dann nur von außen und la&#x0364;ßt inwendig den<lb/>
Men&#x017F;chen roh. Ge&#x017F;chieht das, &#x017F;o bleibt eins mit dem andern in<lb/>
innig&#x017F;ter Verbindung, und keines von beiden wird wahrlich dann<lb/>
eine u&#x0364;bergroße Ausdehnung bekommen.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0027] Wie ſteht es denn nun um die drei Stuͤcke, welche wir fruͤherhin als weſentliche Beſtandtheile der Schulzucht mußten gelten laſſen, naͤmlich die Gemeinſamkeit, den Gehorſam, die Selbſtthaͤtigkeit: ſollen wir ſie beibehalten oder aufgeben? Letzteres uͤberhaupt zu thun iſt nicht moͤglich, denn wir haben ſie als noͤthig bemerkt bei einer ganz engen Vor- ſtellung von der Schule. Jndeß fragt ſich doch, ob wir ſie beibehalten koͤnnen als Hauptſtuͤcke der Diſci- plin? was nur dann geſchehen darf, wenn die Schule dadurch nicht in Widerſpruch kommt mit dem Leben des Kindes in der Familie, welches ſie fortſetzen, *) *) ſchule geſchehen, einmal weil aus ihr viele Zoͤglinge in das wirkliche Leben uͤbergehen, dann weil auch darin der Grund gelegt werden muß fuͤr die hoͤheren Schulen, die mehr nach der Seite der Lehre als der Erziehung ihrer Natur nach hinneigen. Dies waͤre unſtreitig ein Jrrthum. Man gebe der Diſciplin ihr volles Recht; man gebe aber dem Unterricht auch das ſeinige! Jch bin nicht einmal fuͤr die Beſchraͤnkung der Lehrgegenſtaͤnde. Will man von denſelben alles abſchneiden, was nicht augenſchein- lich nothwendig und unentbehrlich iſt: was bleibt denn am Ende uͤbrig? Vieles muß ja der menſchliche Geiſt haben, was bei ſei- ner zeitlichen Stellung nicht unmittelbar wirkſam iſt; er ſoll es auch haben, ſonſt buͤßt er ſeine hoͤchſte Wuͤrde ein und ſeine reinſte Erquickung. Wohl alſo denjenigen, die durch den Unter- richt der Schule in ein ſchoͤnes, reiches, friedſames Gebiet ge- fuͤhrt ſind, deſſen helles Bild ſie unverletzbar in der Seele tra- gen, wenn ſie hinauskommen in die truͤbe Welt! — Nur das kann man verlangen, daß aller Unterricht (beſonders in den Volksſchulen) methodiſch ſei; denn ſonſt erzieht er nicht. Wie- derum muß aber auch die Schulzucht nirgend blos mechaniſch ſein; ſie glaͤttet dann nur von außen und laͤßt inwendig den Menſchen roh. Geſchieht das, ſo bleibt eins mit dem andern in innigſter Verbindung, und keines von beiden wird wahrlich dann eine uͤbergroße Ausdehnung bekommen. 2 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826/27
Zitationshilfe: Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826/27>, abgerufen am 23.11.2024.