gewiesenen Armen das bethränte Brod rauben. Weit umher ist der arme Landmann dein gepei- nigter Schuldner; nur selten steigt der dünne Rauch von deinem umgestürzten Schorstein auf, denn solltest du nicht hungern, da du deinen Reich- thum dem weinenden Armen raubest!
Aber wohin reisst mich ungestümer Verdruss? Kommt zurük, angenehme Bilder, kommt zurük und heitert mein Gemüth auf; führet mich wie- der dahin, wo mein kleines Landhaus steht. Der fromme Landmann sey mein Nachbar, in seiner braunen beschatteten Hütte; liebreiche Hülfe und freundschaftlicher Rath machen dann einet dem andern zum freundlich lächelnden Nachbar; denn, was ist seliger als geliebet zu seyn, als der frohe Gruss des Manns, dem wir Gutes gethan?
Wenn den, der in der Stadt wohnet, unruhi- ges Getümmel aus dem Schlummer wekt, wenn die nachbarliche Mauer der Morgen-Sonne lieb- liche Blike verwehrt, und die schöne Scene des
gewieſenen Armen das bethränte Brod rauben. Weit umher iſt der arme Landmann dein gepei- nigter Schuldner; nur ſelten ſteigt der dünne Rauch von deinem umgeſtürzten Schorſtein auf, denn ſollteſt du nicht hungern, da du deinen Reich- thum dem weinenden Armen raubeſt!
Aber wohin reiſst mich ungeſtümer Verdruſs? Kommt zurük, angenehme Bilder, kommt zurük und heitert mein Gemüth auf; führet mich wie- der dahin, wo mein kleines Landhaus ſteht. Der fromme Landmann ſey mein Nachbar, in ſeiner braunen beſchatteten Hütte; liebreiche Hülfe und freundſchaftlicher Rath machen dann einet dem andern zum freundlich lächelnden Nachbar; denn, was iſt ſeliger als geliebet zu ſeyn, als der frohe Gruſs des Manns, dem wir Gutes gethan?
Wenn den, der in der Stadt wohnet, unruhi- ges Getümmel aus dem Schlummer wekt, wenn die nachbarliche Mauer der Morgen-Sonne lieb- liche Blike verwehrt, und die ſchöne Scene des
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gewieſenen Armen das bethränte Brod rauben.
Weit umher iſt der arme Landmann dein gepei-
nigter Schuldner; nur ſelten ſteigt der dünne
Rauch von deinem umgeſtürzten Schorſtein auf,
denn ſollteſt du nicht hungern, da du deinen Reich-
thum dem weinenden Armen raubeſt!
Aber wohin reiſst mich ungeſtümer Verdruſs?
Kommt zurük, angenehme Bilder, kommt zurük
und heitert mein Gemüth auf; führet mich wie-
der dahin, wo mein kleines Landhaus ſteht. Der
fromme Landmann ſey mein Nachbar, in ſeiner
braunen beſchatteten Hütte; liebreiche Hülfe
und freundſchaftlicher Rath machen dann einet
dem andern zum freundlich lächelnden Nachbar;
denn, was iſt ſeliger als geliebet zu ſeyn, als der
frohe Gruſs des Manns, dem wir Gutes gethan?
Wenn den, der in der Stadt wohnet, unruhi-
ges Getümmel aus dem Schlummer wekt, wenn
die nachbarliche Mauer der Morgen-Sonne lieb-
liche Blike verwehrt, und die ſchöne Scene des
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[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/130>, abgerufen am 18.12.2024.
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