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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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199
Nummer 43
Den 15 August

Als den Tag unsrer Ausfarth aus Toulon brach uns 2 Meilen von der
Stadt die hinter Wagen=Axe, gleich vor dem Dorff Bausset. Weil nun
weder hier, noch auf der gantzen route bis Aix ein Wagner anzutreffen,
so fand sich, nach mannigfaltiger Überlegung kein andre Mittel, als den
Wagen mit einem Bedienten zurück= und durch einen aufgetriebenen
verdorbenen Tischer eine verlohrne Axe verfertigen zu laßen, um
mittelst derselben den leeren Wagen bis auf Aix nachzuschleppen.
Wir hingegen musten die Partie des Reitens ergreiffen, durch
welches Mittel wir denn über und zwischen lauter Felsen-Ge-
bürgen, deren eintziges Gewächß die wilde Rosmarin war, Mittags
zu Roquevaire anlangten, und daselbst speiseten. Dieses Dorf
siehet einem Städtgen gleich, und fanden wir wegen des heutigen
Marien-Fests alles voller Lustbarkeit, welche iedoch so beschaffen war,
daß man von diesen Verehrern der Mariae nicht vermuthen konte,
mit derselben das beste Theil erwehlet zu haben. Wie denn vor
unserm Quartier auf der Straße ein Solenner Tantz gehalten
wurde, dabey die music in zwey Tambourins bestunde, die Bauer-Men-
scher aber auf das propreste angezogen waren, und die cadence
auf das genaueste observireten. Wie denn der proven[unleserliches Material]cal Tantz
von einer gantz besondern Art ist, und der haute dance am nähesten
kommt. Weil wir glücklicher weise hier eine Post-Chaise fanden, so
bedienten wir uns derselben zu unserm Soulagement, und
arrivireten Abends halb fahrend, halb reitend gantz glücklich zu Aix,
der Haupt-Stadt in Provence, welche in einem ziemlich großen
angenehmem und hauptsächlich mit Oliven-Bäumen bepflantzten
Thal gelegen ist, wie denn das hiesige Oel vor das Beste in
der gantzen Welt gehalten wird.

Den 16. August

Früh langete unser Wagen an, und wurde sogleich zum Wagner
gebracht, übrigens aber der Tag mit Ausruhen und schreiben passiret,
auch weiter nichts angemercket, als die hiesige besondre Begräbniß-
Art, da nehmlich der Todte in einen langen schmalen Bette bis an
den Hals zugedeckt von 4 Personen auf denen Schultern getragen
wird, mithin der Kopf des verstorbenen öffentlich zu sehen ist.
Die Träger sowol, als die vorhergehende Leichen-Begleiter sind mit
schwartzen langen Kitteln von Glantz Leinwand dergestalt verhüllet,
wie an catholischen Orten die Flayellanten in der Char-Woche
zu seyn pflegen. Doch ist die mitgehende Geistligkeit in ihrer ordentli-
chen Kleidung.

Den 17 August

Über die bereits unterm 18 Juni specificirten Recommendation-
Schreiben, hatte der Parlaments-Rats Monsieur de Sainctamant in Toulouse

199
Nummer 43
Den 15 August

Als den Tag unsrer Ausfarth aus Toulon brach uns 2 Meilen von der
Stadt die hinter Wagen=Axe, gleich vor dem Dorff Bausset. Weil nun
weder hier, noch auf der gantzen route bis Aix ein Wagner anzutreffen,
so fand sich, nach mannigfaltiger Überlegung kein andre Mittel, als den
Wagen mit einem Bedienten zurück= und durch einen aufgetriebenen
verdorbenen Tischer eine verlohrne Axe verfertigen zu laßen, um
mittelst derselben den leeren Wagen bis auf Aix nachzuschleppen.
Wir hingegen musten die Partie des Reitens ergreiffen, durch
welches Mittel wir denn über und zwischen lauter Felsen-Ge-
bürgen, deren eintziges Gewächß die wilde Rosmarin war, Mittags
zu Roquevaire anlangten, und daselbst speiseten. Dieses Dorf
siehet einem Städtgen gleich, und fanden wir wegen des heutigen
Marien-Fests alles voller Lustbarkeit, welche iedoch so beschaffen war,
daß man von diesen Verehrern der Mariae nicht vermuthen konte,
mit derselben das beste Theil erwehlet zu haben. Wie denn vor
unserm Quartier auf der Straße ein Solenner Tantz gehalten
wurde, dabey die music in zwey Tambourins bestunde, die Bauer-Men-
scher aber auf das propreste angezogen waren, und die cadence
auf das genaueste observireten. Wie denn der proven[unleserliches Material]cal Tantz
von einer gantz besondern Art ist, und der haute dance am nähesten
kommt. Weil wir glücklicher weise hier eine Post-Chaise fanden, so
bedienten wir uns derselben zu unserm Soulagement, und
arrivireten Abends halb fahrend, halb reitend gantz glücklich zu Aix,
der Haupt-Stadt in Provence, welche in einem ziemlich großen
angenehmem und hauptsächlich mit Oliven-Bäumen bepflantzten
Thal gelegen ist, wie denn das hiesige Oel vor das Beste in
der gantzen Welt gehalten wird.

Den 16. August

Früh langete unser Wagen an, und wurde sogleich zum Wagner
gebracht, übrigens aber der Tag mit Ausruhen und schreiben passiret,
auch weiter nichts angemercket, als die hiesige besondre Begräbniß-
Art, da nehmlich der Todte in einen langen schmalen Bette bis an
den Hals zugedeckt von 4 Personen auf denen Schultern getragen
wird, mithin der Kopf des verstorbenen öffentlich zu sehen ist.
Die Träger sowol, als die vorhergehende Leichen-Begleiter sind mit
schwartzen langen Kitteln von Glantz Leinwand dergestalt verhüllet,
wie an catholischen Orten die Flayellanten in der Char-Woche
zu seyn pflegen. Doch ist die mitgehende Geistligkeit in ihrer ordentli-
chen Kleidung.

Den 17 August

Über die bereits unterm 18 Juni specificirten Recommendation-
Schreiben, hatte der Parlaments-Rats Monsieur de Sainctamant in Toulouse

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[0412] 199 No. 43 Den 15 Augl: Als den Tag unsrer Ausfarth aus Toulon brach uns 2 Meilen von der Stadt die hinter Wagen=Axe, gleich vor dem Dorff Bausset. Weil nun weder hier, noch auf der gantzen route bis Aix ein Wagner anzutreffen, so fand sich, nach mannigfaltiger Überlegung kein andre Mittel, als den Wagen mit einem Bedienten zurück= und durch einen aufgetriebenen verdorbenen Tischer eine verlohrne Axe verfertigen zu laßen, um mittelst derselben den leeren Wagen bis auf Aix nachzuschleppen. Wir hingegen musten die Partie des Reitens ergreiffen, durch welches Mittel wir denn über und zwischen lauter Felsen-Ge- bürgen, deren eintziges Gewächß die wilde Rosmarin war, Mittags zu Roquevaire anlangten, und daselbst speiseten. Dieses Dorf siehet einem Städtgen gleich, und fanden wir wegen des heutigen Marien-Fests alles voller Lustbarkeit, welche iedoch so beschaffen war, daß man von diesen Verehrern der Mariae nicht vermuthen konte, mit derselben das beste Theil erwehlet zu haben. Wie denn vor unserm Quartier auf der Straße ein Solenner Tantz gehalten wurde, dabey die music in zwey Tambourins bestunde, die Bauer-Men- scher aber auf das propreste angezogen waren, und die cadence auf das genaueste observireten. Wie denn der provencal Tantz von einer gantz besondern Art ist, und der haute dance am nähesten kommt. Weil wir glücklicher weise hier eine Post-Chaise fanden, so bedienten wir uns derselben zu unserm Soulagement, und arrivireten Abends halb fahrend, halb reitend gantz glücklich zu Aix, der Haupt-Stadt in Provence, welche in einem ziemlich großen angenehmem und hauptsächlich mit Oliven-Bäumen bepflantzten Thal gelegen ist, wie denn das hiesige Oel vor das Beste in der gantzen Welt gehalten wird. Den 16. Aug. Früh langete unser Wagen an, und wurde sogleich zum Wagner gebracht, übrigens aber der Tag mit Ausruhen und schreiben passiret, auch weiter nichts angemercket, als die hiesige besondre Begräbniß- Art, da nehml: der Todte in einen langen schmalen Bette bis an den Hals zugedeckt von 4 Personen auf denen Schultern getragen wird, mithin der Kopf des verstorbenen öffentlich zu sehen ist. Die Träger sowol, als die vorhergehende Leichen-Begleiter sind mit schwartzen langen Kitteln von Glantz Leinwand dergestalt verhüllet, wie an catholischen Orten die Flayellanten in der Char-Woche zu seyn pflegen. Doch ist die mitgehende Geistligkeit in ihrer ordentli- chen Kleidung. Den 17 Aug. Über die bereits unterm 18 Jun: specificirten Recommendation- Schreiben, hatte der Parlaments-Rats Mr. de Sainctamant in Toulouse

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/412>, abgerufen am 25.11.2024.