Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].139 Madame de Harlay sich zu dieser charitaet zwar von Hertzen willig fin-den laßen, nur aber versichert, daß man von dem auf dem Kloster-Boden noch vorhandenen Getreyde kaum 20 Brodte backen, folglich übermorgen wieder in eben der Verlegenheit seyn würde: so habe Pater Regis mit dieser Religieuse sich ins Gebet begeben und Gott um Hülfe angeruffen, und darauf, weil der Boden mit diversen Schlößern versehen gewesen, diejenigen zusammen ruffen laßen, welche außer gedachter Superiorin Schlüßel dazu gehabt. Da sichs denn bey der gemeinsamen Eröffnung des Bodens gefunden, daß derselbe gantz über und über voll Getreyde gewesen. Mit der Geschichte sub no 1. stellete der Cardinal eine eben solche Cur, die sich auf dem Grabe des Paris zugetragen, in Ver- gleichung, da nehmlich eine an den Füßen Waßersüchtige Person, sobald sie von dem Grabe wieder aufgestanden, ihre ordinairen Pantoffeln anziehen können; meinte aber, dieses vorgegebene Wunder sey unstreitig natürlich, weil die Haut an denen Füßen zerplatzet, und dieselben also nothwendig in der Geschwindigkeit dünner worden. Allem Vermuthen nach, würde es, bey seiner großen penetration, ihm eben so leicht gefallen seyn, die er- zehlten Wunder des Regis gleichfals aus natürlichen Ursachen zu re- solviren, daferne er nicht uns unbekannte raisons gehabt hätte, diese Leute durch eine vorstellte Leichtgläubigkeit zu obligiren. Wir fuhren von hier nach der Marquise de Montbrun, und trafen daselbst die verwittibte Duchesse de Rochechoir an, deren Gemahl des ietzigen premier Gentilhomme Bruder gewesen. Sie ist eine sehr artige und tugendhafte, auch noch junge Dame, welche sich ietzo hier in einem Closter, sonst aber ordentlicher weise auf ihren Gütern aufhält. Die Discourse waren erst medici- nisch, und gedachte die Duchesse eines gewißen liqueurs, den man zum praeservativ wieder die Blattern in einem Fläschgen am Halse trage, sodann aber wurde auch etwas moralisches ge- sprochen. Weil wir aber dem Monsieur Rollin in seinem entle- genen Quartier einen Besuch zugedacht hatten, musten wir abbrechen, hatten iedoch nicht das Glück, ihn zu Hause zu fin- den, und nahmen also im Rückwege unsern Abtritt bey dem prince de Turenne. Bey unserm Daseyn fand sich auch der Chirurgien des Duc de Bouillon ein, welcher von Pontoise zurückkam, und von dem Zustand des Monsieur de Ramsay raport erstattete, den Zufall aber einer gewißen Unordnung in denen Nerven zuschrieb, welche verursachete, daß der Patient zwar die Luft einziehen, aber nicht wieder zurück geben könnte. 139 Madame de Harlay sich zu dieser charitaet zwar von Hertzen willig fin-den laßen, nur aber versichert, daß man von dem auf dem Kloster-Boden noch vorhandenen Getreyde kaum 20 Brodte backen, folglich übermorgen wieder in eben der Verlegenheit seyn würde: so habe Pater Regis mit dieser Religieuse sich ins Gebet begeben und Gott um Hülfe angeruffen, und darauf, weil der Boden mit diversen Schlößern versehen gewesen, diejenigen zusammen ruffen laßen, welche außer gedachter Superiorin Schlüßel dazu gehabt. Da sichs denn bey der gemeinsamen Eröffnung des Bodens gefunden, daß derselbe gantz über und über voll Getreyde gewesen. Mit der Geschichte sub no 1. stellete der Cardinal eine eben solche Cur, die sich auf dem Grabe des Paris zugetragen, in Ver- gleichung, da nehmlich eine an den Füßen Waßersüchtige Person, sobald sie von dem Grabe wieder aufgestanden, ihre ordinairen Pantoffeln anziehen können; meinte aber, dieses vorgegebene Wunder sey unstreitig natürlich, weil die Haut an denen Füßen zerplatzet, und dieselben also nothwendig in der Geschwindigkeit dünner worden. Allem Vermuthen nach, würde es, bey seiner großen penetration, ihm eben so leicht gefallen seyn, die er- zehlten Wunder des Regis gleichfals aus natürlichen Ursachen zu re- solviren, daferne er nicht uns unbekannte raisons gehabt hätte, diese Leute durch eine vorstellte Leichtgläubigkeit zu obligiren. Wir fuhren von hier nach der Marquise de Montbrun, und trafen daselbst die verwittibte Duchesse de Rochechoir an, deren Gemahl des ietzigen premier Gentilhomme Bruder gewesen. Sie ist eine sehr artige und tugendhafte, auch noch junge Dame, welche sich ietzo hier in einem Closter, sonst aber ordentlicher weise auf ihren Gütern aufhält. Die Discourse waren erst medici- nisch, und gedachte die Duchesse eines gewißen liqueurs, den man zum praeservativ wieder die Blattern in einem Fläschgen am Halse trage, sodann aber wurde auch etwas moralisches ge- sprochen. Weil wir aber dem Monsieur Rollin in seinem entle- genen Quartier einen Besuch zugedacht hatten, musten wir abbrechen, hatten iedoch nicht das Glück, ihn zu Hause zu fin- den, und nahmen also im Rückwege unsern Abtritt bey dem prince de Turenne. Bey unserm Daseyn fand sich auch der Chirurgien des Duc de Bouillon ein, welcher von Pontoise zurückkam, und von dem Zustand des Monsieur de Ramsay raport erstattete, den Zufall aber einer gewißen Unordnung in denen Nerven zuschrieb, welche verursachete, daß der Patient zwar die Luft einziehen, aber nicht wieder zurück geben könnte. <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <div type="diaryEntry"> <p><pb facs="#f0292"/><fw type="folNum" place="top">139</fw><lb/><persName xml:id="TidB14329" corresp="register.xml#regID_37.lemID_10072"><choice><abbr>Mad.</abbr><expan>Madame</expan></choice> de Harlay</persName> sich zu dieser charitaet zwar von Hertzen willig fin-<lb/> den laßen, nur aber versichert, daß man von dem auf dem<lb/> Kloster-Boden noch vorhandenen Getreyde kaum 20 Brodte backen,<lb/> folglich übermorgen wieder in eben der Verlegenheit seyn würde:<lb/> so habe <persName xml:id="TidB14330" corresp="register.xml#regID_37.lemID_12838" ref="http://d-nb.info/gnd/http://d-nb.info/gnd/120233304"><choice><abbr>P.</abbr><expan>Pater</expan></choice> Regis</persName> mit dieser Religieuse sich ins Gebet begeben<lb/> und Gott um Hülfe angeruffen, <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> darauf, weil der Boden mit<lb/> diversen Schlößern versehen gewesen, diejenigen zusammen ruffen<lb/> laßen, welche außer gedachter Superiorin Schlüßel dazu gehabt.<lb/> Da sichs denn bey der gemeinsamen Eröffnung des Bodens gefunden,<lb/> daß derselbe gantz über <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> über voll Getreyde gewesen. 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139
Mad. de Harlay sich zu dieser charitaet zwar von Hertzen willig fin-
den laßen, nur aber versichert, daß man von dem auf dem
Kloster-Boden noch vorhandenen Getreyde kaum 20 Brodte backen,
folglich übermorgen wieder in eben der Verlegenheit seyn würde:
so habe P. Regis mit dieser Religieuse sich ins Gebet begeben
und Gott um Hülfe angeruffen, u. darauf, weil der Boden mit
diversen Schlößern versehen gewesen, diejenigen zusammen ruffen
laßen, welche außer gedachter Superiorin Schlüßel dazu gehabt.
Da sichs denn bey der gemeinsamen Eröffnung des Bodens gefunden,
daß derselbe gantz über u. über voll Getreyde gewesen. Mit
der Geschichte sub no 1. stellete der Cardinal eine eben solche
Cur, die sich auf dem Grabe des Paris zugetragen, in Ver-
gleichung, da nehml: eine an den Füßen Waßersüchtige Person,
sobald sie von dem Grabe wieder aufgestanden, ihre ordinairen
Pantoffeln anziehen können; meinte aber, dieses vorgegebene
Wunder sey unstreitig natürlich, weil die Haut an denen Füßen
zerplatzet, und dieselben also nothwendig in der Geschwindigkeit
dünner worden. Allem Vermuthen nach, würde es, bey seiner
großen penetration, ihm eben so leicht gefallen seyn, die er-
zehlten Wunder des Regis gleichfals aus natürl.n Ursachen zu re-
solviren, daferne er nicht uns unbekannte raisons gehabt hätte,
diese Leute durch eine vorstellte Leichtgläubigkeit zu obligiren.
Wir fuhren von hier nach der Marquise de Montbrun, u. trafen
daselbst die verwittibte Duchesse de Rochechoir an, deren
Gemahl des ietzigen premier Gentilhomme Bruder gewesen.
Sie ist eine sehr artige und tugendhafte, auch noch junge Dame,
welche sich ietzo hier in einem Closter, sonst aber ordentl:r weise
auf ihren Gütern aufhält. Die Discourse waren erst medici-
nisch, und gedachte die Duchesse eines gewißen liqueurs, den man
zum praeservativ wieder die Blattern in einem Fläschgen am
Halse trage, sodann aber wurde auch etwas moralisches ge-
sprochen. Weil wir aber dem Mr. Rollin in seinem entle-
genen Quartier einen Besuch zugedacht hatten, musten wir
abbrechen, hatten iedoch nicht das Glück, ihn zu Hause zu fin-
den, und nahmen also im Rückwege unsern Abtritt bey
dem prince de Turenne. Bey unserm Daseyn fand sich auch der
Chirurgien des Duc de Bouillon ein, welcher von Pontoise
zurückkam, und von dem Zustand des Mr. de Ramsay raport
erstattete, den Zufall aber einer gewißen Unordnung in
denen Nerven zuschrieb, welche verursachete, daß der Patient
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Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate
Weitere Informationen:Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert. Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
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