Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826.sie auch am ersten, wie bewiesen ist. Es wird jedoch ren. Sollte er deshalb auch Aufmerksamkeit als das erste Stück
des Gehorsams setzen, so kann ich ihm darin nicht beistimmen aus den schon dargelegten Gründen. Jndeß sei es erlaubt jener Ansicht Widersprüche aufzudecken besonders um mancher jungen Lehrer willen, welche ihr erstaunenswürdigen Beifall geben. Jch nehme wahrlich auch in den Kindern gesunden Menschenverstand an und guten Willen. Selbst die strengste religiöse Lehre von dem menschlichen Verderben, wenn sie zugleich alle Menschen unter die göttliche Barmherzigkeit und Gnade beschließt, kann ja nicht umhin jene Gaben, wie sie sich bei den Kindern finden, (und finden müssen, soll anders aus ihnen etwas werden zur Ehre Gottes,) anzuerkennen wenn nicht als natürliches Vermögen so doch als Wirkung jener mit dem Leben des Menschen selbst ins Leben tretenden Gnade. Aber was sind sie denn anders als Fähigkeit? Hätten die Kinder sie schon als Fertigkeit, warum vollbringen sie nicht von Anfang an, ungelehrt und ungezogen, das Gute und dasselbe unausgesetzt? Warum muß man ihnen, um nur auf unsern Gegenstand zu sehen, gebieten stille zu sein? Und wie zeigt uns denn überhaupt die Erfahrung, daß wir uns nicht auf ihren Verstand und Willen verlassen können, daß jener sich zu dem wendet, was wir verkehrt, dieser zu dem, was wir böse nennen? Oder nennen wir es nur so, und ist es für das Kind eigentlich nicht auch verkehrt und böse: woher kommt denn solche seltsame, unglückselige Verwirrung, daß in dem jugendlichen Alter gesunder Menschenverstand und guter Wille ein anderer ist und bei den Erwachsenen wieder ein anderer? Jst diese Verwirrung der Begriffe nur ein angeerbter Schaden: warum erhält sie sich doch? Warum bringen die Kinder, wenn sie erwachsen, es nicht dahin, daß alles recht heiße, was kindlicher Wille begehrt? warum vielmehr verfahren sie wieder nach der Weise ihrer Eltern und geben sich alle Mühe den Verstand zu mehren, den Willen zu reinigen an ihren Kindern? -- Jst aber so die Erfahrung wahr, daß Kinder ungeachtet ihrer Anlage zu rechtem Verstand und Willen doch Verkehrtes und Böses annehmen, haben sie es nicht durch andere Triebe? Wäre es nur durch Gewöhnung und Bei- spiel, wie haben sie diese doch können annehmen? oder warum bleiben sie, sich selbst überlassen, in derselben Unart und werfen ſie auch am erſten, wie bewieſen iſt. Es wird jedoch ren. Sollte er deshalb auch Aufmerkſamkeit als das erſte Stuͤck
des Gehorſams ſetzen, ſo kann ich ihm darin nicht beiſtimmen aus den ſchon dargelegten Gruͤnden. Jndeß ſei es erlaubt jener Anſicht Widerſpruͤche aufzudecken beſonders um mancher jungen Lehrer willen, welche ihr erſtaunenswuͤrdigen Beifall geben. Jch nehme wahrlich auch in den Kindern geſunden Menſchenverſtand an und guten Willen. Selbſt die ſtrengſte religioͤſe Lehre von dem menſchlichen Verderben, wenn ſie zugleich alle Menſchen unter die goͤttliche Barmherzigkeit und Gnade beſchließt, kann ja nicht umhin jene Gaben, wie ſie ſich bei den Kindern finden, (und finden muͤſſen, ſoll anders aus ihnen etwas werden zur Ehre Gottes,) anzuerkennen wenn nicht als natuͤrliches Vermoͤgen ſo doch als Wirkung jener mit dem Leben des Menſchen ſelbſt ins Leben tretenden Gnade. Aber was ſind ſie denn anders als Faͤhigkeit? Haͤtten die Kinder ſie ſchon als Fertigkeit, warum vollbringen ſie nicht von Anfang an, ungelehrt und ungezogen, das Gute und daſſelbe unausgeſetzt? Warum muß man ihnen, um nur auf unſern Gegenſtand zu ſehen, gebieten ſtille zu ſein? Und wie zeigt uns denn uͤberhaupt die Erfahrung, daß wir uns nicht auf ihren Verſtand und Willen verlaſſen koͤnnen, daß jener ſich zu dem wendet, was wir verkehrt, dieſer zu dem, was wir boͤſe nennen? Oder nennen wir es nur ſo, und iſt es fuͤr das Kind eigentlich nicht auch verkehrt und boͤſe: woher kommt denn ſolche ſeltſame, ungluͤckſelige Verwirrung, daß in dem jugendlichen Alter geſunder Menſchenverſtand und guter Wille ein anderer iſt und bei den Erwachſenen wieder ein anderer? Jſt dieſe Verwirrung der Begriffe nur ein angeerbter Schaden: warum erhaͤlt ſie ſich doch? Warum bringen die Kinder, wenn ſie erwachſen, es nicht dahin, daß alles recht heiße, was kindlicher Wille begehrt? warum vielmehr verfahren ſie wieder nach der Weiſe ihrer Eltern und geben ſich alle Muͤhe den Verſtand zu mehren, den Willen zu reinigen an ihren Kindern? — Jſt aber ſo die Erfahrung wahr, daß Kinder ungeachtet ihrer Anlage zu rechtem Verſtand und Willen doch Verkehrtes und Boͤſes annehmen, haben ſie es nicht durch andere Triebe? Waͤre es nur durch Gewoͤhnung und Bei- ſpiel, wie haben ſie dieſe doch koͤnnen annehmen? oder warum bleiben ſie, ſich ſelbſt uͤberlaſſen, in derſelben Unart und werfen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0039" n="31"/> ſie auch am erſten, wie bewieſen iſt. Es wird jedoch<lb/> auch nicht mehr erreicht werden als Puͤnktlichkeit.<lb/><note next="#a07" xml:id="a06" prev="#a05" place="foot" n="*)">ren. 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ſie auch am erſten, wie bewieſen iſt. Es wird jedoch
auch nicht mehr erreicht werden als Puͤnktlichkeit.
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*) ren. Sollte er deshalb auch Aufmerkſamkeit als das erſte Stuͤck
des Gehorſams ſetzen, ſo kann ich ihm darin nicht beiſtimmen
aus den ſchon dargelegten Gruͤnden. Jndeß ſei es erlaubt jener
Anſicht Widerſpruͤche aufzudecken beſonders um mancher jungen
Lehrer willen, welche ihr erſtaunenswuͤrdigen Beifall geben. Jch
nehme wahrlich auch in den Kindern geſunden Menſchenverſtand
an und guten Willen. Selbſt die ſtrengſte religioͤſe Lehre von
dem menſchlichen Verderben, wenn ſie zugleich alle Menſchen
unter die goͤttliche Barmherzigkeit und Gnade beſchließt, kann ja
nicht umhin jene Gaben, wie ſie ſich bei den Kindern finden,
(und finden muͤſſen, ſoll anders aus ihnen etwas werden zur Ehre
Gottes,) anzuerkennen wenn nicht als natuͤrliches Vermoͤgen ſo
doch als Wirkung jener mit dem Leben des Menſchen ſelbſt ins
Leben tretenden Gnade. Aber was ſind ſie denn anders als
Faͤhigkeit? Haͤtten die Kinder ſie ſchon als Fertigkeit, warum
vollbringen ſie nicht von Anfang an, ungelehrt und ungezogen,
das Gute und daſſelbe unausgeſetzt? Warum muß man ihnen,
um nur auf unſern Gegenſtand zu ſehen, gebieten ſtille zu ſein?
Und wie zeigt uns denn uͤberhaupt die Erfahrung, daß wir uns
nicht auf ihren Verſtand und Willen verlaſſen koͤnnen, daß jener
ſich zu dem wendet, was wir verkehrt, dieſer zu dem, was wir
boͤſe nennen? Oder nennen wir es nur ſo, und iſt es fuͤr das Kind
eigentlich nicht auch verkehrt und boͤſe: woher kommt denn ſolche
ſeltſame, ungluͤckſelige Verwirrung, daß in dem jugendlichen Alter
geſunder Menſchenverſtand und guter Wille ein anderer iſt und
bei den Erwachſenen wieder ein anderer? Jſt dieſe Verwirrung
der Begriffe nur ein angeerbter Schaden: warum erhaͤlt ſie ſich
doch? Warum bringen die Kinder, wenn ſie erwachſen, es nicht
dahin, daß alles recht heiße, was kindlicher Wille begehrt? warum
vielmehr verfahren ſie wieder nach der Weiſe ihrer Eltern und
geben ſich alle Muͤhe den Verſtand zu mehren, den Willen zu
reinigen an ihren Kindern? — Jſt aber ſo die Erfahrung wahr,
daß Kinder ungeachtet ihrer Anlage zu rechtem Verſtand und
Willen doch Verkehrtes und Boͤſes annehmen, haben ſie es nicht
durch andere Triebe? Waͤre es nur durch Gewoͤhnung und Bei-
ſpiel, wie haben ſie dieſe doch koͤnnen annehmen? oder warum
bleiben ſie, ſich ſelbſt uͤberlaſſen, in derſelben Unart und werfen
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