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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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geringste gebrauchet, als Anfangs ohngefähr 6 Wochen die
Erde von dem Grabe des Monsieur Paris, welche sie in Waßer
von seinem Brunnen, daraus er zu trincken pflegen,
eingeweichet, und sey sie in ihren Schmertzen dadurch allemal
soulagiret worden, ob ihr schon sonst das geringste Stäub-
gen, wenn es in die Wunde gefallen, die gröste Empfind-
ung verursachet. Nach consumirter Erde habe sie mit dem
Waßer allein fortgefahren, und ihren Schaden täglich
damit genetzet, iedoch ohne weitern Nutzen, als daß
ein weißer erhobener Circul, ohngefähr eines Bind-
fadens dicke, sich rund um die Wunde gesetzet, und ver-
muthlich das weitere um sich freßen gehindert, im übri-
gen sey die Wunde selbst bis den letzten December 1734
in vorigem Stande verblieben, daß nehmlich in dem
rohen Fleisch viele incrustirte boutons und darunter
garstige materie gewesen, außer daß etwan besagten
Tages die inflammation etwas geringer, als sonsten,
geschienen. Eben diesen Tag sey eine gute Freundin
zu ihr kommen, und habe ihr ein höltzern crucifix ge-
bracht, welches ehemals dem Monsieur Paris zugehöret, davon
sie, mit Bewilligung der Besitzerin, ein Stückgen
herunter geschnitten /: welches sie noch ietzo in einer
silernen Capsul am Halse träget :/ solches in ein
sauber Papier gewickelt, Abends auf ihre Wunde ge-
leget, die Cornette feste zugesteckt, und sey unter hertzli-
chem Gebet zu Gott eingeschlaffen. Als sie den 1 Januar
1735 früh aufgestanden, und ihre Cornette geöffnet, habe
sie mit Erstaunen ihren bösen Backen just accurat
in dem Zustande gefunden, wie wir ihn ietzo vor uns
sähen, und sey weder von dem erhabenen Circul, noch
der Kruste, noch der Materie oder einigem Blut das
allergeringste weder auf ihrem Backen, noch an ihrer
Cornette zu spühren gewesen, nicht anders, als wenn
alles verschwunden wäre. Man habe von Hofe einen
Königlichen Chirurgum zu ihr geschickt, und sie besichtigen laßen,
der, nach wohl untersuchten Umständen, das Wunder agnosciret.

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geringste gebrauchet, als Anfangs ohngefähr 6 Wochen die
Erde von dem Grabe des Monsieur Paris, welche sie in Waßer
von seinem Brunnen, daraus er zu trincken pflegen,
eingeweichet, und sey sie in ihren Schmertzen dadurch allemal
soulagiret worden, ob ihr schon sonst das geringste Stäub-
gen, wenn es in die Wunde gefallen, die gröste Empfind-
ung verursachet. Nach consumirter Erde habe sie mit dem
Waßer allein fortgefahren, und ihren Schaden täglich
damit genetzet, iedoch ohne weitern Nutzen, als daß
ein weißer erhobener Circul, ohngefähr eines Bind-
fadens dicke, sich rund um die Wunde gesetzet, und ver-
muthlich das weitere um sich freßen gehindert, im übri-
gen sey die Wunde selbst bis den letzten December 1734
in vorigem Stande verblieben, daß nehmlich in dem
rohen Fleisch viele incrustirte boutons und darunter
garstige materie gewesen, außer daß etwan besagten
Tages die inflammation etwas geringer, als sonsten,
geschienen. Eben diesen Tag sey eine gute Freundin
zu ihr kommen, und habe ihr ein höltzern crucifix ge-
bracht, welches ehemals dem Monsieur Paris zugehöret, davon
sie, mit Bewilligung der Besitzerin, ein Stückgen
herunter geschnitten /: welches sie noch ietzo in einer
silernen Capsul am Halse träget :/ solches in ein
sauber Papier gewickelt, Abends auf ihre Wunde ge-
leget, die Cornette feste zugesteckt, und sey unter hertzli-
chem Gebet zu Gott eingeschlaffen. Als sie den 1 Januar
1735 früh aufgestanden, und ihre Cornette geöffnet, habe
sie mit Erstaunen ihren bösen Backen just accurat
in dem Zustande gefunden, wie wir ihn ietzo vor uns
sähen, und sey weder von dem erhabenen Circul, noch
der Kruste, noch der Materie oder einigem Blut das
allergeringste weder auf ihrem Backen, noch an ihrer
Cornette zu spühren gewesen, nicht anders, als wenn
alles verschwunden wäre. Man habe von Hofe einen
Königlichen Chirurgum zu ihr geschickt, und sie besichtigen laßen,
der, nach wohl untersuchten Umständen, das Wunder agnosciret.

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[0254] 120 geringste gebrauchet, als Anfangs ohngefähr 6 Wochen die Erde von dem Grabe des Mr. Paris, welche sie in Waßer von seinem Brunnen, daraus er zu trincken pflegen, eingeweichet, und sey sie in ihren Schmertzen dadurch allemal soulagiret worden, ob ihr schon sonst das geringste Stäub- gen, wenn es in die Wunde gefallen, die gröste Empfind- ung verursachet. Nach consumirter Erde habe sie mit dem Waßer allein fortgefahren, und ihren Schaden täglich damit genetzet, iedoch ohne weitern Nutzen, als daß ein weißer erhobener Circul, ohngefähr eines Bind- fadens dicke, sich rund um die Wunde gesetzet, und ver- muthlich das weitere um sich freßen gehindert, im übri- gen sey die Wunde selbst bis den letzten Decembr: 1734 in vorigem Stande verblieben, daß nehml: in dem rohen Fleisch viele incrustirte boutons und darunter garstige materie gewesen, außer daß etwan besagten Tages die inflammation etwas geringer, als sonsten, geschienen. Eben diesen Tag sey eine gute Freundin zu ihr kommen, und habe ihr ein höltzern crucifix ge- bracht, welches ehemals dem Mr. Paris zugehöret, davon sie, mit Bewilligung der Besitzerin, ein Stückgen herunter geschnitten /: welches sie noch ietzo in einer silernen Capsul am Halse träget :/ solches in ein sauber Papier gewickelt, Abends auf ihre Wunde ge- leget, die Cornette feste zugesteckt, und sey unter hertzli- chem Gebet zu Gott eingeschlaffen. Als sie den 1 Jan. 1735 früh aufgestanden, und ihre Cornette geöffnet, habe sie mit Erstaunen ihren bösen Backen just accurat in dem Zustande gefunden, wie wir ihn ietzo vor uns sähen, und sey weder von dem erhabenen Circul, noch der Kruste, noch der Materie oder einigem Blut das allergeringste weder auf ihrem Backen, noch an ihrer Cornette zu spühren gewesen, nicht anders, als wenn alles verschwunden wäre. Man habe von Hofe einen Königl: Chirurgum zu ihr geschickt, und sie besichtigen laßen, der, nach wohl untersuchten Umständen, das Wunder agnosciret.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/254>, abgerufen am 17.09.2024.