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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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Nummer61.
Den 10 und 11.ten Februar.

Gleichwie wir den 10ten mit expedition der Post=Briefe und des Diarii beschäftiget
gewesen: also ist den 11ten folgendes besichtiget worden. Die Kirche di S. Alessio.
Dieser Heilige ist ein edler Römer aus dem Hause Savelli gewesen, und soll die Wohnung
seines Vaters auf der Stelle, wo ietzt diese Kirche ist, gestanden haben. In seinen jungen
Jahren hat er sich auf die Pilgrimschaft begeben, und sonderlich viele Jahre in Edessa mit
der Verehrung eines gewißen Marien-Bildes zugebracht. Nachdem er nun durch sehr lange
Abwehsenheit gantz unkänntlich worden, kehret er zwar endlich nach Rom und in seines
Vaters Hauß zurück, giebt sich aber niemanden zu erkennen, sondern wird als ein armer
fremder Pilgrim von dem Vater aufgenommen, unter eine Treppe im Hause logiret,
und von denen Brocken ernähret, die ihm etwa des Vaters Bedienten zu geworffen.
Als er nach dieser 17 Jahr geführten Lebens Art endlich unter seiner Treppe mit Tode
abgehet, hört man in der Peters-Kirche eine Stimme, welche laut ruffet: quaerite
hominem Dei, ut oret pro Roma, und wird daraus der Schluß gemacht, daß ein sehr
heiliger Mann gestorben seyn müße. Der damalige Pabst Innocentius I. läßt
so fort aller Orten, sonderlich unter denen devoten Pilgrimen nachfragen, und als man
den unter der Treppe verstorbenen findet, erinnert sich ein Priester, eben diesen Menschen,
ehemals in Edessa vor den oberwähnten Marien Bilde in großer devotion gesehen zu
haben. Man wäre aber doch der Person wegen in Ungewißheit geblieben, wo der Ver-
storbene nicht die praesdiction gebraucht hätte, seinen Nahmen und gantze Geschichte
aufzuschreiben und bey sich zu tragen, welches in seinem Pilgrimms Sack gefundene
Manuscript denn das gantze Rätzel auf einmal ectaificiret, und die Leute überzeuget hat
daß der homo Dei den die Stimme andeuten wollen, kein anderer seyn können, als dieser
Alesius, weil er in so extremer Verleugnung gestanden. Man hat diese Geschichte etwas
umständlicher anführen wollen, weil sie eine besondere Probe abgeben kan, wie sehr
die Begriffe von denen essentielesten Stücken der Morale, dahin billig die Verleug-
nung zu zählen ist, bey dem Verfall des Christenthums verkehret worden. Man
kan sich leicht einbilden, daß die schon gedachte Treppe die Haupt-Reliquie in dieser
Kirche sey. Sie ist von hartem Holtz, hat 8 Stuffen, und lieget über einem Altar schieff
an die Mauer gelehnet, daß man hinter dem Altar sich ohngefähr eben so unter die-
selbe stellen kan wie Alesius darunter gestecket. Er ist gestorben anno Domini 414.
Innocentio I. Papa et Henorio et Theodosio II. miserantibus, wie die über dem
Altar befindliche Inscription besaget, welche zugleich sein armseeliges Treppen=
Leben anpreiset. Das Marien-Bild hat man von Edessa nach der Zeit auch hieher
gehohlet, und soll solches uhrsprünglich der König Abgarus vor sich haben verfer-
tigen laßen. Die kleine Begräbniß=Capelle des Cardinalss de Bagni, der anno
1641 gestorben, in eben dieser Kirche, ist von einem sehr guten gusto, und lieget der Car-
dinal
von weißen marmor in der Mitte derselben auf einer madrazze, stemmet sich
mit dem lincken Ellen-Bogen auf 2 Küßen, faltet beyde Hände, und machet also die Figur
eines Betenden. Küßen und Madrazze sind nur von Gypß, welches das schöne Werck
ein wenig verstellet. Aus dem Garten des zu dieser Kirche gehörigen Closters ist ein

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Nummer61.
Den 10 und 11.ten Februar.

Gleichwie wir den 10ten mit expedition der Post=Briefe und des Diarii beschäftiget
gewesen: also ist den 11ten folgendes besichtiget worden. Die Kirche di S. Alessio.
Dieser Heilige ist ein edler Römer aus dem Hause Savelli gewesen, und soll die Wohnung
seines Vaters auf der Stelle, wo ietzt diese Kirche ist, gestanden haben. In seinen jungen
Jahren hat er sich auf die Pilgrimschaft begeben, und sonderlich viele Jahre in Edessa mit
der Verehrung eines gewißen Marien-Bildes zugebracht. Nachdem er nun durch sehr lange
Abwehsenheit gantz unkänntlich worden, kehret er zwar endlich nach Rom und in seines
Vaters Hauß zurück, giebt sich aber niemanden zu erkennen, sondern wird als ein armer
fremder Pilgrim von dem Vater aufgenommen, unter eine Treppe im Hause logiret,
und von denen Brocken ernähret, die ihm etwa des Vaters Bedienten zu geworffen.
Als er nach dieser 17 Jahr geführten Lebens Art endlich unter seiner Treppe mit Tode
abgehet, hört man in der Peters-Kirche eine Stimme, welche laut ruffet: quaerite
hominem Dei, ut oret pro Roma, und wird daraus der Schluß gemacht, daß ein sehr
heiliger Mann gestorben seyn müße. Der damalige Pabst Innocentius I. läßt
so fort aller Orten, sonderlich unter denen devoten Pilgrimen nachfragen, und als man
den unter der Treppe verstorbenen findet, erinnert sich ein Priester, eben diesen Menschen,
ehemals in Edessa vor den oberwähnten Marien Bilde in großer devotion gesehen zu
haben. Man wäre aber doch der Person wegen in Ungewißheit geblieben, wo der Ver-
storbene nicht die praesdiction gebraucht hätte, seinen Nahmen und gantze Geschichte
aufzuschreiben und bey sich zu tragen, welches in seinem Pilgrimms Sack gefundene
Manuscript denn das gantze Rätzel auf einmal ectaificiret, und die Leute überzeuget hat
daß der homo Dei den die Stimme andeuten wollen, kein anderer seyn können, als dieser
Alesius, weil er in so extremer Verleugnung gestanden. Man hat diese Geschichte etwas
umständlicher anführen wollen, weil sie eine besondere Probe abgeben kan, wie sehr
die Begriffe von denen essentielesten Stücken der Morale, dahin billig die Verleug-
nung zu zählen ist, bey dem Verfall des Christenthums verkehret worden. Man
kan sich leicht einbilden, daß die schon gedachte Treppe die Haupt-Reliquie in dieser
Kirche sey. Sie ist von hartem Holtz, hat 8 Stuffen, und lieget über einem Altar schieff
an die Mauer gelehnet, daß man hinter dem Altar sich ohngefähr eben so unter die-
selbe stellen kan wie Alesius darunter gestecket. Er ist gestorben anno Domini 414.
Innocentio I. Papa et Henorio et Theodosio II. miserantibus, wie die über dem
Altar befindliche Inscription besaget, welche zugleich sein armseeliges Treppen=
Leben anpreiset. Das Marien-Bild hat man von Edessa nach der Zeit auch hieher
gehohlet, und soll solches uhrsprünglich der König Abgarus vor sich haben verfer-
tigen laßen. Die kleine Begräbniß=Capelle des Cardinalss de Bagni, der anno
1641 gestorben, in eben dieser Kirche, ist von einem sehr guten gusto, und lieget der Car-
dinal
von weißen marmor in der Mitte derselben auf einer madrazze, stemmet sich
mit dem lincken Ellen-Bogen auf 2 Küßen, faltet beyde Hände, und machet also die Figur
eines Betenden. Küßen und Madrazze sind nur von Gypß, welches das schöne Werck
ein wenig verstellet. Aus dem Garten des zu dieser Kirche gehörigen Closters ist ein

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[0638] 312 No:61. Den 10 und 11.ten Februar. Gleichwie wir den 10ten mit expedition der Post=Briefe und des Diarii beschäftiget gewesen: also ist den 11ten folgendes besichtiget worden. Die Kirche di S. Alessio. Dieser Heilige ist ein edler Römer aus dem Hause Savelli gewesen, und soll die Wohnung seines Vaters auf der Stelle, wo ietzt diese Kirche ist, gestanden haben. In seinen jungen Jahren hat er sich auf die Pilgrimschaft begeben, und sonderlich viele Jahre in Edessa mit der Verehrung eines gewißen Marien-Bildes zugebracht. Nachdem er nun durch sehr lange Abwehsenheit gantz unkänntlich worden, kehret er zwar endlich nach Rom und in seines Vaters Hauß zurück, giebt sich aber niemanden zu erkennen, sondern wird als ein armer fremder Pilgrim von dem Vater aufgenommen, unter eine Treppe im Hause logiret, und von denen Brocken ernähret, die ihm etwa des Vaters Bedienten zu geworffen. Als er nach dieser 17 Jahr geführten Lebens Art endlich unter seiner Treppe mit Tode abgehet, hört man in der Peters-Kirche eine Stimme, welche laut ruffet: quaerite hominem Dei, ut oret pro Roma, und wird daraus der Schluß gemacht, daß ein sehr heiliger Mann gestorben seyn müße. Der damalige Pabst Innocentius I. läßt so fort aller Orten, sonderlich unter denen devoten Pilgrimen nachfragen, und als man den unter der Treppe verstorbenen findet, erinnert sich ein Priester, eben diesen Menschen, ehemals in Edessa vor den oberwähnten Marien Bilde in großer devotion gesehen zu haben. Man wäre aber doch der Person wegen in Ungewißheit geblieben, wo der Ver- storbene nicht die praesdiction gebraucht hätte, seinen Nahmen und gantze Geschichte aufzuschreiben und bey sich zu tragen, welches in seinem Pilgrimms Sack gefundene MSt: denn das gantze Rätzel auf einmal ectaificiret, und die Leute überzeuget hat daß der homo Dei den die Stimme andeuten wollen, kein anderer seyn können, als dieser Alesius, weil er in so extremer Verleugnung gestanden. Man hat diese Geschichte etwas umständlicher anführen wollen, weil sie eine besondere Probe abgeben kan, wie sehr die Begriffe von denen essentielesten Stücken der Morale, dahin billig die Verleug- nung zu zählen ist, bey dem Verfall des Christenthums verkehret worden. Man kan sich leicht einbilden, daß die schon gedachte Treppe die Haupt-Reliquie in dieser Kirche sey. Sie ist von hartem Holtz, hat 8 Stuffen, und lieget über einem Altar schieff an die Mauer gelehnet, daß man hinter dem Altar sich ohngefähr eben so unter die- selbe stellen kan wie Alesius darunter gestecket. Er ist gestorben A. D. 414. Innocentio I. Papa et Henorio et Theodosio II. miserantibus, wie die über dem Altar befindliche Inscription besaget, welche zugleich sein armseeliges Treppen= Leben anpreiset. Das Marien-Bild hat man von Edessa nach der Zeit auch hieher gehohlet, und soll solches uhrsprünglich der König Abgarus vor sich haben verfer- tigen laßen. Die kleine Begräbniß=Capelle des Cardinalss de Bagni, der ao: 1641 gestorben, in eben dieser Kirche, ist von einem sehr guten gusto, und lieget der Car- dinal von weißen marmor in der Mitte derselben auf einer madrazze, stemmet sich mit dem lincken Ellen-Bogen auf 2 Küßen, faltet beyde Hände, und machet also die Figur eines Betenden. Küßen und Madrazze sind nur von Gypß, welches das schöne Werck ein wenig verstellet. Aus dem Garten des zu dieser Kirche gehörigen Closters ist ein

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/638>, abgerufen am 27.11.2024.