Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Welch eine bunte Blume wieget sich dort an
der Quelle? So schön und glänzend von Farbe - -
doch nein! angenehmer Betrug! ein Schmetter-
ling flieget empor, und lässt das wankende Gräs-
chen zurük. Izt rauscht ein Würmchen, schwarz
beharnischt auf glänzend rothen Flügeln vorbey,
und sezt sich, zu seinem Gatten vielleicht, auf die
nahe Gloken-Blume. Rausche sanft, du rieselnde
Quelle, erschüttert nicht die Blumen und das Gras
ihr Zephirs! Trieg ich mich? oder hör ich den
zärtesten Gesang? Ja sie singen, aber unser Ohr ist
zu stumpf, das feine Concert zu vernehmen, so
wie unser Auge, die zarten Züge der Bildung zu
sehn. Was für ein liebliches Sumsen schwärmt
um mich her? Warum wanken die Blumen so?
Ein Schwarm kleiner Bienen ists; sie flogen frö-
lich aus, aus ihrer fernen Wohnstadt, und zer-
streuten sich auf den Fluren und in den fernen
Gärten; aufmerksam wählend sammeln sie die gelbe
Beute, und kehren zurük ihren Staat zu mehren,

H 2

Welch eine bunte Blume wieget ſich dort an
der Quelle? So ſchön und glänzend von Farbe ‒ ‒
doch nein! angenehmer Betrug! ein Schmetter-
ling flieget empor, und läſst das wankende Gräs-
chen zurük. Izt rauſcht ein Würmchen, ſchwarz
beharniſcht auf glänzend rothen Flügeln vorbey,
und ſezt ſich, zu ſeinem Gatten vielleicht, auf die
nahe Gloken-Blume. Rauſche ſanft, du rieſelnde
Quelle, erſchüttert nicht die Blumen und das Gras
ihr Zephirs! Trieg ich mich? oder hör ich den
zärteſten Geſang? Ja ſie ſingen, aber unſer Ohr iſt
zu ſtumpf, das feine Concert zu vernehmen, ſo
wie unſer Auge, die zarten Züge der Bildung zu
ſehn. Was für ein liebliches Sumſen ſchwärmt
um mich her? Warum wanken die Blumen ſo?
Ein Schwarm kleiner Bienen iſts; ſie flogen frö-
lich aus, aus ihrer fernen Wohnſtadt, und zer-
ſtreuten ſich auf den Fluren und in den fernen
Gärten; aufmerkſam wählend ſammeln ſie die gelbe
Beute, und kehren zurük ihren Staat zu mehren,

H 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0120" n="115"/>
        <p>Welch eine bunte Blume wieget &#x017F;ich dort an<lb/>
der Quelle? So &#x017F;chön und glänzend von Farbe &#x2012; &#x2012;<lb/>
doch nein! angenehmer Betrug! ein Schmetter-<lb/>
ling flieget empor, und lä&#x017F;st das wankende Gräs-<lb/>
chen zurük. Izt rau&#x017F;cht ein Würmchen, &#x017F;chwarz<lb/>
beharni&#x017F;cht auf glänzend rothen Flügeln vorbey,<lb/>
und &#x017F;ezt &#x017F;ich, zu &#x017F;einem Gatten vielleicht, auf die<lb/>
nahe Gloken-Blume. Rau&#x017F;che &#x017F;anft, du rie&#x017F;elnde<lb/>
Quelle, er&#x017F;chüttert nicht die Blumen und das Gras<lb/>
ihr Zephirs! Trieg ich mich? oder hör ich den<lb/>
zärte&#x017F;ten Ge&#x017F;ang? Ja &#x017F;ie &#x017F;ingen, aber un&#x017F;er Ohr i&#x017F;t<lb/>
zu &#x017F;tumpf, das feine Concert zu vernehmen, &#x017F;o<lb/>
wie un&#x017F;er Auge, die zarten Züge der Bildung zu<lb/>
&#x017F;ehn. Was für ein liebliches Sum&#x017F;en &#x017F;chwärmt<lb/>
um mich her? Warum wanken die Blumen &#x017F;o?<lb/>
Ein Schwarm kleiner Bienen i&#x017F;ts; &#x017F;ie flogen frö-<lb/>
lich aus, aus ihrer fernen Wohn&#x017F;tadt, und zer-<lb/>
&#x017F;treuten &#x017F;ich auf den Fluren und in den fernen<lb/>
Gärten; aufmerk&#x017F;am wählend &#x017F;ammeln &#x017F;ie die gelbe<lb/>
Beute, und kehren zurük ihren Staat zu mehren,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0120] Welch eine bunte Blume wieget ſich dort an der Quelle? So ſchön und glänzend von Farbe ‒ ‒ doch nein! angenehmer Betrug! ein Schmetter- ling flieget empor, und läſst das wankende Gräs- chen zurük. Izt rauſcht ein Würmchen, ſchwarz beharniſcht auf glänzend rothen Flügeln vorbey, und ſezt ſich, zu ſeinem Gatten vielleicht, auf die nahe Gloken-Blume. Rauſche ſanft, du rieſelnde Quelle, erſchüttert nicht die Blumen und das Gras ihr Zephirs! Trieg ich mich? oder hör ich den zärteſten Geſang? Ja ſie ſingen, aber unſer Ohr iſt zu ſtumpf, das feine Concert zu vernehmen, ſo wie unſer Auge, die zarten Züge der Bildung zu ſehn. Was für ein liebliches Sumſen ſchwärmt um mich her? Warum wanken die Blumen ſo? Ein Schwarm kleiner Bienen iſts; ſie flogen frö- lich aus, aus ihrer fernen Wohnſtadt, und zer- ſtreuten ſich auf den Fluren und in den fernen Gärten; aufmerkſam wählend ſammeln ſie die gelbe Beute, und kehren zurük ihren Staat zu mehren, H 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/120
Zitationshilfe: [Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/120>, abgerufen am 24.11.2024.