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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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368
Nummer 70
Vom 20 April bis den 10ten May.

Weil unsre bagage erst Abends den 5ten May von Ancona zu Waßer
hier in Venedig anlangete; und es uns mit denen Bekanntschafften gieng,
wie unten soll gemeldet werden; so haben wir die Zeit zu Besichtigung der Stadt,
und deren Merckwürdigkeiten, auch Beobachtung derer vorgegangenen
publiquen Functionen um so viel ungehinderter anwenden können.
Die Lage der Stadt in denen See=Lagunen ist so beschaffen, daß sie
weder zu Waßer, noch zu Lande angegriffen werden kan. Dieses letz-
tere verstehet sich von selbst, und wendet die republic großen Fleiß
an, auf mancherley Art zu verhüthen, daß aus denen Lagunen mit der
Zeit kein festes Land werde: jenes aber ist auch natürlich, weil die Lagunen
zu seicht sind, Kriegs= und andre große Schiffe zu tragen, als welche
nur durch gewiße tiefe passagen, die man canaele nennet, herzu
nahen, folglich auch desto leichter zurück gewiesen werden können. Solche
canaele aber, um des commercii Willen, bey der gehörigen Tiefe zu erhalten,
sind gewiße auf 2 Schiffen stehende machinen verordnet, welche den
den Sand und Schlamm aus dem Grunde herauf heben, und auf die Insuln,
oder nach dem Terra F[unleserliches Material]erma wegführen. In der Stadt selbst kan man
zwar fast aller Orten, zu Fuß hinkommen, nur sind die Gaßen sehr
enge, die Qvader=Steine, womit selbige gepflastert, sonderlich bey
naßen Wetter, glitschig, und die vielen kleinen Brücken, welche man zu
passieren hat, beschwerlich: Die bequemste Art aber in der Stadt fort= und
aller Orten hin zukommen, ist die bekannte Waßerfarth auf denen
Gondoln. Die Canaele sind, nach Beschaffenheit der Insuln, welche von ihnen
umgeben werden, theils schmahl und mittelmäßig, theils sehr breit. Auf
jenen ist der Geruch nicht aller Wegen der beste, und würde noch ärger und
schädlicher seyn, wo die hier 6 Stunden währende Ebbe- und die 8 bis 10
Stunden dauernde Fluth das Waßer nicht in Bewegung hielte. Dem
Mangel des Qwell= und Fluß=Waßers ist durch das Regen=Waßer abgeholfen,
und hat fast jedwedes Hauß seine Cisterne, in welche solches von denen
Dächern dergestalt hinein geleitet wird, daß es zu förderst durch den
Sand läufft, mithin so dann recht klahr und trinckbar sich conserviret.
Die Gebäude sind durchgehends massiv, und stehen sonderlich an dem großen
canal verschiedene schöne Palläste von Marmor, darunter iedoch
die meisten a la Gothique sind. Bey denen schwartzen Gondoln kan
man sich seiner Sterbligkeit erinnern, denn sie sehen einem bedeckten

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Nummer 70
Vom 20 April bis den 10ten May.

Weil unsre bagage erst Abends den 5ten May von Ancona zu Waßer
hier in Venedig anlangete; und es uns mit denen Bekanntschafften gieng,
wie unten soll gemeldet werden; so haben wir die Zeit zu Besichtigung der Stadt,
und deren Merckwürdigkeiten, auch Beobachtung derer vorgegangenen
publiquen Functionen um so viel ungehinderter anwenden können.
Die Lage der Stadt in denen See=Lagunen ist so beschaffen, daß sie
weder zu Waßer, noch zu Lande angegriffen werden kan. Dieses letz-
tere verstehet sich von selbst, und wendet die republic großen Fleiß
an, auf mancherley Art zu verhüthen, daß aus denen Lagunen mit der
Zeit kein festes Land werde: jenes aber ist auch natürlich, weil die Lagunen
zu seicht sind, Kriegs= und andre große Schiffe zu tragen, als welche
nur durch gewiße tiefe passagen, die man canaele nennet, herzu
nahen, folglich auch desto leichter zurück gewiesen werden können. Solche
canaele aber, um des commercii Willen, bey der gehörigen Tiefe zu erhalten,
sind gewiße auf 2 Schiffen stehende machinen verordnet, welche den
den Sand und Schlamm aus dem Grunde herauf heben, und auf die Insuln,
oder nach dem Terra F[unleserliches Material]erma wegführen. In der Stadt selbst kan man
zwar fast aller Orten, zu Fuß hinkommen, nur sind die Gaßen sehr
enge, die Qvader=Steine, womit selbige gepflastert, sonderlich bey
naßen Wetter, glitschig, und die vielen kleinen Brücken, welche man zu
passieren hat, beschwerlich: Die bequemste Art aber in der Stadt fort= und
aller Orten hin zukommen, ist die bekannte Waßerfarth auf denen
Gondoln. Die Canaele sind, nach Beschaffenheit der Insuln, welche von ihnen
umgeben werden, theils schmahl und mittelmäßig, theils sehr breit. Auf
jenen ist der Geruch nicht aller Wegen der beste, und würde noch ärger und
schädlicher seyn, wo die hier 6 Stunden währende Ebbe- und die 8 bis 10
Stunden dauernde Fluth das Waßer nicht in Bewegung hielte. Dem
Mangel des Qwell= und Fluß=Waßers ist durch das Regen=Waßer abgeholfen,
und hat fast jedwedes Hauß seine Cisterne, in welche solches von denen
Dächern dergestalt hinein geleitet wird, daß es zu förderst durch den
Sand läufft, mithin so dann recht klahr und trinckbar sich conserviret.
Die Gebäude sind durchgehends massiv, und stehen sonderlich an dem großen
canal verschiedene schöne Palläste von Marmor, darunter iedoch
die meisten à la Gothique sind. Bey denen schwartzen Gondoln kan
man sich seiner Sterbligkeit erinnern, denn sie sehen einem bedeckten

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[0750] 368 No: 70 Vom 20 April bis den 10ten May. Weil unsre bagage erst Abends den 5ten May von Ancona zu Waßer hier in Venedig anlangete; und es uns mit denen Bekanntschafften gieng, wie unten soll gemeldet werden; so haben wir die Zeit zu Besichtigung der Stadt, und deren Merckwürdigkeiten, auch Beobachtung derer vorgegangenen publiquen Functionen um so viel ungehinderter anwenden können. Die Lage der Stadt in denen See=Lagunen ist so beschaffen, daß sie weder zu Waßer, noch zu Lande angegriffen werden kan. Dieses letz- tere verstehet sich von selbst, und wendet die republic großen Fleiß an, auf mancherley Art zu verhüthen, daß aus denen Lagunen mit der Zeit kein festes Land werde: jenes aber ist auch natürlich, weil die Lagunen zu seicht sind, Kriegs= und andre große Schiffe zu tragen, als welche nur durch gewiße tiefe passagen, die man canaele nennet, herzu nahen, folglich auch desto leichter zurück gewiesen werden können. Solche canaele aber, um des commercii Willen, bey der gehörigen Tiefe zu erhalten, sind gewiße auf 2 Schiffen stehende machinen verordnet, welche den den Sand und Schlamm aus dem Grunde herauf heben, und auf die Insuln, oder nach dem Terra Ferma wegführen. In der Stadt selbst kan man zwar fast aller Orten, zu Fuß hinkommen, nur sind die Gaßen sehr enge, die Qvader=Steine, womit selbige gepflastert, sonderlich bey naßen Wetter, glitschig, und die vielen kleinen Brücken, welche man zu passieren hat, beschwerlich: Die bequemste Art aber in der Stadt fort= und aller Orten hin zukommen, ist die bekannte Waßerfarth auf denen Gondoln. Die Canaele sind, nach Beschaffenheit der Insuln, welche von ihnen umgeben werden, theils schmahl und mittelmäßig, theils sehr breit. Auf jenen ist der Geruch nicht aller Wegen der beste, und würde noch ärger und schädlicher seyn, wo die hier 6 Stunden währende Ebbe- und die 8 bis 10 Stunden dauernde Fluth das Waßer nicht in Bewegung hielte. Dem Mangel des Qwell= und Fluß=Waßers ist durch das Regen=Waßer abgeholfen, und hat fast jedwedes Hauß seine Cisterne, in welche solches von denen Dächern dergestalt hinein geleitet wird, daß es zu förderst durch den Sand läufft, mithin so dann recht klahr und trinckbar sich conserviret. Die Gebäude sind durchgehends massiv, und stehen sonderlich an dem großen canal verschiedene schöne Palläste von Marmor, darunter iedoch die meisten à la Gothique sind. Bey denen schwartzen Gondoln kan man sich seiner Sterbligkeit erinnern, denn sie sehen einem bedeckten

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/750>, abgerufen am 24.11.2024.