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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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288
Nummer 56.
Vom 7-11 Januar:

Zweymal sind wir auf den hiesigen Cours gefahren, welches eine
sehr lange und nicht übrig breite Straße ist. Die Wagen, welche
man hier in ziemliche Anzahl siehet, sind zwar zum Theil an
Schnitzwerck und Vergoldung kostbar, die Livree aber und der Auf-
zug derer Bedienten, welche oft liederlich und unsauber aus sehen,
accordiret damit nicht zum besten. Wie es denn hier Leute giebt,
welche Hunger und Kummer leiden, um nur Kutsche und Pferde bey-
zu behalten, und man ordinair es vor den extremsten grad der
miserie und des absoluten Ruins hält, wenn die Equipage abge-
schaffet wird.

Aus denen Conversationen bey der Madame Crescenzi und denen Englischen
Printzen, welche wir auch in diesen Tagen fortgesetzet, haben
wir nichts besonders zu melden, außer daß wir an dem jüngsten
Printzen bey Gelegenheit einer dispute, die er mit einem Prae-
laten über gantz indifferente Dinge hatte, viel Eigensinn, und
nicht wenig Emportement wahrgenommen, wobey hingegen der
älteste durch gütliches Zureden und sein gantzes Bezeigen uns in
der von ihm gefaßten guten Opinion bestärckete.

Bey einer dem Pohlnischen Ministre Comte Lagnasco gegebenen
Visite wurde uns von ihm eine große Tabelle über den gegenwär-
tigen Chur-Sächsischen Kriegs-Staat gezeiget, nach deren Innhalt sich der-
selbe auf 36/Millionen und etliche 100 Mann erstrecket. Es wurde von
der Prager Eroberung gesprochen, und dem mit anwesenden
Sohn des hiesigen bayrischen Ministres Baron Scarlati von dem
Grafen erzehlet, daß der nunmehrige König von Böhmen an den
von Pohlen einen sehr obligeanten Brief geschrieben, und sich wegen
der bey solcher Eroberung durch die Chur-Sächsischen Truppen haupt-
sächlich geleisteten Hülffe bedancket habe. Sonst prophezeyhete er
sich selbst, daß bey seinem Ministre-Leben und dem erwehlten
geistlichen Stande er nicht viel vor sich bringen werde. Denn in
Piemont, als seinem Vaterlande, könne er nichts praetendiren,
weil er auswärts engagiret sey, ia man habe ihm eine kleine
Abtey, welche ihm der Pabst gegeben, wieder genommen, nachdem
der Vergleich zwischen dem Päbstlichen und Sardinischen Hofe wegen
der geistlichen beneficien zu Stande gekommen: Das Chur-Sächsischen Land
sey Ewangelisch, folglich auch da nichts vor ihn zu hoffen, und in
Pohlen etwas zu bekommen, müße man naturalisiret seyn, wel-
ches, zumal in Ansehung eines home de qualite, die Nation nicht
leicht gestatte. Bey Gelegenheit der hier eingelauffenen Nachricht
von Absetzung des Czaars und der Regentin in Rußland, wiese

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Nummer 56.
Vom 7-11 Januar:

Zweymal sind wir auf den hiesigen Cours gefahren, welches eine
sehr lange und nicht übrig breite Straße ist. Die Wagen, welche
man hier in ziemliche Anzahl siehet, sind zwar zum Theil an
Schnitzwerck und Vergoldung kostbar, die Livree aber und der Auf-
zug derer Bedienten, welche oft liederlich und unsauber aus sehen,
accordiret damit nicht zum besten. Wie es denn hier Leute giebt,
welche Hunger und Kummer leiden, um nur Kutsche und Pferde bey-
zu behalten, und man ordinair es vor den extremsten grad der
miserie und des absoluten Ruins hält, wenn die Equipage abge-
schaffet wird.

Aus denen Conversationen bey der Madame Crescenzi und denen Englischen
Printzen, welche wir auch in diesen Tagen fortgesetzet, haben
wir nichts besonders zu melden, außer daß wir an dem jüngsten
Printzen bey Gelegenheit einer dispute, die er mit einem Prae-
laten über gantz indifferente Dinge hatte, viel Eigensinn, und
nicht wenig Emportement wahrgenommen, wobey hingegen der
älteste durch gütliches Zureden und sein gantzes Bezeigen uns in
der von ihm gefaßten guten Opinion bestärckete.

Bey einer dem Pohlnischen Ministre Comte Lagnasco gegebenen
Visite wurde uns von ihm eine große Tabelle über den gegenwär-
tigen Chur-Sächsischen Kriegs-Staat gezeiget, nach deren Innhalt sich der-
selbe auf 36/Millionen und etliche 100 Mann erstrecket. Es wurde von
der Prager Eroberung gesprochen, und dem mit anwesenden
Sohn des hiesigen bayrischen Ministres Baron Scarlati von dem
Grafen erzehlet, daß der nunmehrige König von Böhmen an den
von Pohlen einen sehr obligeanten Brief geschrieben, und sich wegen
der bey solcher Eroberung durch die Chur-Sächsischen Truppen haupt-
sächlich geleisteten Hülffe bedancket habe. Sonst prophezeyhete er
sich selbst, daß bey seinem Ministre-Leben und dem erwehlten
geistlichen Stande er nicht viel vor sich bringen werde. Denn in
Piemont, als seinem Vaterlande, könne er nichts praetendiren,
weil er auswärts engagiret sey, ia man habe ihm eine kleine
Abtey, welche ihm der Pabst gegeben, wieder genommen, nachdem
der Vergleich zwischen dem Päbstlichen und Sardinischen Hofe wegen
der geistlichen beneficien zu Stande gekommen: Das Chur-Sächsischen Land
sey Ewangelisch, folglich auch da nichts vor ihn zu hoffen, und in
Pohlen etwas zu bekommen, müße man naturalisiret seyn, wel-
ches, zumal in Ansehung eines home de qualité, die Nation nicht
leicht gestatte. Bey Gelegenheit der hier eingelauffenen Nachricht
von Absetzung des Czaars und der Regentin in Rußland, wiese

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[0590] 288 No 56. Vom 7-11 Januar: Zweymal sind wir auf den hiesigen Cours gefahren, welches eine sehr lange und nicht übrig breite Straße ist. Die Wagen, welche man hier in ziemliche Anzahl siehet, sind zwar zum Theil an Schnitzwerck und Vergoldung kostbar, die Livree aber und der Auf- zug derer Bedienten, welche oft liederlich und unsauber aus sehen, accordiret damit nicht zum besten. Wie es denn hier Leute giebt, welche Hunger und Kummer leiden, um nur Kutsche und Pferde bey- zu behalten, und man ordinair es vor den extremsten grad der miserie und des absoluten Ruins hält, wenn die Equipage abge- schaffet wird. Aus denen Conversationen bey der Mad. Crescenzi und denen Engl: Printzen, welche wir auch in diesen Tagen fortgesetzet, haben wir nichts besonders zu melden, außer daß wir an dem jüngsten Printzen bey Gelegenheit einer dispute, die er mit einem Prae- laten über gantz indifferente Dinge hatte, viel Eigensinn, und nicht wenig Emportement wahrgenommen, wobey hingegen der älteste durch gütliches Zureden und sein gantzes Bezeigen uns in der von ihm gefaßten guten Opinion bestärckete. Bey einer dem Pohlnischen Ministre Comte Lagnasco gegebenen Visite wurde uns von ihm eine große Tabelle über den gegenwär- tigen Chur-Sächl: Kriegs-Staat gezeiget, nach deren Innhalt sich der- selbe auf 36/m und etliche 100 Mann erstrecket. Es wurde von der Prager Eroberung gesprochen, und dem mit anwesenden Sohn des hiesigen Bayeril: Ministres Baron Scarlati von dem Grafen erzehlet, daß der nunmehrige König von Böhmen an den von Pohlen einen sehr obligeanten Brief geschrieben, und sich wegen der bey solcher Eroberung durch die Chur-Sächßl: Truppen haupt- sächlich geleisteten Hülffe bedancket habe. Sonst prophezeyete er sich selbst, daß bey seinem Ministre-Leben und dem erwehlten geistl: Stande er nicht viel vor sich bringen werde. Denn in Piemont, als seinem Vaterlande, könne er nichts praetendiren, weil er auswärts engagiret sey, ia man habe ihm eine kleine Abtey, welche ihm der Pabst gegeben, wieder genommen, nachdem der Vergleich zwischen dem Päbstl: und Sardinischen Hofe wegen der geistl: beneficien zu Stande gekommen: Das Chur-Sächl: Land sey Ewangelisch, folglich auch da nichts vor ihn zu hoffen, und in Pohlen etwas zu bekommen, müße man naturalisiret seyn, wel- ches, zumal in Ansehung eines home de qualité, die Nation nicht leicht gestatte. Bey Gelegenheit der hier eingelauffenen Nachricht von Absetzung des Czaars und der Regentin in Rußland, wiese

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/590>, abgerufen am 27.11.2024.